Bergbau in Bierde? Die Mindener Kriegs- und Domänenkammer und die Steinkohle

16.06.2023 Marcel Brüntrup

Sebastian Schröder

In Bierde herrschte 1769 im übertragenen Sinne Goldgräberstimmung – oder besser: Steinkohlegräberstimmung! Nun handelt es sich bei dieser Ortschaft nicht unbedingt um den Mittelpunkt eines ausgewiesenen Kohlereviers. Ganz im Gegenteil: Bierde ist ein östlich der Weser gelegener Teil der heutigen Stadt Petershagen im Kreis Minden-Lübbecke. Zwar gab es durchaus Zechen in diesem Gebiet, allerdings eher an den Hängen des Wiehengebirges. Und dennoch waren die Behörden elektrisiert von der Nachricht, die sie am 16. Juni 1769 erreichte. Seinerzeit berichtete der „Salz Calculator“ Schlick seinen Vorgesetzten bei der Mindener Kriegs- und Domänenkammer von einem angeblich spektakulären Fund. Er habe gehört, dass „ein alter und unvermögender Bergmann nahmens Johann Tobias Schlösser“ in Bierde Kohle entdeckt habe. Die Kriegs- und Domänenräte als oberste landesherrliche Beamte des preußischen Fürstentums Minden, zu dem der kleine Ort in Wesernähe zählte, ordneten umgehend nähere Nachforschungen an.

Bericht über die angebliche Entdeckung von Steinkohle in Bierde, Juni 1769 (LAV NRW W, D 607, Nr. 1757, fol. 3r)

So erfuhren sie, dass Johann Tobias Schlösser ursprünglich in Bölhorst bei Minden als Bergmann gearbeitet habe, doch dieser Tätigkeit seit nunmehr fünf Jahren nicht mehr nachgehe. Stattdessen verdinge er sich als Tagelöhner. Anfang Juni 1769 weilte der betagte Bergmann im Rahmen einer Kur beim Loccumer Gesundbrunnen unweit der Landesgrenze. Durstig und hungrig betrat er auf seiner Rückreise ein Gehöft in Bierde, wo er einen „alten Bauern“ antraf, dessen Name unbekannt bleibt. Die beiden Männer kamen ins Gespräch. Unter anderem unterhielten sie sich über „Bergwercks-Sachen“. Der Bierder Landwirt behauptete, „daß er annoch der eintzige wäre, der um das Bergwerck Bescheid wüßte, waß in dasiger Gegend vor dem 30 Jährigen Kriege gewesen“. Außerdem erzählte der Bauer, dass er selbst beim Ausheben eines Grabens um einen Kamp herum in einer Tiefe von vier Fuß „die schönsten Kohlen gefunden“ hätte. Nun wurde Schlösser hellhörig. Doch so sehr er auch auf den Bierder Bauern einredete – dieser verschwieg, wo genau sich der Fundort der Kohle befand. Stattdessen „verstummete dieser alte Bauer“. Es sei ein Fehler gewesen, derart offenherzig über die Entdeckung dieses Bodenschatzes zu sprechen. Schlösser bot dem Landwirt zwanzig Reichstaler – erfolglos. Selbst wenn er 100 Reichstaler erhalte, wolle er die Stelle nicht preisgeben, betonte der Bauer aus Bierde. Er fürchtete nämlich, dass durch das Schürfen der Kohle seine Ländereien erheblichen Schaden nähmen.

Zwar konnte Johann Tobias Schlösser seinen Gesprächspartner nicht dazu bewegen, sein Geheimnis zu offenbaren. Dennoch glaubte der Bergmann, genau zu wissen, wo man die Kohle fördern könne. Und er träumte bereits davon, die seines Erachtens umfangreichen Vorkommen auszubeuten. In „100 und mehr Jahren“ könne dieser Bodenschatz „nicht ausgegraben werden“. Natürlich hoffte Schlösser, dass der Landesherr, das heißt der preußische König, ihn für diese Entdeckung finanziell belohnte.

