Ein himmlischer Kalender. Adventskalender von 1947 im Archiv für Alltagskultur

30.11.2021 Niklas Regenbrecht

Adventskalender von 1947 aus Gütersloh, o. T [Zur Erde/Zum Mond], E. Hetzel, Peter Hartmann Verlag, Dresden (Maße: 26,0 x 35,0 cm, Papier auf Pappe), Archiv für Alltagskultur, Bestand Ortjohann.

Ann-Kathrin Holler

Zu Beginn der Vorweihnachtszeit kann die Kommission Alltagskulturforschung einen Adventskalender aus dem Bestand Ortjohann aus Gütersloh als Neuzugang in der Sammlung präsentieren. Genauer handelt es sich um einen Papierkalender (26,0 x 35,0 cm) im Vierfarbdruck mit 24 Papiertürchen, hinter denen sich einzelne Abbildungen verbergen.  Aufschluss über die Entstehungsgeschichte dieses Kalenders geben neben der Papier- und Druckqualität die Genehmigungsnummer und die Datierung auf dem rosafarbenen Rand unten links in der Ecke. Der vom Zeichner E. Hetzel 1945 signierte Kalender wurde 1947 mit einer Auflage von 60.000 Stück im Peter Hartmann Verlag im Landkreis Dresden verlegt und vermutlich im Buch- und Schreibwarenhandel in ganz Deutschland vertrieben. Der gute Erhaltungszustand sowie die Tatsache, dass er über 70 Jahre lang aufbewahrt wurde, zeigen wie wertvoll der Kalender für die Besitzer:innen gewesen sein mag. So finden sich nur wenige Gebrauchsspuren, selbst die kleinen Papiertürchen sind sehr sorgsam geöffnet worden, keines von ihnen fehlt oder „hängt in den Angeln“.

Signatur des unbekannten Künstlers E. Hetzel von 1945 sowie die Auflage- und Genehmigungsnummer des Kalenders aus dem Jahr 1947.

Adventskalender und ihre Vorformen sind etwa seit Mitte des 19. Jahrhunderts in Gebrauch. Sie sollten die Kinder in der Vorweihnachtszeit geistig und seelisch auf das Fest der Geburt Jesu Christi einstimmen. Vielfach verbanden die Kalender religiöse und pädagogische Anliegen, indem beispielsweise ein Tannenbaum täglich mit Versen aus der Bibel bestückt wurde oder die Kinder jeden Tag einen Strohhalm in eine noch leere Krippe legen durften. Auch eine Weihnachtsuhr von 1926 aus Obermassen (Kreis Unna), von der Fotografien im Archiv der Kommission Alltagskulturforschung vorliegen, funktioniert nach diesem Muster. Bei der Uhr handelte es sich um ein Geschenk, welches eine Tante nach einem Vorbild aus der Schweiz für ihre Nichten und Neffen nach bastelte. Die Uhr, welche einen Durchmesser von 29,5 cm misst, wurde aus Papier gebastelt und durch Glanzbilder sowie den Metallzeiger einer echten Uhr ergänzt. Auf zwölf mit schwarzer und roter Tusche gezeichneten Feldern finden sich religiöse Verse und Sprüche, welche die Kinder vom 12. bis 24. Dezember auswendig lernen sollten.

