Aus den Jahren nach der Machtergreifung 1933 werden nur zwei Ereignisse aufgeführt: Der Anschluss Engers 1934 an das Gaswerk Bünde und die Einweihung der Widukindgedächtnisstätte 1939. Wie überhaupt in Texten und Reden aus dieser Zeit spürt man, sicher auch bedingt durch die bedrängten Lebensverhältnisse, dass in der Bevölkerung das Gefühl einer Niederlage und einer Schmach stärker verbreitet war, als die Freude oder zumindest Erleichterung über das Ende der Nazidiktatur mit all ihren menschenverachtenden Auswüchsen. Unter diesem Aspekt ist auch der Beitrag „Die Tage des Zusammenbruchs“ von Gustav Jürging sowie sein Geleitwort zu sehen.
Mit gleich drei Beiträgen ist Rolf Dircksen vertreten, von denen zwei besonders bemerkenswert sind: „Die Landschaft um Enger – ihr Antlitz, ihr Werden und ihre Wandlung“ und „Das Bunte Jahr – Bilder aus der heimatlichen Natur im Wechsel der Jahreszeiten“. Denn Dircksen war nicht nur Wissenschaftler und Naturliebhaber, sondern vor allem ein Meister der Sprache mit einer besonders feinen Beobachtungsgabe, was diese beiden Texte auch heute noch lesenswert macht. Dircksen war zu der Zeit Oberstudienrat an der Oberschule in Enger. Später lehrte er an der Pädagogischen Hochschule Bielefeld und bildete Biologielehrerinnen und -lehrer aus und begeisterte sie für die Natur mit all ihren Facetten.
Naturgemäß ist der Teil mit den Engerschen Widukindsagen sehr umfangreich, auf 50 Seiten zusammengetragen von dem Bielefelder Studienrat i.R. Hermann Hartwig.
An kürzeren Beiträgen kommen hinzu die Erinnerungen an eine Kindheit in Enger, volkskundliche und kunstgeschichtliche Beiträge, Berichte aus den Kirchengemeinden, aus Wirtschaft, Schulwesen und Vereinsleben, auch ein Beitrag über „Enger und seine Flüchtlinge“ wurde aufgenommen. Geschichten und Gedichte auf Platt runden das Ganze ab.
Das Buch ist bei Bertelsmann erschienen
Im Herforder Kommunalarchiv sind noch Mappen mit Unterlagen rund um die Tausendjahrfeier vorhanden. Anhand der dort erhaltenen Dokumente lässt sich auch heute noch bestens nachvollziehen, was für ein Kraftakt allein für die Realisierung dieses Buchprojektes erforderlich war, und wie viel mehr es erst noch für die Planung, Vorbereitung und Durchführung der gesamten Tausendjahrfeier bedurfte.
Aus einem der im Archiv erhaltenen Protokolle des besagten Hauptausschusses geht hervor, dass ursprünglich sogar geplant war, das Buch im Selbstverlag der Stadt Enger erscheinen zu lassen. In dem Fall hätte es aber aufgrund der erforderlichen und auch bereits erteilten Druckgenehmigung durch das Wirtschaftsministerium in Düsseldorf eine „Begrenzung auf 126 Textseiten“ statt der geplanten 400 Seiten gegeben.
In diesem Protokoll vom 26. Februar 1948 ist weiter zu lesen: „Um den vorgesehenen Umfang der Festschrift trotzdem sicherzustellen, hat Herr Wilhelm Strack mit der Firma Bertelsmann, Gütersloh, Besprechungen geführt. Das Ergebnis ist folgendes: Die Festschrift erscheint nunmehr im Verlag Bertelsmann; also nicht mehr im Selbstverlag der Stadt Enger, der Umfang der Festschrift kann wie vorgesehen durchgeführt werden.
