Beengte Moore. Zur Verknappung und Umnutzung von Gemeinheitsgrundstücken bei Borgholzhausen

07.01.2025 Niklas Regenbrecht

Moorlandschaft in Stemwede-Dielingen um 1983. So oder ähnlich könnte es auch in Borgholzhausen ausgesehen haben, ehe die Menschen begannen, das Moor trockenzulegen, um die Fläche landwirtschaftlich oder anderweitig zu nutzen, Foto: Gerda Schmitz, Archiv für Alltagskultur, 1984.03161.

Sebastian Schröder

Südlich des Ortskerns der Stadt Borgholzhausen lagen im 18. Jahrhundert mit dem „Kleinen Moor“ und dem „Großen Moor“ zwei sogenannte Gemeinheiten oder Marken. Das bedeutet, dass diese Fluren im Besitz der Allgemeinheit standen. Die Bürgerschaft der Stadt Borgholzhausen war berechtigt, dort ihr Vieh zu weiden. Im Frühjahr 1744 beklagte die Stadt Borgholzhausen allerdings mehrere Verstöße gegen die Nutzungsordnung der Markengründe. Gegenüber der Kriegs- und Domänenkammer in Minden, der zuständigen landesherrlichen Verwaltungsbehörde, erläuterten die städtischen Vertreter, dass einige Untertanen widerrechtlich Gärten, Hofräume oder Bleichplätze in den Mooren angelegt hätten. Dadurch verringere sich die der Gemeinheit zustehende Fläche erheblich. Nunmehr sollte der Amtmann zu Borgholzhausen die Anschuldigungen gehörig untersuchen, befahlen die Kriegs- und Domänenräte.

Amtmann und Amtsrat Friedrich Adolph Meinders nahm daraufhin Ende März 1744 im Beisein des früheren Bürgermeisters Hermann Matthias Thorbecke und dessen Nachfolger Wilmanns die Borgholzhausener Gemeinheiten in Augenschein. Die Herren entdeckten, dass zahlreiche Bewohner sogenannte „Zuschläge“ angelegt hatten. Darunter verstanden die Zeitgenossen ehemaliges Markenland, das einer privaten Nutzung zugeführt worden war. Sofern die zuständigen Instanzen den Zuschlag offiziell genehmigt hatten, mussten dafür jährliche Gebühren entrichtet werden. Drei Landwirte, nämlich Prieß, Pohlmann und Niemann zu Berghausen, nutzten ihre Zuschläge als Wiesen und hatten das Weideland entsprechend urbar gemacht. Anderen Personen warf man vor, unerlaubt Weidenbäume gepflanzt zu haben. Direkt am Moor lag auch das Gehöft des Bauern Kramer. Unmittelbar an Gemeinheitsgründe angrenzend besaß er einen Garten, in dem der Landwirt einen Brunnen angelegt hatte. Dieser war mit einem Zaun umgeben. Während Kramer behauptete, der Garten gehöre seit „ohnüberdenckliche[n]“ Zeiten zu seinem Hof, zweifelten die städtischen Vertreter diese Aussage an. Sie meinten, dass das Grundstück einst zur Gemeinheit gezählt habe. Besonders beargwöhnten Bürgermeister und Magistrat die Beschaffenheit des Zaunes, der leicht über die Grundstücksgrenze hinaus könne verlegt werden. Da sich die Angelegenheit nicht klären ließ, schlug Amtsrat Meinders einen Kompromiss vor: Kramer solle anstelle des hölzernen Zaunes einen „lebendigen Hagen“ pflanzen. Diese Hecke aus Sträuchern oder Gehölzen war nicht so mobil wie ein Zaun, wodurch die Grundstücksgrenzen zukünftig nicht mehr so leicht verändert werden konnten.

