„Baut Schwimmbäder auf dem Lande!“ – Eine NS-Aktion zur „Ertüchtigung des Volkes“

24.08.2021 Dorothee Jahnke

Schwimmbad in Bockum-Hövel, September 1939. Archiv für Alltagskultur, Bestand WHB, WHB F4.1, Nr. 30.

Dorothee Jahnke

 

Die Deutsche Arbeitsfront (DAF) und die Gauverwaltung Westfalen-Nord gaben 1939 eine Publikation mit dem Titel „Das schöne Dorf im Gau Westfalen-Nord. Beiträge und Bilder zur Dorfverschönerung“ heraus. Dieser Ratgeber diente als Hilfe zur (Um-)Gestaltung von Dörfern in Hinblick auf den Wettbewerb „Das schönste Ortsbild“, bei dem unter anderem Gau-Musterdörfer gekürt wurden. Gleichzeitig leitete er dazu an, Dörfer äußerlich an die nationalsozialistische Ideologie anzupassen, teilweise orientiert an der völkischen Heimatschutzbewegung. Einige NS-Anpassungsversuche sind dabei recht offensichtlich, etwa die Aufforderung zur Einrichtung eines HJ-Heims. Doch auch an Rudolf Dillenburgs Beitrag „Baut Schwimmbäder auf dem Lande!“ kann gezeigt werden, welchen Einfluss nationalsozialistische Institutionen und Idealvorstellungen auf die Dorfgestaltung hatten.

Rudolf Dillenburg bemängelte: „Es gab eine Zeit, in der man glaubte, die Landbevölkerung braucht keine Leibesübungen zu betreiben, da die dauernde körperliche Beschäftigung in der frischen Luft genug ‚Sport‘ sei. Die ärztlichen Musterungen und Urteile haben allerdings das Gegenteil bewiesen.“ (Dillenburg, S. 138) Er machte dafür vor allem einseitige Belastungen und einen Mangel an Ausgleichssport verantwortlich. Dieser Mangel würde aber nicht auf einer Abneigung beruhen. „Richtig ist vielmehr, daß die Landbevölkerung und ganz besonders die Landjugend Leibesübungen betreiben und vor allen Dingen baden und schwimmen will. Es ist aber leider auch richtig, daß draußen auf dem Dorf meist zu wenig Gelegenheit geboten ist, vernünftige Leibesübungen zu betreiben“ (ebd.). Dillenburg erwähnt „die Schaffung des ‚Propaganda-Ausschusses zur Förderung des Schwimmsportes‘, Berlin W 35, Viktoriastr. 6, für den der Reichsbauernführer, der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda und der Jugendführer des Deutschen Reiches die Schirmherrschaft übernommen“ (ebd.) hätten. Der Ausschuss würde zwar beratend tätig sein, ein Impuls zum Schwimmbadbau müsse aber vom jeweiligen Dorf ausgehen. Auch die eigentliche Arbeit müsste selbst geleistet und finanziert werden.

In diesem Kontext verweist der Text auf einen 1936/37 von der Landesbauernschaft Westfalen ausgelobten Wettbewerb. Mit diesem „Preisausschreiben für den Bau von Schwimmbädern“ (ebd.) sollte die Einrichtung von Schwimmmöglichkeiten in ländlichen Gebieten angeregt werden. Bedingung war, dass zumindest „ein Teil der Arbeiten durch Gemeinschaftsarbeit geschaffen wurde. Der Erfolg war gut: 12 Freibäder und einige Dorfbrausebadeanlagen wurden errichtet“ (ebd.). Sieger war das neugeschaffene Freibad in Willebadessen-Peckelsheim.

Bereits in der Saison 1938 hätten dort „27 Jungen und Mädchen die Freischwimmerprüfung“ (Dillenburg, S. 139) gemacht. Das Schwimmbad in Peckelsheim sei für unter 5.000 Reichsmark gebaut worden, was nur die unbezahlte „Gemeinschaftsarbeit“ (ebd.) und eine Steinspende für das Becken ermöglicht hätten. Für Orte, die sich einen teuren Neubau nicht leisten könnten, empfiehlt Dillenburg die Einrichtung einer Badestelle an bereits vorhandenen Teichen oder anderen Gewässern. Denn: „Es kommt nur darauf an, daß man die Sache anpackt, und daß der Wille da ist, mitzuarbeiten an der Erstarkung und Ertüchtigung unseres Volkes“ (ebd.). Dillenburg führt weiter aus, dass „in jedem größeren Dorf, in jeder größeren Gemeinde ein Schwimmbad für den Sommer und ein Brausebad für die Winterzeit errichtet“ (ebd.) werden müsse. Zum Abschluss seines Beitrags nennt er den Grund dafür: „Wer mit daran arbeitet, daß dieses Ziel erreicht wird, arbeitet mit an der Gesundheit und Erstarkung unserer deutschen Jugend“ (ebd).

Das Lüdenscheider Freibad in der NS-Zeit. Archiv für Alltagskultur, Bestand SGV, 0000.S3401.

