Bauern – Tödden – Heuerleute. Höfe, Häuser und Familien in Schapen

25.01.2022 Niklas Regenbrecht

Einband "Bauern -Tödden - Heuerleute".

Christof Spannhoff

Was versteht man unter Ortsgeschichte? Diese Frage beantworten die Historiker Dr. Andreas Eiynck und Ludger Meyer folgendermaßen: Es ist die Geschichte der „Bewohner, ihrer Höfe, ihrer Häuser und Familien“. Dass ein solches Verständnis ein sehr anregender und aufschlussreicher Ansatz sein kann, haben beide mit ihrem jüngst erschienenen, mit 608 Seiten sehr voluminösen Werk unter Beweis gestellt.
Ihr Untersuchungsort ist die Gemeinde Schapen im südlichen Emsland an der Grenze zu Nordrhein-Westfalen. Und das mit sehr gutem Grund: Zum einen ist die Gemeinde mit ihren knapp 27 Quadratkilometern Fläche und gut 2.400 Einwohnern ein noch zu handhabendes Arbeitsfeld, das sich in dieser Detailliertheit, wie Eiynck und Meyer sie vorlegen, untersuchen lässt. Zum anderen kann man am Beispiel Schapens die Siedlungsentwicklung der vergangenen 1500 Jahre seit dem Ende der Völkerwanderungszeit sehr gut ablesen, was auch mit der relativ guten und vergleichsweise weit zurückreichenden Quellenüberlieferung zusammenhängt.

Schapen ist zudem ein besonderer Untersuchungsort, weil sich an ihm noch mittelalterliche Verhältnisse sehr anschaulich studieren lassen. So findet sich hier die selten erhaltene Situation einer frühmittelalterlichen Eigenkirchengründung. Im Ortsteil Kirchhof lag einst ein Haupthof des Klosters Werden an der Ruhr mit zugehörigem Hofverband. Für die abhängigen Bauern ließ das Kloster auf dem Land des Haupthofes im 9. Jahrhundert eine Kirche errichten. Der Hofverband wurde im Spätmittelalter geteilt. Bis zu seinem Abbruch 1868 lag noch der Hof Groteschulte direkt neben der Kirche, der abgeteilte Neerschulte (heute Pliet) gut 280 Meter nördlich des Gotteshauses. Beide Gehöfte lassen somit die mittelalterlichen Verhältnisse bis weit in die Moderne hinein aufscheinen. Zum Werdener Ensemble gehörten auch noch die Voll- und Halberben Wallmann, Bode und Blotkamp.

Aus einer früheren Heuerstelle ging die Neubauerei Schöttmer-Stratmann hervor.

Anders als in Orten mit vergleichbarer Kirchengründungssituation entwickelte sich in Schapen um die Kirche herum kein Kirchring und somit kein neuer Siedlungsschwerpunkt. Ein eigentliches Dorf in Schapen entstand erst mit der Gründung einer zweiten Kirche im Jahr 1718. Dies hängt mit der konfessionellen Entwicklung der Region (Niedergrafschaft Lingen) zusammen. Aufgrund der wechselnden und komplexen Herrschaftsverhältnisse im 16. und 17. Jahrhundert waren die Einwohner Schapens zwar überwiegend katholischen Glaubens, die wenigen protestantischen Schapener besaßen allerdings die Einrichtungen der Kirchenfabrik und das Gotteshaus. Erst unter preußischer Herrschaft (seit 1702) wurden die Repressionen gegenüber den Katholiken gemildert und ihnen ein eigener Kirchenbau ermöglicht. Die Dorfbildung um die junge katholische Kirche wurde vor allem durch neu angelegte Heuerhäuser der umliegenden Bauernhöfe und die Wohnungen der Wanderhändler, der sogenannten Tödden, vorangetrieben. Im Mittelalter war der Bereich vom „Buntehof“ (1448) der Grafen von Tecklenburg geprägt, aus dem die weiteren Bauernstätten hervorgingen bzw. mit dem sie als übergeordneter Hof in Beziehung standen.