Kramer musste sich noch eine weitere Vorhaltung gefallen lassen. Sein ungefähr 30 mal 30 Fuß beziehungsweise knapp zehn mal zehn Meter großes Heuerlingshaus habe er auf gemeinen Gründen errichtet; auch die Zufahrt zu diesem Gebäude liege zu einem Großteil nicht auf privatem Grund, beschwerten sich die städtischen Vertreter. Kramer entgegnete, dafür als Gegenleistung bereits 20 Reichstaler an die Stadtkasse gezahlt zu haben. Amtmann Meinders erkannte die Problematik, dass das Gebäude schwerlich wieder versetzt werden könne. Deshalb schlug er vor, dass der Bauer nochmals zehn Reichstaler bezahlen solle, um alle Kontroversen beizulegen. Hinsichtlich des von Kramer auf früherem Markenland angelegten Bleichplatzes zum Verarbeiten von Garn und Leinen erkannte Meinders sogar durchaus einen Vorteil zugunsten des weidenden Viehs. Zum Bleichen der von ihm hergestellten Textilien brauchte Kramer nämlich eine größere, mit Gras bewachsene Fläche, um Garn und Leinen flächig auslegen zu können. Regelmäßig bewässerte er die Textilien, um die Bleichwirkung zu verstärken. Durch das Bewässern gedeihe jedoch auch das Gras sehr gut, beobachtete Meinders. Er erkannte folglich, dass der Viehweide durch diese Nutzung kein Schaden zugefügt werde. Im Gegenteil würden beide Seiten profitieren: Kramer könne weiterhin seiner Profession nachgehen und die weideberechtigten Landwirte hätten gutes Gras für ihr Vieh.

Auch über den Landwirt Ovelgünne, dessen Wohnhaus jüngst abgebrannt war, beschwerten sich Bürgermeister und Magistrat der Stadt Borgholzhausen. Denn seinen Garten habe er ebenfalls nur mit einem Zaun versehen, den er schrittweise zuungunsten der gemeinen Ländereien versetzt habe. Außerdem entdeckten Amtsrat Meinders und sein Gefolge mehrere Weidenbäume, die Ovelgünne widerrechtlich auf der Gemeinheit gepflanzt hatte. Zudem erblickten sie vier, angeblich heimlich ausgehobene Röthekuhlen, in denen Flachsstengel zur Gewinnung von Leinenfasern verrotteten. Um diese Kuhlen mit Wasser zu füllen, habe Ovelgünne sogar einen Bachlauf umgelegt, wodurch andere Röthekuhlen trockengefallen seien. Sobald der Landwirt sein zerstörtes Gebäude wiederaufgebaut habe, müsse er die beobachteten Mängel beheben, ordnete der Amtmann an. Dazu gehörte ebenfalls die Anlage einer „Wrechte“ beziehungsweise Hecke und das Verlegen des Baches in seinen vorigen Lauf.

Überdies begutachteten Meinders und die Angehörigen des Borgholzhausener Magistrats einige Wege. Johann Pohlmann, der in der Nähe des Zollbrettes einen Garten bestellte, hatte seinen Zaun gegen Umstürzen und zum Schutz vor Wagenrädern mit Steinen gesichert. Doch dadurch schmälere er die Breite des Weges nicht, notierte der Amtsrat. Im Gegensatz dazu sei die sogenannte „Knopß Straße“ an beiden Seiten drastisch eingeengt worden. Aber auch in diesem Fall äußerte sich der Magistrat durchaus wohlwollend. Denn diese Straße diene „zu nichts, alß daß die Holtz Diebe dadurch ihren weg zu nehmen gewohnt wären.“ Überdies würden kriminelle Händler die Trasse dazu nutzen, heimlich Güter in die Stadt hineinzuschmuggeln, um die städtische Verbrauchssteuer (Akzise) zu umgehen. Am besten wäre es, die Straße gänzlich an die anliegenden Grundstückseigentümer zu veräußern, damit diese ihre Äcker und Gärten vergrößern könnten. Upmeyer befahl man, die Baumkronen an der Heerstraße zu lichten, „damit der Weg bey bösen Wetter desto beßer außtrockenen könne.“ Der Zustand der „Kuhstraße“ missfiel den Stadtoberen ebenfalls. Im Sommer wurde auf diesem Weg das Vieh zu den städtischen Weiden getrieben. Doch einige Grundstückseigentümer links und rechts der Trasse hätten ihre Zäune und Hecken nicht gut gepflegt, sodass der Weg immer schmaler werde, „dergestalt daß gar kein Stück Horn Vieh daselbst mehr passiren könne“. Daher erging das Gebot, alle Hecken zu stutzen, die Zäune wieder an die richtige Stelle zu versetzen und die Straße mit Steinen auszubessern.

