Belecker Sturmtag

16.05.2023 Marcel Brüntrup

Andreas Eiynck

Der Auslöser für den heutigen „Belecker Sturmtag“ ist ein Kapitel westfälischer Landesgeschichte pur. Während der „Soester Fehde“ (1444–1449, es ging um die Freiheit der Stadt Soest gegenüber dem Erzbischof von Köln) überfielen die Truppen der Stadt Soest immer wieder die Kleinstädte des Erzbischofs im Herzogtum Westfalen. Am 8. Mai 1448, dem Mittwoch vor Pfingsten, bestürmten etwa hundert Soester Soldaten zum wiederholten Male den Flecken Belecke bei Warstein, der damals Stadtrechte besaß und befestigt war.

Soweit ist es historisch verbürgt. Der Überlieferung nach wollten die Angreifer die Stadtmauer überwinden und die Stadttore aus den Angeln heben. Doch die Verteidiger boten an diesem Tage alles auf, um den Angriff abzuwehren. Im Laufe der Jahrhunderte wurden die Erzählungen über dieses historische Ereignis immer weiter ausgeschmückt und um viele Details ergänzt. So heißt es in einem heimatkundlichen Beitrag des Pfarr-Propstes Carl Boekler von 1855: „Die auf den Sturmleitern befindlichen Feinde wurden mit vielen Steinen, mit siedendem Brei, gekocht von den Frauen, glühendem Sand und herbeigeholten Bienenstöcken, die ihnen auf die Köpfe geschlagen wurden, zurückgeworfen“ (S. 356).

Tatsächlich mussten die Angreifer sich erfolglos zurückziehen und hatten sogar zwei Tote zu beklagen. Dieses Schicksal traf aber auch den Belecker Bürgermeister Wilken, der bei der Verteidigung der Stadt getötet wurde: „Am tapfersten kämpfte der damals regierende Bürgermeister namens Wilken, der sogar eine schon am obern Theile der Stadtmauer wehende feindliche Fahne ergriff, sie dem Fahnenträger entriß, jedoch gleichzeitig durchbohrt von einem feindlichen Pfeile von der Mauer todt unter seine Mitbürger niedersank“ (Boekler, S.357).

Erster schriftlicher Beleg für die Bezeichnung 'Sturmtag' aus dem Jahre 1744 (Pfarrarchiv Belecke).

Die Belecker brachten dieses Beutestück auf ihr Rathaus, wo es 1805 bei einem Brand zerstört wurde. Die Soester ergriffen bei ihrem Abzug die Belecker Vogelstange und verschleppten sie in die Münsterkirche in Soest. Dort soll sie in der Zeit um 1815 noch vorhanden gewesen sein.

Am jeweiligen Jahrestag dieses Ereignisses hielten die Belecker seit dem 18. Jahrhundert eine Prozession um den Kirchhof und eine Messe im Andenken an ihre Kämpfer und besonders für den getöteten Bürgermeister Wilken. Dieser Gottesdienst wurde, nachweisbar seit 1744, als „Sturmtag“ verkündet, wobei dieser Name sicherlich eine ältere mündliche Überlieferung aufgriff.

Längst ist die geschichtsträchtige 5.400-Einwohner-Gemeinde Belecke ein Ortsteil der Stadt Warstein. Manche Strukturen der mittelalterlichen Stadt sind im heutigen Stadtgrundriss noch erkennbar und an den Helden von 1448 erinnert heute die Wilkestraße im Ortszentrum.

Doch ansonsten teilt Belecke das Schicksal vieler kleiner Orte im Sauerland und anderswo, die heute als Ortsteile größerer Kommunen nicht nur um ihre Infrastruktur, sondern auch um ihre historische Identität kämpfen. Und da kommt ein Ereignis wie der Sturmtag wie gerufen, denn er verkörpert die Überzeugung, dass eine geschlossene Gemeinschaft sich auch gegenüber einem übermächtigen Gegner behaupten kann. Und einen örtlichen Bürgermeister als Helden mit Mut, Tapferkeit und Opferbereitschaft liefert der Sturmtag noch obendrauf.

Die 'Sturmtagskanoniere' beim Böllerschießen 2019.

Obwohl Kanonenbeschuss für den Mittwoch vor Pfingsten 1448 nicht historisch belegt und auch eher unwahrscheinlich ist, bildet das Böllerschießen am frühen Morgen seit dem 19. Jahrhundert einen wesentlichen Bestandteil des Sturmtages. Seit 1989 übernehmen die mit dem notwendigen amtlichen Sprengstoffschein ausgestatteten „Belecker Sturmtagskanoniere“, die heute auch mit schmucken historischen Kostümen ausgestattet sind, diese Aufgabe. Das Hochamt der überwiegend katholischen Bevölkerung wechselt mittlerweile mit einem ökumenischen Abendgottesdienst und der Festumzug endet – wie könnte es im Sauerland anders sein – in der Schützenhalle. Dort wird bei der Festveranstaltung seit 1990 jährlich der Bürgermeister-Wilke-Preis als Bürgerpreis verliehen.

Der Belecker Sturmtag ist ein Musterbeispiel für die Identitätsstiftung und Selbstvergewisserung der Bürgerschaft eines kleinen Ortes. Darum wurde das Brauchtum um dieses Ereignis herum im Jahr 2022 in die Liste des immateriellen UNESCO-Kulturerbes auf der Ebene des Landes Nordrhein-Westfalen aufgenommen.

Quellen und Literatur:

Pfarr-Propst Carl Boekler: Der Belecker Sturmtag im Jahre 1448. In: Westfälische Zeitschrift 16, 1855, S. 355–358.

Internet: https://badulikum.de/belecker-sturmtag/

Bildnachweis:

Fotos vom Sturmtag: alle von Ortsheimatpfleger Michael Sprenger

Mit freundlichem Dank für die Unterstützung bei der Beschaffung von Informationen und Bildern an Herrn Klaus-Arthur Feller, Belecke.

Kategorie: Veranstaltungen

Schlagworte: Andreas Eiynck · Brauch