Jahresschwerpunkt 2025 Sammeln und Aufbewahren: 30 Jahre feministisches Frauen- und Lesbenarchiv ausZeiten

07.03.2025 Christiane Cantauw

Blick auf das Archiv ausZeiten (Foto: Aleksandra Stojanoska).

Aleksandra Stojanoska

Seit der Gründung des feministischen Frauen- und Lesbenarchivs ausZeiten sind 30 Jahre vergangen. 30 Jahre des Sammelns, Aufbewahrens und des Sichtbarmachens von Frauen in der lokalen und regionalen Geschichte. Dies nehmen wir zum Anlass, hinter die Kulissen des Archivs zu blicken. Freundlich begrüßt werden Nutzer:innen von Rita Kronauer, Mitgründerin des Archivs, die Einblicke in die Geschichte und die Arbeit des Archivs ermöglicht.

„Bunt“ ist die erste Assoziation, die Besucher:innen beim Eintreten in das feministische Frauen- und Lesbenarchiv durch den Kopf geht. Im Gegensatz zu vielen anderen Archiven, die sich durch Regale voller grauer, nur mit Nummern versehener Archivboxen auszeichnen, lädt das Archiv ausZeiten förmlich dazu ein, in den farbig sortierten und thematisch beschrifteten Ordnern zu stöbern. Ganz nach dem Motto, ein Ordner - ein thematischer Schwerpunkt, vereinfacht das Archiv die Recherche, auch für ein breiteres Forschungsinteresse. Ziel des ungewöhnlichen Zugangs ist es, Hemmschwellen abzubauen, mit denen vor allem Erstnutzer:innen von Archiven zu kämpfen haben. Beim nicht unbedingt zielgerichteten Stöbern findet sich manch Unerwartetes, das zum Ausgangspunkt weiterer Recherchen genommen werden kann. Gleichzeitig bietet dieser Zugang Nutzer:innen mit klarer Themenvorgabe die Möglichkeit gezielt nach Informationen zu suchen.

Grundstock des Archivbestands bilden private und von Gruppen betriebene Sammlungen aus der autonomen Frauenbewegung. Rita Kronauer erzählt, dass in den 1970er und 1980er Jahren jede Frauengruppe der Frauen- und Lesbenbewegung Zeitungsausschnitte, Korrespondenzen, Protokolle etc. sammelte, um ihre politischen Aktivitäten zu dokumentieren. Für diese Sammlungen wurde nach der Auflösung vieler Gruppen eine Aufbewahrungsmöglichkeit gesucht. Aus diesen Bemühungen entstand das ausZeiten-Archiv.

Blick auf die Beschriftungen der Bestände (Foto: Aleksandra Stojanoska).

Von Beginn an wurde also ein großes Spektrum an Quellen gesammelt: Vom Flugblatt, mit dem 1975 auf Bochums Straßen gegen das Gerichtsurteil, das die Fristenreglung für Abtreibungen als verfassungswidrig erklärte, protestiert wurde über eine Broschüre, mit der 1976 Gewalt gegen Frauen in den öffentlichen Diskurs getragen wurde bis hin zu einem Aufruf zum 2. Kongress Frauen gegen Gen- und Reproduktionstechnologien von 1988. All dies zur Zweiten Frauenbewegung der 1970er und 1980er Jahre sowie eine Vielzahl weiterer Unterlagen lassen sich im ausZeiten finden.

Da das Archiv in Eigeninitiative aus der Frauenbewegung entstanden ist, wird es auch als Bewegungsarchiv bezeichnet. Die Bestände des Archivs umfassen heute sechs zentrale Bereiche: Nachlässe von Gruppen und einzelnen Frauen, Zeitungsausschnitte, graue Literatur (im weitesten Sinne), zu der beispielsweise auch Flugblätter gehören, regionale und internationale Zeitschriften, Plakate zu Filmen, Ausstellungen und frauenpolitischen Anlässen sowie eine große Film-Sammlung, alles ergänzt durch Bücher und Broschüren.

Im Bewegungsarchiv, in dem zurzeit 14 ehrenamtlich tätige Mitarbeiterinnen arbeiten, kann zu einer großen Bandbreite an Themen wie Frauen in der Kunst, Kultur und Wissenschaft, Lesben, Frauen mit Behinderung, Migrantinnen, geflüchteten Frauen und zur (regionalen) Geschichte der Frauenbewegung recherchiert werden. Auch das Themenfeld Gesundheit ist zentraler Bestandteil des Archivs, worunter Bestände zu Frauenarbeit in Gesundheitseinrichtungen oder über geschlechtsspezifische Krankheiten zu finden sind. Regionaler Schwerpunkt sind Bochum und das Ruhrgebiet.

Frauenkalender in Taschenbuchformat (Foto: Aleksandra Stojanoska).

Zielsetzung der Archivbetreiberinnen ist es, nicht nur für die Frauen(forschung) relevantes Material zu bewahren, sondern auch eine breite Öffentlichkeit zu informieren und Interessierte zu vernetzen. Dies gelingt vor allem durch konkrete Projekte und Angebote. Ein zentrales Angebot sind beispielsweise die Bochumer Frauenstadtrundgänge, die seit 17 Jahren von Linda Unger durchgeführt werden. Dabei kommt sie mit unterschiedlichen Menschen ins Gespräch und kann für eine feministische Perspektive auf die Bochumer Stadtgeschichte Interesse wecken. Nicht zuletzt lässt sich auf solchen Stadtspaziergängen auch die Arbeit des Archivs erläutern.

