Dem Bild liegt ein jüngerer Notizzettel mit einer Bildbeschriftung bei. Sie wurde mit Kugelschreiber aufgetragen, als Schreibmittel wäre das eher untypisch für den Aufnahmezeitraum des Bildes. Auch fehlen zwei Namen, was ebenfalls für einen späteren Beschriftungszeitpunkt spricht. Im Vergleich zu anderen handschriftlichen Dokumenten von Wilhelm Brockpähler erkennt man eine starke Ähnlichkeit der Handschrift, was freilich andere Beschrifter nicht ausschließt.
Die Bildbeschriftung im Einzelnen:
Besuch des „Briloner Kreises“ bei Maria Kahle zu ihrem 50. Geburtstag am 12.10.1941.
Von links nach rechts:
Landesrat Fix, Landrat Dr. Bubner, Dr. Schulte, ………. L. Hauptmann Kolbow, Dr. Rave, Maria Kahle, Dr. Bringemeier, Frau Wege-Koch (Geschäftsführerin H. Gebiet Mi.-Ravensberg) L. Inspektor Lepe, Frau Runte, …………. Brockpähler.
Um einen Eindruck zu vermitteln, wer dort abgebildet wurde, sollen die einzelnen Personen zunächst kurz vorgestellt werden.
Karl Fix (1887-1961) war als Jurist und Landesrat im Provinzialverband Westfalen für die Leitung der Landesversicherungsanstalt zuständig. Als Heimat- und Familienforscher war er in Zusammenarbeit mit seinem Vorgesetzten Kolbow für den Wiederaufbau und die Führung der vereinsmäßig organisierten genealogischen Forschung verantwortlich.
Karl Bubner (1902-1987), ebenfalls Jurist, war von 1933 bis 1945 Landrat des Kreises Altena, später Oberkreisdirektor des Rhein-Wupper-Kreises und als Heimatforscher vor allem im Bergischen Land aktiv.
Dr. Wilhelm Schulte (1891-1986), hauptberuflich Lehrer, war als Geschäftsführer des Westfälischen Heimatbundes tätig.
Unbekannte Person.
Karl Friedrich Kolbow (1899-1945) war als Landeshauptmann Leiter des Provinzialverbandes Westfalen und Vorsitzender des Westfälischen Heimatbundes. Für die meisten der auf der Fotografie Abgebildeten war er über unterschiedliche Ämter ein Vorgesetzter. Der NSDAP-Politiker sorgte für die Durchsetzung der NS-Politik in der Provinz Westfalen. Er publizierte selbst heimatpolitische Schriften und forcierte die Verbindung von Heimatpolitik und Nationalsozialismus.
Wilhelm Rave (1886-1958) war als Provinzialkonservator der oberste Denkmalpfleger des Provinzialverbandes und mit Kriegsbeginn auch kommissarischer Kulturdezernent, da der Amtsinhaber Ernst Kühl eingezogen wurde.
Maria Kahle (1891-1975) war völkische Dichterin und eine Art Sprachrohr der nationalsozialistisch und zugleich westfälisch beziehungsweise sauerländisch orientierten Teile der Heimatbewegung. 1937 erhielt sie den Westfälischen Literaturpreis, der auf Initiative Kolbows und des Heimatbundes vom Provinzialverband Westfalen ein Jahr zuvor zum ersten Mal verliehen worden war. Sie war auch als Vortragsrednerin über „Volkstumsfragen“ im Auftrag des Heimatbundes tätig.
Martha Bringemeier (1900-1991) war seit 1933 Dozentin an der Hochschule für Lehrerbildung in Dortmund und trat 1942 in den Dienst des Provinzialverbands Westfalen, wo sie als Provinzialverwaltungsrätin die Geschäftsführung der Volkskundlichen Kommission übernehmen sollte. (Zur Biographie von Bringemeier beginnt derzeit bei Kommission Alltagskulturforschung ein Forschungsprojekt.)
Theodore Wege-Koch aus Bielefeld war seit August 1941 Geschäftsführerin des Heimatgebietes Minden-Ravensberg im Westfälischen Heimatbund und auch Leiterin des Arbeitskreises „Westfalen in der Welt“ ebendort.
Landesinspektor Lepe bleibt unbekannt.
Bei Frau Runte könnte es sich um die Ehefrau von Dr. Alfons Runte (geb. 1908) handeln, der seit 1937 in der Geschäftsstelle des Heimatbundes tätig war, zum Aufnahmezeitpunkt der Fotografie aber bereits zur Wehrmacht eingezogen war. Er wurde 1944 vermisst gemeldet.
