Christiane Cantauw
Alte Menschen werden fotografisch weniger oft dokumentiert als junge Leute. Aber auch wenn sie weniger Beachtung finden, sind sie in den Städten präsent. Sie unterhalten sich am Straßenrand, warten auf den Bus, kaufen auf dem Markt ein oder spielen im Park Skat. In der diesjährigen Ausgabe von Graugold. Magazin für Alltagskultur präsentieren wir insgesamt elf Schwarzweißfotografien des Fotojournalisten Helmut Orwat, auf denen er alte Menschen in der Stadt ins Bild gesetzt hat.
Der 1938 in Castrop-Rauxel geborene Helmut Orwat war seit 1960 – anfangs freiberuflich, seit 1984 im Angestelltenverhältnis – als Pressefotograf für die Ruhrnachrichten und weitere Zeitungen und Zeitschriften wie beispielsweise den Westfalenspiegel tätig. Als Quereinsteiger in diesen Beruf hatte der gelernte Schreiner sich das nötige fotografische Wissen und Können autodidaktisch angeeignet. Bis zur Jahrtausendwende fertigte er bei Presseterminen und im Auftrag von Redaktionen Tausende von Fotografien, die presserelevante Ereignisse, aber auch fotografische Impressionen zeigen. Von der Brieftaubenzuchtschau über Verkehrsunfälle oder die Übungen der Freiwilligen Feuerwehr bis zu spielenden Kindern oder architektonischen Besonderheiten decken seine Fotografien so ziemlich alles ab, was journalistisch verwertbar war. Alltägliches und Besonderes bilden in seinem umfangreichen Œuvre eine Melange, die den städtischen Fest- und Veranstaltungskalender ebenso dokumentiert wie die Arbeit und Freizeit der Stadtbevölkerung.
Einen Auftrag, alte Menschen zu fotografieren, hat es für Helmut Orwat während seines fast 40-jährigen Berufslebens nie gegeben. Die Fotografien, die für Graugold zusammengestellt wurden, sind zwischen 1974 und 2000 entstanden. Sie zeigen ältere Menschen, Hausfrauen oder Rentnerinnen und Rentner bei der (Haus)Arbeit, im Stadtraum, im Park oder im Kleingarten. Manchmal ergibt sich durch die Aufnahmen ein Kontrast von Modernität und Althergebrachtem oder von Jung und Alt. Nahezu allen Fotografien ist gemeinsam, dass sie die älteren Menschen nicht als defizitär problematisieren (nicht mehr so mobil, nicht mehr so leistungsstark, nicht mehr so ansehnlich etc.), sondern sie als vielseitig interessierte Akteure und Akteurinnen zeigen. Und auch wenn der Schriftsteller Max von der Grün in einem Klassenzimmer oder das in der Einkaufszone hingebungsvoll musizierende ältere Paar innerhalb der Gruppe der älteren Menschen vermutlich eher Ausnahmen darstellten, so haftet auch diesen Fotografien etwas Selbstverständliches an. Gehstöcke, faltige Haut und schwindendes Haar sind in dem fotografischen Kosmos von Helmut Orwat Tatsachen, deren Relevanz gegenüber einem aktiv gestalteten Alltag in den Hintergrund tritt. Wir sehen Menschen, die mitten im Leben stehen – unabhängig von ihrem Alter.
Über 4.000 Fotografien von Helmut Orwat werden in den Bildarchiven des LWL-Medienzentrums und der Kommission Alltagskulturforschung für die Nachwelt aufbewahrt. Sie sind in Onlinedatenbanken erschlossen und recherchierbar. Einen Ein- und Überblick über das fotografische Werk von Helmut Orwat liefert außerdem eine Ausstellung im Schiffshebewerk Henrichenburg, die noch bis zum 4. Februar 2024 zu sehen ist.