Frauen sind immer noch in der öffentlichen Erinnerung unterrepräsentiert. Durch die Archivarbeit und die Frauenstadtrundgänge gelingt es, sie und ihre Perspektiven in der Erinnerungskultur der Stadt wahrnehmbar zu machen. Ein Ergebnis dieser Arbeit ist beispielsweise die durch den Beirat „Frauen, Geschlechtergerechtigkeit und Emanzipation“ durchgesetzte Umbenennung des Clubraumes der Volkshochschule Bochum, der auch als Briefwahlbüro dient, in Lore-Agnes-Raum. Lore Agnes (1876-1953) war SPD-Politikerin, Widerstandskämpferin im Nationalsozialismus und setzte sich als Aktivistin für Frauenrechte ein. Hier zeigt sich, dass Archivarbeit aktiv die Erinnerungskultur mitgestalten kann. Um Frauen und ihre Verdienste gesamtgesellschaftlich wahrnehmbarer zu machen, werden seitens des Archivs auch jedes Jahr mehrere historische Persönlichkeiten als Briefmarkenmotive beim Bundesfinanzministerium vorgeschlagen. Ein Beispiel hierfür ist 2020 die Marke von Lore Lorentz (1920-1994), Kabarettistin des Düsseldorfer „Kom(m)ödchen“.

Quellen zu sammeln, zu inventarisieren und Besucher:innen zugänglich zu machen, reicht aber nicht aus, um in der heutigen Zeit wahrgenommen zu werden. Wichtig ist es auch, digitale Zugänge zu den Sammlungen zu schaffen und im Internet einer breiten Öffentlichkeit anzubieten. Dies geschieht über die Meta-Datenbank des DDF (Digitales Deutsches Frauenarchiv). ausZeiten ist Teil des i.d.a.-Dachverbands (informieren, dokumentieren, archivieren), zu dem sich Archive, Bibliotheken und Dokumentationsstellen zu Lesben- und Frauengeschichte aus ganz Deutschland, Italien, Luxemburg, Österreich und der Schweiz zusammengeschlossen haben. Im META-Katalog lassen sich seit 2015 die Bestände des Netzwerks recherchieren.

Neben ausZeiten gibt es in Bochum noch zwei weitere feministische Archive mit jeweils unterschiedlicher Schwerpunktsetzung: Queer*Feministische Bibliothek und Archiv LIESELLE sowie das Madonna – Archiv und Dokumentationszentrum SEXARBEIT. Um sich namentlich unterscheidbar vom damals sogenannten Frauenarchiv (heute LIESELLE) zu machen, entschied sich ausZeiten gleich zu Anfang für diesen Namen. ausZeiten – der Name beschreibt die Idee sowie den Entstehungszusammenhang des Archivs. Es soll ein Ort sein, der dazu einlädt sich eine Auszeit (oder mehrere) zu nehmen, um in Zeitungen zu stöbern und Materialien aus verschiedenen Zeiten zu sichten. Mit dem Begriff wird außerdem auf das Ausschneiden aus Zeitungen hingewiesen, eine Tätigkeit der meisten Mitarbeiterinnen damals. Mit den drei Archiven bildet Bochum ein Zentrum feministischer Geschichts(sammel)arbeit. Gleichzeitig ist die Stadt auch der letzte Standort noch bestehender Frauen-Archive in Westfalen. Zwar gab es in den 1990er Jahren noch zwölf Frauen-Archive in Westfalen, diese lösten sich aber nach und nach als eigenständige Einrichtungen auf. Viele der Bestände, beispielsweise des Lesbenarchivs Lara (Bielefeld) oder des Frauen-Internationalismus-Archivs (Dortmund) wurden nach der Auflösung dem ausZeiten-Archiv übergeben und stehen so weiterhin zur Verfügung.

Das ausZeiten ist kein geschlossenes Archiv, sondern hier wird bewusst und aktiv weitergesammelt. Dabei wird an Grenzen gestoßen, die wohl jede:r Archivar:in kennt: Der Platz wird knapp. Deshalb können Veranstaltungsformate wie Filmvorführungen, die zuvor in den Räumlichkeiten des Archivs stattfanden, kaum noch durchgeführt werden.

Um der räumlichen Enge entgegenzuwirken, hat ausZeiten seit 2018 ein Depot angemietet, so dass weiter gesammelt werden kann – nicht zuletzt deshalb, um auch heute lebende Frauen und ihre Arbeit zu dokumentieren. Dies geschieht zum Beispiel über Aufrufe und persönliches Ansprechen, in denen darum gebeten wird, Nachlässe und relevante Materialien an das Archiv zu übergeben. Wichtige Sammlungsgebiete sind beispielsweise Quellen zur künstlerischen und kuratorischen Arbeit von Frauen (Flyer, Programmhefte, Plakate etc.).

Diverse Flyer von ausZeiten (Foto: Aleksandra Stojanoska).

ausZeiten leistet wichtige Geschichtsarbeit, die durch ehrenamtliches Engagement getragen wird. Digitalisierungsvorhaben, Forschungsprojekte, die Anmietung von Räumlichkeiten und vor allem die zeitlichen Kapazitäten von (ehrenamtlichen) Mitarbeiterinnen sind jedoch immer an monetäre Mittel geknüpft, die vor allem über Spendengelder zusammenkommen müssen.

Die Öffnungszeiten des Archivs sind dienstags und donnerstags von 15 Uhr – 18 Uhr. Es wird gebeten sich vorab per Mail oder telefonisch anzumelden.