Fotografie einer Weihnachtsuhr von 1926 aus Obermassen, Kreis Unna. Geschenk einer Tante, die die Uhr nach einem Vorbild, das aus der Schweiz stammt, hergestellt hat (Durchmesser 29,5 cm, Papier auf Pappe, Kreise: schwarze und rote Tusche, Glanzbilder, Metallzeiger einer echten Uhr), Archiv für Alltagskultur, Inv.-Nr. 0000.64560.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erhielten die selbstgebastelten Kalender Konkurrenz in industriell gefertigten Produkten. Der Buchhändler Gerhard Lang kam 1903 auf die Idee, einen Kalender als lithografisches Druckblatt gestalten zu lassen und dieses im Verlag von Friedrich Reinhold in München zu verlegen. Im folgenden Jahr erschien so ein Adventskalender dann als Beilage im „Neues Tagesblatt und Generalanzeiger für Stuttgart und Württemberg“. Die Werbebeigabe erfreute sich so großer Beliebtheit, dass von 1908 bis 1938 jährlich unterschiedliche Kalender herausgegeben wurden, die seit den 1920er-Jahren auch Kalendertürchen erhielten. Schnell erkannte man, dass sich die Adventskalender auch dazu eigneten, Produktwerbung und weltanschauliche Inhalte zu verbreiten. So wurde der Adventskalender zwischen 1933 und 1945 unter anderem dazu genutzt, um die nationalsozialistische Ideologie in den privaten Bereich zu tragen. Ebenso wie andere Propagandamaterialien sollten die Adventskalender den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbau veralltäglichen, zu dem der omnipräsente Militarismus ebenso gehörte wie die Verdrängung der Religion. Auf den Adventskalendern waren dementsprechend nicht Engel oder Weihnachtsmänner, sondern völkische Motive, Soldaten, Panzer und Kriegsschiffe abgebildet. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde das Papier knapper, ab 1940 durften nur noch sehr holzhaltiges Papier und Karton für die Herstellung der Kalender verwendet werden, bis der Druck dann völlig eingestellt wurde.

Wie groß das Bedürfnis und die Sehnsucht nach der Rückkehr zu einer unbeschwerten und besinnlichen Weihnachtszeit nach dem Krieg gewesen sein mag, lässt sich anhand des vorliegenden Kalenders erahnen. Ab Oktober 1945 erhielten die Verlage in allen Besatzungszonen von den Alliierten ihre Drucklizenzen zurück. Über den Peter Hartmann Verlag finden sich allerdings nur wenige weitere Informationen. Wann und von wem dieser gegründet wurde, lässt sich leider derzeit nicht sagen. Anhand eines Eintrages in dem Börsenverein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig (vgl. Sächsisches Staatsarchiv, Bestand 21765) lässt sich lediglich nachvollziehen, dass der Verlag um 1945 die Verlagsbuchhandlung von Eberhard Ritter von Riewel übernommen hat. Interessanterweise führen weitere Nachforschungen zu von Riewel zu einem Gerichtsprozess im Jahr 1944. In diesem wurden er und zwei weitere Beklagte der Korruption bezichtigt und verurteilt (die Urteile konnten aus unterschiedlichen Gründen aber nicht vollstreckt werden). Ob hinter dem Peter Hartmann Verlag lediglich ein Strohmann von Eberhard Ritter von Riewel steckte oder aus welchen Gründen von Riewel die Verlagsbuchhandlung verkaufte, ist derzeit noch ungeklärt. Auch über das Verlagsprogramm des Peter Hartmann Verlags lässt sich derzeit noch nichts sagen.

Liebevoll gestaltete Details auf dem Adventskalender zeigen die Werkstatt der Frau Holle und richtungsweisende Schilder wie „zum Himmel“ und „zum Mond“.

In der Nachkriegszeit druckten viele Betriebe, die nicht zerstört waren und Material vorrätig hatten, Adventskalender mit Vorkriegsmotiven. Die politischen Propagandabilder wurden dabei kurzum durch christliche oder unverfängliche Abbildungen ersetzt. Stilistisch ist der uns vorliegende Kalender daher kaum von den Kalendern aus den 1920er Jahren zu unterscheiden. Der Bruch zwischen der Realität in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Deutschland und dem himmlischen Treiben auf dem Kalender könnte aber wohl nicht größer sein.

Hinter dem „Himmelstor“, dem 24. Türchen, befindet sich die Darstellung einer das Jesuskind stillenden Maria.

