220 Jahre Haus „Linkerhagen 11“ in Rödinghausen. Die bewegte Geschichte eines Hauses und seiner Menschen

13.02.2024 Niklas Regenbrecht

Die Inschrift im Balken zeugt vom Stolz der Erbauer und seiner heutigen Besitzer (Foto: Gemeindearchiv Rödinghausen).

Barbara Düsterhöft

In den mittlerweile 220 Jahren seines Bestehens hat das Fachwerkhaus „Linkerhagen 11“ (früher „Rödinghausen 80“) viel erlebt. So wechselten im Laufe der Jahrzehnte naturgemäß seine Eigentümerinnen und Eigentümer, am Aussehen und an der Größe wurde gearbeitet und verändert und möglicherweise hat es sogar seinen Standort gewechselt. Das heißt, eventuell ist der ganze Kotten innerhalb Rödinghausens umgezogen. Dies wäre natürlich für ein Haus die größte und außergewöhnlichste Veränderung seines Lebens.

Seine Geschichte beginnt Anfang des 19. Jahrhunderts. Im Jahr 1803 wurde der Kotten von Hermann Heinrich Möllering (1748-1807) und seiner zweiten Frau Anna Margaretha Elisabeth (1777-1832) erbaut. Dies ließen die Eheleute auch stolz über dem Deelentor verewigen. Hier ist auch heute noch zu lesen:

„HERMAN HENRICH MÖLLERING MODO BERGMEIER UND SEINE EHLIGE HAUSFRAUE ANNA MARGRETA ELISABETH BRÜNGERS HABEN DIES ZIMMER BAUEN LASSEN IM OCTOBER 1803“

Bei dem Zusatz „modo“ in der Inschrift handelt es sich um einen „Genanntnamen“. Das heißt, Hermann Heinrich hieß mit Nachnamen Möllering wurde aber Bergmeier genannt, da er 1777 (in erster Ehe) auf den Hof Bergmeier (Rödinghausen Nr. 6) einheiratete. Solche Genanntnamen hatten bis Anfang des 19. Jahrhunderts bei Hofbesitzern sowohl die Funktion einer Adresse als auch die eines Familiennamens. In manchen Regionen war die Bindung des Namens an den Hof sogar so stark, dass der tatsächliche Familienname völlig dahinter zurücktrat und verlorenging.

Beim ursprünglichen Gebäude handelte es sich um ein klassisches Fachwerk-Zweiständerhaus mit 9 x 9 Metern Grundfläche und einer großen Deele als Zentrum des Hauses. An diese schlossen sich rechts und links die Stallungen und (Wohn-)Kammern und am Kopfende das „Flett“ an, auf dem die Küche untergebracht war. Heute ist von diesen Ursprüngen allerdings nur noch die Ostseite mit der Inschrift über dem Deelentor im Original erhalten.

Wenn die Einträge in den Kirchenbüchern korrekt sind, hat das Ehepaar allerdings nie selbst in dem Haus gewohnt, sondern, so wie auch der spätere Hoferbe Jobst Heinrich, immer auf dem Hof Bergmeier. Vermutlich war es wohl entweder als Kotten für Heuerlinge oder aber als Altenteil für Hermann und Anna gedacht gewesen.

Auffällig am erhaltenen Fachwerk ist eine heute noch erkennbare Markierung die als „N“ gelesen werden kann. Wenn man davon ausgeht, dass es sich um ein Zeichen der Zimmerleute für „Norden“ handelt, könnte das entweder bedeuten, dass der Kotten bereits an einer anderen Stelle mit dem Deelentor Richtung Norden stand, oder dass das vorbereitete Gebälk zunächst für einen anderen Bauplatz vorgesehen gewesen war. Auch wenn diese beiden Annahmen nicht richtig sein sollten, so ist die Ausrichtung des Hauses auf jeden Fall ungewöhnlich. Denn üblicherweise waren die damals mit Stroh gedeckten Gebäude in Nord-Süd-Richtung ausgerichtet, um eine bessere Abtrocknung der Dacheindeckung zu erreichen. Sicher ist zumindest, dass sich das Haus 1837 bereits am heutigen Standort befand, da es im damals verfassten Kartenblatt, der „Preußischen Uraufnahme“, bereits hier eingezeichnet ist.