Unbekannte Person.
Wilhelm Brockpähler (1894-1980) war ebenfalls in der Geschäftsstelle des Heimatbundes tätig. (Zu den Kriegstagebüchern seiner Tochter läuft derzeit bei der Kommission Alltagskulturforschung ein Editionsprojekt.)
Die meisten Personen arbeiteten also auch im direkten beruflichen Kontakt auf dem Gebiet der Kulturpolitik zusammen, der überwiegende Teil von ihnen war in der Provinzhauptstadt Münster tätig. Was hatte es nun mit dem „Briloner Kreis“ auf sich, der anscheinend aus Anlass des Geburtstages von Maria Kahle (eigentlich am 3. August) eine Reise nach Olsberg unternahm?
In den edierten Tagebüchern Kolbows findet der Briloner Kreis einmal Erwähnung:
Gestern, am 25. III. [1939] 12 ½ Uhr, bin ich mit 12 Führern des Heimatbundes von Münster nach Meschede gefahren, und mit 22 Mann haben wir gestern abend eine prachtvolle Aussprache in dem sog. „Briloner Kreise“ gehabt, die bis 2 Uhr heute früh (bei manchen bis ½ 6) gedauert hat. Wir wohnten ausgezeichnet im Industriehotel in Meschede. (Dröge, Tagebücher Kolbows, S. 384)
In der leicht apologetischen Eigengeschichtsschreibung, die der ehemalige Geschäftsführer Wilhelm Schulte für den Westfälischen Heimatbund 1973 herausbrachte, wird der Briloner Kreis einmal in einer Fußnote erwähnt. Er dient als Illustration von Kolbows Vorstellung von „Heimatarbeit“. Der Satz „Dies Streben nach einer Arbeitskameradschaft kennzeichnet deutlich, wie Kolbow sich die Heimatarbeit dachte, im besonderen, wie er das ‚Führerprinzip‘ auffaßte.“ ist mit der folgenden Fußnote versehen:
Auf der Jahresendtagung des WHB (14.12.1935): „Wir sind uns bewußt, daß bei einer unreifen und voreiligen Auslegung des Führerprinzips die Gefahr besteht, daß der Leiter vereinsamt“, wenn er nicht die seltene Gabe besitze, trotz des Übermaßes an Arbeit mit den ihm Unterstellten ständig in persönlicher Fühlung zu bleiben. So lud Kolbow zwei Monate vor jeder Jahrestagung die Fachstellen- und Heimatgebietsleiter zusammen mit den Mitarbeitern der Geschäftsstelle ein, um im Anschluß an ihre 14 Tage vorher einzusendenden Berichte die Arbeit des kommenden Jahres mit ihnen zu besprechen. Die Aussprache wurde abends in seiner Wohnung und am folgenden Tag auf einer Fahrt meist ins Sauerland – daraus entwickelte sich der „Briloner Kreis“ – fortgesetzt. Fast regelmäßig nahm er an den Heimatgebietstagungen, wenn möglich auch an Kreisgebietstagungen teil. 1941 erschien es ihm erforderlich, vor der Heimatgebietstagung des Märkischen Sauerlandes in Hagen dem Gaukulturamtsleiter zu erklären, er lege als Bundesleiter „keinerlei Wert auf irgendwelche repräsentative Herausstellung dieser Tagung durch die Wahl eines festlichen Raumes. Wir sind es im Heimatbund gewöhnt, unsere Tagungen in schlichter, ich möchte sagen: gemütlicher Weise abzuwickeln“. (Schulte, Der Westfälische Heimatbund, Bd. 2, S. 55)
War der „Briloner Kreis“ also nur eine erweiterte Arbeitssitzung der „Fachstellen- und Heimatgebietsleiter“? Oder hat sich daraus ein engerer, bzw. anders zugeschnittener Personenkreis entwickelt? Die abgebildeten Personen fallen nicht alle unter die Funktion „Fachstellen- und Heimatgebietsleiter“. Ohne weitere schriftliche Zeugnisse bleibt das Spekulation. Möglicherweise könnten die umfangreichen Nachlässe Kolbows und Kahles noch Aufschluss geben. Unter der Bezeichnung „Briloner Kreis“ lassen sich ansonsten nur wenige Spuren feststellen. Umso interessanter sind daher die Fotografien. Zu der vorliegenden Fotografie lassen sich nämlich noch weitere Feststellungen treffen. Es existieren zwei weitere Aufnahmen, die die Gruppe am selben Schauplatz zeigen.