Eine weitere wichtige Erkenntnis des Buches ist die Lösung der Frage, wo der mittelalterliche Haupthof Bramhorne lag, nach dem sich auch eine in der Region vertretene adelige Familie benannte. Die ältere Forschung vermutete das Gut in Bevergern, weshalb dort eine Straße diesen Namen trägt. Eiynck/Meyer kommen allerdings zu dem Ergebnis, dass sich der Hof in Schapen befunden haben muss. Er geht sehr wahrscheinlich schon auf die Zeit vor der Christianisierung zurück und gehörte einem Zweig der Familie des Sachsenanführers Widukind. Diese Verwandten schlossen sich früh dem Christentum an. Zu ihnen zählte auch Gerbert mit Beinamen Castus, ein Gefährte des heiligen Liudger, der in Visbek ein Kloster gründete und dieses mit Gütern aus Familienbesitz ausstattete. Unter diesen Gütern befand sich vermutlich auch der Hof Bramhorne. Später kam das Kloster Corvey in dessen Besitz und letztlich im späten Mittelalter übernahmen ihn die Grafen von Tecklenburg (S. 25f.). Das Anwesen wurde aufgeteilt in die Vollerben Bramhof und Bramschulte sowie das Halberbe Müter. Anhand solcher und weiterer Beispiele lassen sich siedlungsgeschichtliche Verläufe anschaulich studieren.

Das alte Bauernhaus Bramschulte aus dem 17. Jahrhundert.

Nachdem die beiden Autoren in der Einleitung die groben Züge der Siedlungsentwicklung für alle Ortsteile Schapens skizziert haben, wobei sich herausstellte, dass die ältesten Bauernstätten und ihre Ackerfluren, die Esche, auf flachen Höhenrücken entstanden, die sich aus der sumpfigen Umgebung hervorhoben, stellen sie die verwendeten seriellen Quellen sowie deren Inhalte und Eigenarten vor – beginnend mit der „Beschrivinge“ von 1555, einem landesherrlichen Einkünfteverzeichnis, über Landvermessungen und Mühlenregister, Karten, Häuserlisten bis zu Adressbüchern des 20. Jahrhunderts. Die sich anschließende Vorstellung von über 150 Hof- und Hausstellen folgt der alten Nummerierung, die 1765 begonnen wurde und erst 1978 durch das moderne System aus Straßennamen und Hausnummern ersetzt wurde. Da diese alten Nummern konstant waren, bilden sie den „entscheidenden Faktor zur Identifikation einer Hausstelle bei wechselnden Besitzern und Bewohnern“ (S. 53). Diese Problematik wird in einem eigenen Kapitel thematisiert.
Den einzelnen Haus- und Hofportraits wird der oben bereits genannte Werdener Haupthof in Schapen vorangestellt, der möglicherweise ursprünglich ebenfalls auf widukindischen Besitz des Gerbert-Castus (s.o.) zurückzuführen ist.

Die einzelnen Haus- und Hofgeschichten bieten einen großen Schatz an aufschlussreichen Details, die besonders für die Sozialgeschichte der Heuerleute und der Tödden-Händler von großem Interesse sind. Hinzu kommen die zahlreichen Abbildungen, die nicht nur die historischen und modernen Gebäude von außen zeigen, sondern darüber hinaus viele wichtige Details wie Konstruktion und Verzimmerung, Inschriften oder Reliefs, aber auch geschichtliche Quellen (z.B. Urkunden, Anschreibebücher, historische Bibeln) und Sachobjekte (z.B. bäuerliche Möbel, Schmuck- und Gebrauchsgegenstände, historische Fotografien), die auf den Höfen selbst bewahrt werden und die einen interessanten Einblick in die vergangene Alltagskultur ermöglichen.
Alles in allem ist mit dem Schapen-Buch ein Werk entstanden, das nicht nur für die Einwohner des Ortes von Bedeutung ist, sondern gleichfalls für die historischen Wissenschaften.

 

Andreas Eiynck, Ludger Meyer: Bauern – Tödden – Heuerleute. Höfe, Häuser und Familien in Schapen, hrsg. v. Heimatverein Schapen. Schapen 2021, 608 S., zahlreiche Abbildungen.