Als den Tecklenburgern das Suppenessen verboten wurde
Frühneuzeitliche Verordnungen sollten zahlreiche Lebensbereich der Menschen ordnen
Christof Spannhoff
Der Suppenkasper aus dem „Struwwelpeter“ hätte dieses historische Ereignis vermutlich sehr begrüßt: Vor 350 Jahren, am 25. September 1669, verbot Graf Mauritz von Bentheim-Tecklenburg (1615–1674) in seinem Herrschaftsgebiet das „Suppenessen“ bei Festlichkeiten. Diese Verordnung dürfte heute Schmunzeln erzeugen und auf ein gewisses Unverständnis stoßen. Denn: Was hatte der Tecklenburger Graf gegen das Löffeln einer Suppe einzuwenden? War auch er ein „Suppenkasper“? Bis heute ist eine „Hochzeitsuppe“ oder eine andere schmackhafte Brühe oft Auftakt eines Festmahls zu verschiedenen Anlässen. Was hat es also mit dieser kuriosen Bestimmung auf sich?
In der Einleitung des Ediktes heißt es, dass zahlreiche Klagen eingekommen seien und auch die bisherige Erfahrung zeige, dass das Suppenessen auf Hochzeiten, Kindtaufen und anderen Gastlichkeiten viel „Unordnung“ nach sich ziehe. Diese Unordnung bestand nach Ansicht des Landesherrn in der „unordentlichen Verschwelgung der Gaben Gottes“, der er nicht länger zusehen wolle. Deshalb solle das Suppenessen bei allen Festlichkeiten aufgehoben werden. Damit gehört das Tecklenburger Verbot des Jahres 1669 in die Reihe frühneuzeitlicher Beschränkungen von Feierverhalten und Luxusverboten. Diese sollten verhindern, dass sich die Untertanen zu Hoch- und Festzeiten aus falschem Ehrgeiz und gesellschaftlichen Repräsentationszwängen über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse hinaus verausgabten. Soziales Elend und Verarmung sollten so vermieden werden. Der Tecklenburger Graf ordnete deshalb folgende Beschränkungen an: Die Gastgeber sollten ihre Gäste erst mittags um elf oder zwölf Uhr einladen und spätestens um neun Uhr abends die Feier beenden. Ferner wurde festgesetzt, dass eine Festlichkeit nicht länger als zwei Tage andauern dürfe. Die Feiern scheinen also zuvor weit ausschweifender gewesen zu sein. Bei einem Verstoß gegen diese Vorgaben wurde eine Strafe von zwei Goldgulden für Gast und Gastgeber fällig. Alle tecklenburgischen Beamten, Wachtmeister und Soldaten waren angewiesen, auf Zuwiderhandlungen zu achten und Missachtungen ohne Ansehen der Person anzuzeigen.
Es drängt sich jedoch der Verdacht auf, dass es sich bei dem verbotenen „Suppenessen“ nicht nur um den Verzehr von Brühe handelte. Und ein Vergleich mit anderen Regionen nährt diese Vermutung. Denn das „Suppenessen“ wurde nicht nur in Tecklenburg untersagt. 1473 findet sich ein Verbot des „Soppenetten“ bei Hochzeiten auch in der Stadt Essen. Es scheint sich hier um eine zusätzliche Festlichkeit gehandelt zu haben, weil man bei Hochzeiten und Beerdigungen damals nicht mehr als zwei Gerichte und Käse den Gästen reichen sollte. Dass bei dem „Suppenessen“ aber nicht zwangsläufig nur Suppe verspeist wurde, zeigt ein Beispiel aus Frankfurt am Main. Dort stand im 16. Jahrhundert die „Morgensuppe“, also ein Frühstück (Anbiss), auf dem obrigkeitlichen Prüfstand, bei der bereits alkoholische Getränke ausgeschenkt wurden. Zu dieser „Suppe“ wurden neben einer Brühe auch gesottene Hühner, weiteres Fleisch und Wein gereicht.
Das Verbot des Tecklenburger Suppenessens 1669 ist also vor dem Hintergrund einer Art obrigkeitlicher „Fürsorgepolitik“ zu sehen. Im Lauf der Frühen Neuzeit strebten die Landesherren danach, möglichst alle Lebensbereiche ihrer „Untertanen“ zu erfassen, zu ordnen und schließlich zu kontrollieren. Die Zeitgenossen bezeichneten diesen Herrschaftsstil als „Gute Policey“. Ziel war vordergründig das Wohl der Bevölkerung, aber eigentlich natürlich des gesamten Staates an sich. Man war seinerzeit der Ansicht, dass Staats- und Volkswohl nur durch das lenkende Eingreifen des Herrschers zu erreichen seien. Diese Epoche wurde von Historikern daher als die Zeit des „Absolutismus“ bezeichnet. Damit war gemeint, dass die aufgestellten Regeln auch wirklich vollständig durch- und umgesetzt wurden. Heute sieht die Geschichtswissenschaft das allerdings differenzierter und bezieht daneben die Rolle der Beherrschten in diesem Prozess mit ein: Nur, wenn die Untertanen die landesherrlichen Vorgaben tatsächlich akzeptierten, waren Verordnungen und Gesetze letztlich auch wirksam. Denn: Ob die Tecklenburger dem auch folgten, was ihnen ihr Graf 1669 hinsichtlich des Suppenessens vorschrieb, das steht auf einem ganz anderen Blatt. Wie man sie kennt, vermutlich nicht…