Neu ist immer besser – oder?
Bestandsimmobilien im Fokus
Kathrin Schulte
Ein Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche von über 200 Quadratmetern und großem Garten auf dem Dorf, eine Doppelhaushälfte mit prominenter Nachbarschaft in der Kleinstadt sowie ein in die Jahre gekommenes Häuschen mit altem Baumbestand auf einem Grundstück in Großstadtnähe – all diese Immobilien konnten sich aus verschiedenen Gründen gegen Neubauprojekte durchsetzen. Mit den Bewohner*innen und ihrem Motiven für den Kauf, den Immobilien und den damit verbundenen Arbeiten beschäftigt sich ein Projekt der Volkskundlichen Kommission für Westfalen.
Eigentlich ist Deutschland Mieterland: Obwohl sich nach Angaben von Spiegel Online 84 Prozent der Deutschen Wohneigentum wünschen, verfügten 2010 nur etwa 45 Prozent über eine Immobilie. In anderen europäischen Ländern ist die Situation eine andere: In Großbritannien besaßen zur gleichen Zeit ca. 70 Prozent, in Irland sogar 75 Prozent der Bevölkerung Wohneigentum. Die Gründe sind vielfältig und teils historisch gewachsen. Und auch, wenn seit Ende des Zweiten Weltkriegs in der Bundesrepublik von staatlicher Seite allerhand unternommen wurde, um die Bevölkerung zum Kauf von Wohneigentum zu bewegen, so ist die Wohneigentumsquote in Deutschland im europäischen Vergleich nach wie vor niedrig. Nicht zuletzt waren die politischen Anstrengungen sie zu heben von der Hoffnung getragen, möglichst breite Bevölkerungsschichten an den Vorteilen des Kapitalismus teilhaben zu lassen, um diese gegen politisch extreme Positionen zu immunisieren.
Die mit Hilfe von Wohnbauförderung, städtischer Erschließungspolitik, Pendlerpauschale und Baukindergeld realisierten Einfamilienhäuser im Grünen, die in den 1950er bis 1980er Jahren gebaut wurden, stellen Städte und Gemeinden gegenwärtig allerdings vor nicht eben kleine Herausforderungen. Der Traum vom Haus entspricht für viele Familien einem nach eigenen Vorstellungen gestalteten Neubau. Was aber passiert mit den vielen älteren Immobilien, die nach dem Tod, dem Wegzug oder der Ehescheidung ihrer Besitzerinnen und Besitzer leer stehen und Käufer*innen suchen? In den Städten und Gemeinden nicht nur in Westfalen werden fortwährend Neubaugebiete ausgewiesen, während vielerorts Siedlungen mit Bestandsimmobilien der 1950er bis 1980er Jahre überaltern oder teilweise sogar leer stehen, obwohl ihre Nutzung deutlich ressourcenschonender ist als der Bau neuer Immobilien.
Wie viel Potenzial in Bestandsimmobilien steckt, hat die Gemeinde Hiddenhausen bei Herford erkannt und das Programm „Jung kauft Alt“ ins Leben gerufen, nachdem 2007 im Rahmen einer Erhebung die Existenz von fast 100 leerstehenden älteren Häuser festgestellt wurde. Nun gibt es einen Bonus für den Kauf älterer Häuser, Neubaugebiete werden nicht mehr ausgewiesen, wodurch die Gemeinde Kosten für die entsprechende Infrastruktur spart. Außerdem haben Familien durch den Kauf der Bestandsimmobilien die Möglichkeit, zentrumsnah zu wohnen, wandern nicht in Randlagen ab und halten die Ortskerne am Leben. Bis zum Mai 2019 wurden bereits über 500 Bestandsimmobilien im Rahmen des Programms „Jung kauft Alt“ verkauft, über die Hälfte der Käufer zog neu in die Gemeinde Hiddenhausen.
Um mehr über die Motive zu erfahren, aus denen Menschen sich für den Kauf einer älteren Immobilie entscheiden, hat sich die Volkskundliche Kommission an einem drittmittelgeförderten Verbundforschungsprojekt beteiligt, bei dem mehrstündige Interviews mit Hausbesitzerinnen und –besitzern geführt wurden. Wir hoffen, dass die Ergebnisse aus diesem Forschungsprojekt unter Bauinteressierten, ArchitektInnen und StadtplanerInnen möglichst breit diskutiert werden, weil sich hiermit Fragen des Umgangs mit Ressourcen verbinden. Im Sinne der Zukunft unserer Städte und Regionen ist es hoch an der Zeit, darüber zu sprechen, wie wir morgen wohnen wollen.
Weitere Information zu dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekt (Förderkennzeichen: 01U=1504B) finden Sie unter www.hausfragen.net und auf der Website der Volkskundlichen Kommission unter www.volkskundliche-kommission.lwl.org.