Niklas Regenbrecht
Vor 70 Jahren, im Jahr 1951, wurde das Archiv für westfälische Volkskunde (heute Archiv für Alltagskultur) gegründet. „Hier werden Bräuche und Lieder ‚gehortet‘.“ titelte dazu aus Anlass der Einsendung des 1200. Gewährspersonenberichtes das Münsterische Tageblatt am 18.01.1957. „Opas berichten aus alter Zeit“ (Rheinische Post, 21.09.1957), „Sterbendes Brauchtum in Dokumenten“ (Westdeutsche Allgemeine, 11.06.1960), „Alte Leute mit gutem Gedächtnis gesucht“ (Haller Kreisblatt, 27.01.1960) oder schlicht auf den Punkt gebracht: „Sammeln und Ordnen sind die Hauptaufgaben der Arbeit“ (Münsterisches Tageblatt, 24.08.1961). So und in ähnlicher Weise betitelten regionale Zeitungen die Arbeit der Volkskundlichen Kommission und ihres Archivs in den 1950er und 1960er Jahren. Auch wenn diese Schlagzeilen vielleicht nicht unbedingt das damalige Selbstverständnis der Archivmitarbeiterinnen und -mitarbeiter trafen, so zeigen sie doch, wie ihre Arbeit wahrgenommen wurde. Jede runde Zahl an eingegangen Gewährspersonenberichten wurde in jenen Jahren dazu genutzt, die Arbeit des Archivs bekannter zu machen.
Doch zunächst von Anfang an: Im April 1951 nahm das Archiv für westfälische Volkskunde seine Arbeit auf. Der Vorstand der Volkskundlichen Kommission für Westfalen (heute Kommission Alltagskulturforschung für Westfalen) hatte im Dezember 1950 einen entsprechenden Gründungsbeschluss gefasst. Das Archiv wurde der Geschäftsstelle der Kommission angegliedert. Dem vorausgegangen war ein Aufenthalt des Kommissionsvorsitzenden William Foerste in Schweden, wo er in den Jahren 1949 und 1950 eine Gastprofessur an der Universität Lund innehatte. Hier lernte er die Arbeit des dortigen Volkskundearchivs kennen, die sich durch ein besonderes Korrespondentenverfahren auszeichnete. Dabei wurden sogenannte Fragelisten zu bestimmten Themen an ausgewählte Gewährspersonen ausgesendet, die ihre Antworten in Form umfangreicher, persönlicher Berichte verfassen sollten. Diese Methode des „Folklivsarkivet“ wurde im Anschluss auf Westfalen übertragen. Bis in die 1980er Jahre hinein wurden so insgesamt 46 Fragelisten (eine Übersicht findet sich hier) an Gewährspersonen in ganz Westfalen versandt, die in ihren Antworten Schilderungen des alltäglichen Lebens und Brauchtums aus der Zeit zwischen 1880 und 1950 dokumentierten. Dabei waren sie angehalten, ihre subjektiven Erfahrungen und Erinnerungen ausgiebig in eigenen Worten, zum Teil auch mundartlich oder auch in Bildern, darzulegen. Häufig handelte sich bei den Gewährspersonen um volkskundlich vorgebildete Volksschullehrer. Die Themen der Fragelisten orientierten sich an den zu dieser Zeit in der volkskundlichen Forschung als bedeutend erachteten Themenfeldern. Zu Beginn ging es vor allem um die Dokumentation von „Brauchtum“ oder dem bäuerlichen Arbeiten und Wirtschaften. Später kamen dann modernere Themen wie etwa der Fernsehkonsum hinzu. Viele Gewährspersonen verfassten zudem persönliche Lebenserinnerungen, die sie dem Archiv hinterließen. Die über 6600 Manuskripte bildeten – und bilden bis heute – den Kern des Archivs und sein Alleinstellungsmerkmal.