Es ist lediglich Einverständnis zu dem Wortlaut der Artikel vor dem Druck bei Bertelsmann einzuholen, die Firma Bertelsmann verlangt für dieses Entgegenkommen keine Bezahlung in Form eines Festbetrages je Buch der Auflage; sie erhält lediglich eine geringe Zahl Bücher kostenlos für ihre Archive und für interessierte Angehörige ihres Betriebes.“
Besatzungsmächte tolerierten den „Grauen Markt“
In den Sitzungen des Hauptausschusses waren auch immer wieder sogenannte Kompensationsgeschäfte ein Thema. Die bildeten damals, mit Duldung der Besatzungsmächte, den sogenannten „Grauen Markt“, ohne den weder die bescheidene Nachkriegsindustrie noch das Handwerk funktioniert hätten. Für die Tausendjahrfeier hieß das beispielsweise, dass der Gestalter Jupp Ernst persönlich nach Hannover fahren sollte, um dort Zigarren aus Enger gegen Farben zu tauschen, damit seine Plakatentwürfe überhaupt gedruckt werden können.
Da auch die Kompensationsgeschäfte im Hinblick auf die Tausendjahrfeier immer mehr wurden und das Ganze drohte, unübersichtlich zu werden, beschloss der Hauptausschuss in seiner Sitzung vom 22. April einen Ausschuss für Kompensationsangelegenheiten zu bilden, um Zuständigkeiten zu klären und vor allem den Überblick zu behalten.
Auch kam in der Sitzung die Frage auf: „Was geht an Zahlungsverpflichtungen in die neue Währung?“ Alle wussten, dass der Währungswechsel kommt, und auch wenn keiner sagen konnte, wann genau der „Tag X“ sein wird, war davon auszugehen, dass die Feier erst danach sein würde, während sämtliche Finanzierungskonzepte noch auf der Reichsmark basierten.
Man tappte vollkommen im Dunkeln, so mutmaßte noch am 17. Juni der Geschäftsführer einer Bielefelder Werbefirma im Gespräch mit einer Delegation der Stadt Enger, dass die Umstellung von Reichsmark auf D-Mark wohl erst am 27. Juni sein würde. Wie wir heute wissen, war sie dann doch schon am 20. Juni, so dass ab dem 21. Juni die D-Mark alleiniges gesetzliches Zahlungsmittel war.
So ist es nicht verwunderlich, dass es damals in der Bevölkerung unterschiedlichste Gerüchte gab, Waren gehortet wurden oder wenn sie doch verkauft wurden, dann in der Regel zu völlig überteuerten Preisen. Kompensationsgeschäfte bekamen so eine noch größere Bedeutung als sie ohnehin schon hatten.
Und da nach wie vor Papier als Rohstoff knapp war, und der Druck – wie bekannt – nur im Tausch gegen Altpapier zu realisieren war, die allgemeine Sammlung aber nicht ausreichte, kam man zusätzlich auf die Idee, den Preis für das Festbuch zu staffeln: Wer 3 kg Altpapier abliefert, bekommt das Buch für 6 DM und alle anderen müssen 7 DM bezahlen.
Erste Exemplare für auswärtige Gäste reserviert
Trotz aller Widrigkeiten ist das Buch rechtzeitig fertig geworden und auch im geplanten Umfang erschienen: 400 Seiten, 36 Bildseiten, Messtischblatt, Auflage 5.000 Stück.
Da nicht die gesamte Auflage auf einmal geliefert werden konnte, wurde die Engeraner Bevölkerung zu Beginn der Feierlichkeiten gebeten, noch etwas mit dem Kauf und der Abholung der Vorbestellungen zu warten und die ersten verfügbaren Exemplare den auswärtigen Gästen zu überlassen.
Auch heute noch werden vereinzelt Exemplare antiquarisch angeboten, der Preis liegt meist um die 10 Euro, bei besonders gut erhaltenen Exemplaren auch bei bis zu 50 Euro. Selbst letzterer Preis spiegelt aber heute in keiner Weise die Bedeutung und den Wert wider, den das Buch 1948 für die Stadt Enger hatte, und auch nicht den Wert, den es heute als zeitgeschichtliches Dokument dieser Phase der deutschen Nachkriegsgeschichte hat.
Zuerst erschienen in: HF-Magazin. Heimatkundliche Beiträge aus dem Kreis Herford, Nr. 127, 13.12.2023, herausgegeben von der Neuen Westfälischen.
Link: https://www.kreisheimatverein.de/wissen/hf-magazin/