Der Kaiser, eine Bootstour und "Plommi"

07.01.2020

Atelierfotografien im Archiv für Alltagskultur

Kathrin Schulte

Die 1837 durch den französischen Maler Louis Jacques Mandé Daguerre erfundene Daguerreotypie gilt als Beginn der Fotografie. Zwar wurden zeitgleich auch andere Verfahren mit vergleichbaren Effekten erfunden, die Daguerreotypie setzte sich jedoch durch. Die anfangs mit sechs bis sieben Mecklenburgischen Talern pro Foto (ein genauer Vergleich ist schwierig, eine Internetrecherche ergab 1855 einen Jahreslohn einer Magd in Höhe von 20 – 30 Talern) sehr teuren Aufnahmen waren für einen großen Teil der Bevölkerung kaum bezahlbar. Wer es sich jedoch leisten konnte, der gab vor allem Portraitaufnahmen in Auftrag, stellten diese doch eine Alternative zu Gemälden dar. Die Fotograf*innen (auch Frauen fassten von Beginn an in diesem Berufsfeld Fuß) boten ihre Arbeit vielfach vor Ort (direkt bei den Kunden oder auf Märkten) an. Ab den 1860er Jahren ließen sie sich dann zunehmend in Ateliers nieder. Oft übten sie mehrere Berufe nebeneinander aus, da sie von der Fotografie nicht leben konnten. 

In den 1870er Jahren entwickelte sich eine regelrechte Industrie, die Fotoateliers mit Möbeln und Kulissen versorgte und so die zuvor von Kunstmalern gefertigten Atelierhintergründe ablösten. Auch gab es in größeren Ateliers Umkleideräume mit Kostümen, Requisiten und Halterungen, die das Stillstehen erleichterten. Besonders beliebt und durch ihre geringe Größe auch für die Massen erschwinglich waren Portraitfotografien im Visitenkartenformat, von denen 1879 beispielsweise 40 Millionen in Deutschland produziert wurden. Diese Fotos wurden untereinander getauscht, in reich verzierten Alben gesammelt und sie stellten auch beliebte Geschenke dar. Alben mit Fotografien der eigenen Familie, der Freunde und Verwandten und nicht zuletzt auch mit Fotografien der königlichen Familie oder Militärs und Prominenter wurden gern hergezeigt und steigerten das Prestige ihrer Besitzer*innen. Gern wurden die Fotografien auch mit Widmungen wie „Mit freundlichem Gruß“ oder „Prosit Neujahr“ versehen und als Postkarte verschickt.

Vor allem die Atelierfotografie war anfangs geprägt von recht steifen, standesgemäßen Posen und dem Versuch, zum Zweck der eigenen Aufwertung höfische Posen zu imitieren. Gesten der Nähe und Intimität gehen über die auf der Schulter abgelegte Hand selten hinaus. Um 1900 änderte sich dies, zumindest sollte in der Portraitfotografie fortan das Individuum statt seines Status im Fokus stehen. Doch dies sollte nicht die einzige Veränderung bleiben: Kameras wurden für eine steigende Zahl von Menschen erschwinglich. Im Ersten Weltkrieg entwickelte sich außerdem der Fotojournalismus, woraufhin die Kunden der Ateliers nun wie ihre in den Zeitungen abgebildeten Vorbilder fotografiert werden wollten. Preislich liegen Fotografien im Jahr 1910 bei sechs Mark für ein Bild im Format 9x12 cm. Zum Vergleich: Eine Mark entspricht vor den Ersten Weltkrieg ca. 4,70€, der Wochenverdienst einer Wäscherin beträgt ca. 10 bis 15 Mark, ein Arbeiter in der Hochlohnbranche erhielt 1913 ca. 40 Mark pro Woche.

Und trotzdem: Bis zum Zweiten Weltkrieg war der Besuch eines Fotoateliers für viele Menschen alles andere als alltäglich. Dem besonderen Anlass entsprechend wählten die Kund*innen für die Aufnahmen meist ihre beste Kleidung aus. In unserem Archiv sind Atelieraufnahmen von Männern, Frauen und Kindern oder auch von Paaren und Gruppen überliefert. Dass jemand aber einen Begleithund, also keinen Jagd- oder Zuchthund, im Atelier ablichten ließ, dafür gibt es in unserem Archiv nur ein einziges Beispiel: Es handelt sich um einen Hund namens Plommi, der mit seinem Besitzer in Berlin wohnte. Die in Westfalen ansässige Schwester des Besitzers wurde offenbar per Brief regelmäßig über das Befinden von Plommi auf dem Laufenden gehalten. In den 1920er Jahren erhielt sie dann auch ein Foto von Plommi, der dafür offenbar in einem Fotoatelier Modell gesessen hatte.

Davon, dass es Plommi gut ging, konnte sich seine westfälische „Tante“ nun per Foto überzeugen.

Fortsetzung folgt!

 

Literatur:

Baier, Wolfgang: Welch herrliches Helldunkel!: Die Frühzeit der Photographie in Mecklenburg. Schwerin 2006.

Küster, Bernd (Hrsg.): "Ich sehe eben anders": Fotografie in Nordwestdeutschland im 20. Jahrhundert. Bremen 2006.