Einblick in die Vorgänge um den Aufruf zum Schwimmbadbau bietet auch eine Akte aus dem Stadtarchiv Tecklenburg. Sie enthält unter anderem einen Brief der Kreisbauernschaft Tecklenburg vom Dezember 1936 an den Tecklenburger Amtsbürgermeister zur „Schaffung von Bade- und Schwimmgelegenheiten auf dem Lande“.  Bezugnehmend auf ein vorangegangenes Schreiben wird erneut darauf hingewiesen, dass „die Schaffung von Bade- und Schwimmanlagen auf dem Lande mit allen Mitteln gefördert werden müsse. Bei den Musterungen der Wehrmacht hat es sich herausgestellt, dass gerade der Gesundheitszustand der ländlichen Jugend äusserst schlecht ist, was grösstenteils darauf zurückzuführen ist, dass auf dem Lande zu wenig Wassersport, vor allem Schwimmsport getrieben wird“ (StA Tecklenburg, Bestand D, Nr. 2088, Brief der Kreisbauernschaft Tecklenburg vom 11.12.1936). Auch hier wird zur ehrenamtlichen ‚Gemeinschaftsarbeit‘ mit NS-Institutionen angeregt: „Wo die Mittel dazu fehlen, sollen die Bäder, vor allen Dingen Freibäder möglichst in Gemeinschaftsarbeit der Landjugend mit der HJ, der SS und SA hergestellt werden. Die Kosten würden sich in diesem Falle nicht allzu hoch stellen“ (ebd.).

Der Verfasser des Briefes hat das Infoblatt zum Preisausschreiben der Landesbauernschaft mit dem Titel „Landjugend, bade und schwimme!“ beigelegt. Darin heißt es: „Baden und Schwimmen halten den Körper gesund und machen ihn hart und widerstandsfähig. Deshalb ist es Pflicht der Landbevölkerung schwimmen zu lernen. Überall ist die Möglichkeit vorhanden, durch Gemeinschaftsarbeit der Landjugend Bade- und Schwimmgelegenheiten zu schaffen. Die zuständigen Stellen des Staates und der Bewegung werden dieses Vorhaben unterstützen“ (StA Tecklenburg, Bestand D, Nr. 2088, Preisausschreiben der Landesbauernschaft Westfalen, 1936). Wieder wird auf die Gemeinschaftsarbeit verwiesen, gleichzeitig auf die Abhärtung der Jugendlichen. Das Infoblatt geht aber noch viel weiter und macht mit dem folgenden Appell die ideologischen Vorstellungen hinter dem Aufruf deutlich: „Landjugend, stelle auch hier Deinen Willen zur Gesunderhaltung des Volksganzen unter Beweis!“ (ebd., Hervorhebung im Original). Die Einrichtung einer Schwimm- oder Bademöglichkeit wird somit zur nationalsozialistischen Volksaufgabe stilisiert, zu der jede:r Einzelne einen Beitrag leisten muss. Dies gilt sowohl für die genannten NS-Institutionen als auch für die (ländlichen) Gemeinden und ihre Einwohner.

Preisausschreiben "Landjugend, bade und schwimme!". Stadtarchiv Tecklenburg, Bestand D, Nr. 2088.

Beim Wettbewerb wurden drei Kategorien unterschieden: Dörflicher Freibadbau, der dörfliche Bau von „Brause- oder Wannenbäder[n]“ (ebd.) sowie eine Sonderkategorie „für die Bauernhöfe oder landwirtschaftlichen Betriebe, welche die beste und zweckmässigste Hausbadeeinrichtung anschaffen und diese als Gemeinschaftsbadeeinrichtung für alle Mitarbeiter des Hofes zur Verfügung stellen“ (ebd). Die Bäder mussten neu errichtet oder generalüberholt werden und der „Bau der Anlagen […] am 30. Juni 1937 beendet“ (ebd.) sein.

Verglichen mit den Kosten in Höhe von 5.000 RM für den Neubau des Peckelsheimer Freibads waren die Preisgelder der Landesbauernschaft gering: Im Fall der Dorffreibäder sollte es etwa 300 RM für den 1. Preis, 125 RM für den 2. Preis und 75 RM für den 3. Preis geben (ebd.). Alle Teilnehmer verpflichteten sich, „die als Preis erhaltenen Geldmittel restlos für den Weiterausbau der Anlagen zu benutzen“ (ebd., Hervorhebung im Original). Das Preisgeld musste also zwangsläufig der weiteren Ausstattung zugutekommen und durfte nicht für den Etatausgleich oder die Refinanzierung bereits geleisteter Arbeiten am Schwimmbad genutzt werden.

Auch das Antwortschreiben an die Kreisbauernschaft ist in der Akte erhalten. Daraus geht hervor, dass in der Gemeinde Ledde „eine Bade- und Schwimmgelegenheit in Gemeinschaftsarbeit der Landjugend mit der H.J. S.S. und S.A. hergestellt und die notwendigen Mittel durch den Etat 37 bereitgestellt werden sollen. Es läßt sich an 2 Mühlenteichen eine Badegelegenheit schaffen und werden sich die Aufwendungen durch die Selbsthilfe voraussichtlich tragbar gestalten“ (StA Tecklenburg, Bestand D, Nr. 2088, Brief an die Kreisbauernschaft, 12.12.1936). Weniger erfolgreich liefen die Arbeiten in der Gemeinde Leeden: Dort war zwar mit Ausschachtungsarbeiten begonnen worden, aber der Boden war zu lehmig und zu schlammig, um eine Schwimmmöglichkeit am ursprünglich geplanten Ort zu schaffen. Es gab Überlegungen, ein anderes Grundstück zu erwerben, doch die Schaffung einer Schwimmgelegenheit scheiterte letztlich „wegen Mangel an Mittel“(StA Tecklenburg, Bestand D, Nr. 2088, Brief des Leedener Bürgermeisters vom 24.07.1937).

 

Quellen:

Dillenburg, Rudolf: Baut Schwimmbäder auf dem Lande! In: Deutsche Arbeitsfront/Gauverwaltung Westfalen-Nord (Hg.): Das schöne Dorf im Gau Westfalen-Nord. Beiträge und Bilder zur Dorfverschönerung. Bearb. Hermann Homann. Münster: Kieser, S. 138-139.

Stadtarchiv Tecklenburg, Bestand D, Nr. 2088, Akte betr. Förderung des Schwimmsportes auf dem Lande, Laufzeit 1936-1938.