1892 wurde der Kotten durch den Urenkel Jobst Heinrich Nieberg an den Maurer Karl Wilhelm Holtmeier (1865-1905) verkauft. Aus dessen Bauantrag aus dem Jahr 1894 und der zugehörigen Bauskizze geht hervor, wie er das Haus für sich und seine Familie um- und ausbaute. Als Ersatz für die im Haus gelegenen Stallungen wurde ein kleiner Anbau an der Ostseite des Hauses, direkt neben dem Deelentor, an die Hauswand angesetzt. Damit wurde im Inneren deutlich mehr Platz für die menschlichen Bewohner geschaffen, was ganz dem damaligen Zeitgeist und Wunsch nach mehr Hygiene und Komfort entsprach. Zusätzlich wurde die Wohnfläche durch die Versetzung der nördlichen Hauswand um einen Meter nach außen vergrößert. Das erforderte natürlich auch eine Anpassung des Daches, das dafür an der Nordseite abgeschleppt wurde, d.h. es wurde eine zusätzliche Dachfläche angesetzt. Dabei wurde dann auch die alte Stroheindeckung entfernt und durch Hohlziegel auf Strohdocken ersetzt. Zeitgleich wurden vermutlich nicht nur die neue Nord- sondern auch die Süd- und Westseite mit rotem Holser Klinker aufgemauert. Nur der Ostgiebel blieb noch in seiner ursprünglichen Form als Fachwerk bestehen.

Da Wilhelm Holtmeier bei seinem frühen Tod 1905 noch unter seiner alten Wohnadresse geführt wurde, lässt sich vermuten, dass er den Einzug in sein neu umgebautes Haus nicht erlebt hat. Allerdings kann es sich bei diesem Eintrag auch um einen Fehler handeln, denn Tochter Lina wurde 1904, also ein Jahr vor seinem Tod, bereits hier geboren. Sie wurde dann auch nach dem Tod der Mutter 1948 für die nächsten 35 Jahre neue Eigentümerin und Bewohnerin des Hauses.

Undatierte Ansicht des Kottens (Foto: Gemeindearchiv Rödinhausen).

In den folgenden Jahrzehnten gab es als einzige weitere größere Veränderung am Haus einen zusätzlichen kleinen Flachdachanbau an der Westseite. Dieser Anbau mit direktem Ausgang zum Garten war zusätzlicher Vorratsraum, Waschküche und Windfang.

1983 schienen die Tage des Hauses so gut wie gezählt. Wie aus den Plänen des damals beauftragten Architekten hervorgeht, war durch die Erben ein erneuter umfangreicher Umbau des Hauses geplant. Dieser hätte das Aussehen im Inneren und Äußeren so grundlegend verändert, dass es eher einem Neubau geglichen hätte. Allerdings wurden diese Pläne dann doch nicht umgesetzt und das Haus stattdessen ein Jahr später an die heutigen Bewohner Erdmute und Wolfgang Ukley verkauft.

Durch sie wurde das Haus, immer mit Blick auf historische Details eines traditionellen Fachwerkkottens, in den folgenden Jahren umfangreich saniert und ausgebaut. Auf der Ostseite wurde das teilweise unter Putz verborgene Fachwerk und der Torbalken mit der Inschrift wieder frei gelegt, die fehlenden Kopfbänder des Tors ergänzt und eine neue Eingangstür im Stil einer historischen Deelentür eingebaut. Außerdem wurden, im Stil des auf alten Fotos belegten Vorbilds aus den 50er Jahren, neue Sprossenfenster eingebaut. Der mittlerweile marode Stallanbau wurde abgerissen und in seiner alten Form wieder neu aufgebaut, vor die drei von Wilhelm Holtmeier gemauerten Außenwände wurden neue Wände gesetzt, die in der Optik dem ursprünglich verwendeten Holser Klinker nachempfunden sind. Darüber hinaus wurden die Grund- und Wohnfläche durch den Anbau einer Loggia im ersten Stock und den Ausbau des Dachgeschosses erneut deutlich vergrößert. Auch technisch und energetisch wurde das Haus auf den neuesten Stand gebracht. Während beim Kauf 1987 nicht einmal fließend Wasser vorhanden war und sich die Toilette noch ohne direkten Zugang vom Haus aus im ehemaligen Stall befand, sind moderne Sanitäreinrichtungen sowie Strom- und Wasserversorgung für die heutigen Besitzer kein Thema mehr.

Ähnlich stolz wie die ersten Eigentümer brachte Familie Ukley als krönenden Abschluss der Arbeiten an der Deelentür die zusätzliche Inschrift an:
„ERNEUERT 1990 DURCH ERDMUTE UND WOLFGANG UKLEY“.

 

Zuerst erschienen in: HF-Magazin. Heimatkundliche Beiträge aus dem Kreis Herford, Nr. 127, 13.12.2023, herausgegeben von der Neuen Westfälischen.

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