Die Aufzeichnungen aus der Feder des Amtsrat Meinders zeigen, wie wichtig und aufwendig es war, das Gemeingut gegen individuelle Interessen zu verteidigen. Für die Amtsträger war dies offenbar immer auch ein Aushandlungsprozess, bei dem die Interessen der Allgemeinheit und die Subsistenz Einzelner mit Augenmaß gegeneinander abgewogen werden mussten. Dass jegliche Nutzung der gemeinen Marken mit Eingriffen in die Umwelt verbunden war, stellte für alle Beteiligten dagegen kein schwerwiegendes Problem dar. Die natur- und kulturräumlichen Gegebenheiten im „Kleinen Moor“ und im „Großen Moor“ veränderten sich zur Mitte des 18. Jahrhunderts teils erheblich. Der Wandel hatte aber weitaus eher begonnen, wie die amtlichen Schriftstücke ebenfalls belegen. Denn dort ist die Rede von „ohnüberdenckliche[n]“ Zeiten sowie von Dämmen, Gräben und Weidenpflanzungen, die bereits mehrere Jahrzehnte alt waren. Insofern handelte es sich um einen schleichenden Prozess der Umweltveränderung.

 

Quelle: Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, D 607/Kriegs- und Domänenkammer Minden, Nr. 1334: Einengung des der Stadt Borgholzhausen gehörigen zur Weide gebrauchten großen und kleinen Moors durch Ausgabe von Zuschlägen an Einwohner, 1744–1746.

Die bisherigen Teile der Serie zur Kriegs- und Domänenkammer Minden:

Ein Dickicht voller Alltagskultur: Die preußischen Kriegs- und Domänenkammern in Westfalen im 18. Jahrhundert

Die Preußen wollen umsatteln: Zugochsen statt Pferde lautete die Devise

Erfindergeist in Minden und Ravensberg

Die Preußische Kriegs- und Domänenkammer und der Kampf gegen Viehseuchen

Bergbau in Bierde? Die Mindener Kriegs- und Domänenkammer und die Steinkohle

Die Glocken schweigen. Oder: „Gewitterableiter“ in preußischen Kammerakten

„Diebereyen“, „Zügellosigkeiten“ und „schwache Nerven“: Kriegs- und Domänenräte auf Reisen

Die Ärmel hochkrempeln: Die Kriegs- und Domänenkammer in Minden und die Impfung gegen die Pocken

Schädlich oder unentbehrlich? Die Mindener Kriegs- und Domänenkammer und die Debatte um das Laubsammeln in westfälischen Wäldern

Die Sorgen der Müller. Zur Geschichte der Hollweder Mühle im 18. Jahrhundert

Vormoderne Verkehrssünder: Reiter, Fuhrleute und Schlittenfahrer auf Mindener Straßen am Ende des 18. Jahrhunderts

„Eine wahre Gesundheits-Quelle“. Die Entdeckung schwefelhaltigen Wassers in Fiestel

Kein Herz und eine Seele: Grenzkonflikte zwischen Preußen und Osnabrück

Neue Heimat Ravensberg: Siedler in den Marken

Von Abbrüchen und Anschwemmungen: Wie die Weser die Landschaft im Mindener Land verändert hat

Den Strom bändigen: Die Kriegs- und Domänenkammer und die Weser

Wenn das Pferd beim Nachbarn weidet – Grenzkonflikte zwischen Dahlinghausen und Harlinghausen

Nach der Feier kommt der Frust: Ein Müller und die Landesbehörde

Das ravensbergische „Ziegenproblem“

Krumme Schnäbel und spitze Klauen: Die Bekämpfung von „Raubtieren“ in der Grafschaft Ravensberg

Wie Paulus gegen die Korinther: Jäger, Jagdexzesse und Wilddiebe in der Grafschaft Ravensberg

Ein Land, wo trockenes Heidekraut wächst und in dem sich kein Vogel ernähren kann: Sandverwehungen in der Grafschaft Ravensberg