Karte der landesherrlichen Forstreviere in Bierde, 1801 (LAV NRW W, A 19902)

In der Tat zeigten die landesherrlichen Behörden großes Interesse, als sie den Bericht genau lasen. Die Beamten witterten „einen kostbahren Vortheil“ für die königlichen Kassen. Umgehend befahlen sie dem Kriegs- und Domänen- sowie Oberbergrat Le Petit, gemeinsam mit dem Berggeschworenen und Obersteiger Agathon den Ort genau in Augenschein zu nehmen. Am 3. August 1769 trafen beide in Bierde ein und schürften „an der Stelle, wo der Bergmann Tobias Schlößer Vermuthung auf Steinkohlen gehabt“. Le Petit beschrieb die Lage näher: Der Platz befinde sich „zwischen denen Dörffern Quezen [= Quetzen] und Bierde in dem königl[ichen] Gehölze, der Kleyberg genannt, an dem Hagen dicht an dem Fusstiege, welcher von Quezen nach Bierde gehet.“ Sechseinhalb Fuß tief habe man gegraben. Aber statt Kohle sei lediglich Wasser an die Oberfläche getreten: „Es war nicht die geringste Spur weder von Steinkohlen noch von dergleichen Gebürge und Erdarten vorhanden, welche gemeiniglich die Steinkohlen-Bäncke zu begleiten und mit sich zu führen pflegen, sondern bestand aus der Dammerde, worauf eine Schicht Grand und Thon-Erde erfolgete.“ Ernüchterung machte sich bei Le Petit breit; über Schlösser schimpfte er: „Ich kan nicht begreiffen, was diesen Mann darzu verleitet haben mag, und warum er sich auf bloßes Hörensagen verlaßen, daß in einer Tieffe von nicht 4 Fußen die schönsten Kohlen daselbst stehen sollten, ohne selbst vorhero um der Gewisheit halber einen Versuch zu machen, da weder über Tage ein Schweiff noch die geringste Spuhr vorhanden ist, daß ehemahls […] alhier auf Steinkohlen gebauet geweßen seyn sollte […].“

Aus der Traum! Statt Steinkohlegräberstimmung herrschte nunmehr Katerstimmung in der Kammer. Kurz und knapp vermerkten die Mindener Kriegs- und Domänenräte am 8. August 1769: „Da an dem angegebenen Ort nicht die geringste Spur weder von Stein-Kohlen […] vorhanden; So ist dieses ad acta zu nehmen.“ Der Fund von Kohle hätte die landesherrlichen Beamten sicherlich erfreut, zumal das preußische Königreich der Prämisse folgte, auf Importe größtenteils verzichten zu wollen. Somit erwies sich diese Episode vom Sommer 1769 zwar für die Zeitgenossen als wenig erbaulich. Dennoch ist sie sehr aufschlussreich: Einerseits belegt sie das Bestreben, wirtschaftlich möglichst autark zu werden und Importe zu vermeiden. Schließlich war Bierde nicht der einzige Ort, an dem Probebohrungen vorgenommen wurden. Tatsächlich führten manche Nachforschungen zur Einrichtung von Bergwerken – auch im Fürstentum Minden. Andererseits zeugt dieser Fall von den Kompetenzen der Kriegs- und Domänenräte in derlei Angelegenheiten: Für Kohle war die Kammer zuständig!

Literatur:

Gustav Griese, Der Bergbau in Ravensberg. Beiträge zur Geschichte des Berg-, Hütten- und Salinenwesens in der Grafschaft Ravensberg und im Fürstentum Minden, in: Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg 57 (1952/1954), S. 1–62.

Quelle:

Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, D 607/Kriegs- und Domänenkammer Minden, Nr. 1757: Entdeckung von Steinkohle bei Bierde (Amt Petershagen), 1769.

Die bisherigen Teile der Serie zur Kriegs- und Domänenkammer Minden:

Ein Dickicht voller Alltagskultur: Die preußischen Kriegs- und Domänenkammern in Westfalen im 18. Jahrhundert

Die Preußen wollen umsatteln: Zugochsen statt Pferde lautete die Devise

Erfindergeist in Minden und Ravensberg

Die Preußische Kriegs- und Domänenkammer und der Kampf gegen Viehseuchen