Dargestellt ist eine Engelschar, die mit weihnachtlichen Vorbereitungen beschäftigt ist. Neben dem zentralen Himmelstor sind die Werkstatt der Frau Holle und richtungsweisende Schilder wie „zum Himmel“ und „zum Mond“ erkenntlich. Hinter dem Himmelstor, dem 24. Türchen, befindet sich die Darstellung einer das Jesuskind stillenden Maria. Diese Darstellung ist in der christlichen Ikonografie als „Maria lactans“ durch zahllose Andachts- und Gnadenbilder seit dem frühen Mittelalter bekannt. Im Verbund mit Frau Holle, dem Nikolaus und den vielen Engelchen ergibt sich eine interessante Gemengelage aus profanen und religiösen Motiven.

Hinter dem 6. Türchen, welches sich auf einem Sack voller Gaben befindet, versteckt sich ein prall gefüllter Nikolausstiefel.

Als emsige Engelschar im Himmel sind geflügelte, wohlgenährte Kinder im Stil eines naiven Realismus zu sehen. Die Zeichnungen weisen eine stilistische Nähe zu den Illustrationen von Fritz Baumgarten auf, der sich in den 1920er Jahren mit seinen Kinder- und Märchenbuchillustrationen großer Beliebtheit erfreute. Die Engelchen bereiten ein von Krieg und Entbehrung gänzlich unbeeinflusstes Weihnachtsfest vor. Sie sind dabei zu sehen wie sie backen, schneidern, basteln und sich im Musizieren üben. In der Himmelsschneiderei werden neben Spielzeug neue Strümpfe und Kleidung angefertigt und auch in der Himmelsbäckerei fehlt es an nichts, während der Weihnachtsmann damit beschäftigt ist, seinen Schlitten mit Geschenken, aber auch mit der berüchtigten Rute zu beladen. Das 6. Türchen, welches sich auf einem Sack voller Gaben befindet, zeigt beim Öffnen einen prall gefüllten Nikolausstiefel. Das abgebildete idealisierte Weihnachtsfest lud Groß und Klein ein, sich an eine unbeschwerte Kindheit zu erinnern und der kalten Realität des Nachkriegsalltags zu entfliehen. Von wirtschaftlicher und sozialer Not ist auf dem Himmelskalender jedenfalls nichts zu sehen.

Vom Himmelstor bergab führt eine Rutschbahn, auf der drei männlich anmutende Engel auf Schlitten und Skiern die Gaben in Richtung Erde bringen. Während sie also mit Transportaufgaben betraut sind, bleiben den weiblichen Himmelshelferinnen Aufgaben wie das Nähen oder Basteln vorbehalten. Die klassische Rollenverteilung der Geschlechter machte 1947 eben auch vorm Himmel nicht halt.

Literatur:

Deutschbein, Christina; Korsten, Nils (2007): Heilige Nacht? Das Weihnachtsfest im Dienst der NS-Propaganda. Begleitband zur Sonderausstellung „Von wegen Heilige Nacht. Das Weihnachtsfest in der politischen Propaganda“ in der Ausstellungshalle des Museumsdorfes Cloppenburg vom 18. November 2007 bis zum 24. Februar 2008. Cloppenburg: Museumsdorf Cloppenburg.

Bühler, Hans-Eugen; Simons, Olaf (2004): Die blendenden Geschäfte des Matthias Lackas. Korruptionsermittlungen in der Verlagswelt des Dritten Reichs. Köln: Pierre Marteau Verlag.  

Peschel, Tina; Bouchette, Gretel; Vanja, Konrad (Hg. 2009): Adventskalender. Geschichte und Geschichten aus 100 Jahren. Husum: Verlag der Kunst Dresden.

Sauermann, Dietmar (1996): Von Advent bis Dreikönige. Weihnachten in Westfalen. Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland, Bde. 93, Münster: Waxmann Verlag.

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