„Sonne, Wind und weiße Segel“. Der Bericht einer Reise zum Steinhuder Meer 1940

03.05.2024 Niklas Regenbrecht

Erste Textseite des Reiseberichts zum Steinhuder Meer.

Niklas Regenbrecht

Im Sommer 1939 wollten Resi und Kurt Fischer aus Hamm eigentlich mit der KdF nach Norwegen fahren. Wegen der „Unsicherheit im Zeitgeschehen“ wurde es dann allerdings nur ein Urlaub am Edersee, dessen Reisebericht hier bereits vorgestellt wurde. In Ihrem Sommerurlaub 1940 wollte das Ehepaar nun erneut versuchen, eine KdF-Reise („NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude“) zu unternehmen, diesmal sollte es ein Segelkurs am Steinhuder Meer sein. Einer der Werbeslogans der nationalsozialistischen Reiseorganisation, „Sonne, Wind und weiße Segel“, hatte sich bei Resi Fischer verfangen, wie sie zu Beginn ihres Berichts festhielt: „In dem kurzen Satz liegt soviel sommerlicher Frische und Freude, daß ich mit K.d.F. nach Steinhude möchte.“

Aus ungenannten Gründen klappte es aber auch diesmal nicht mit einer organisierten KdF-Reise. Das Ehepaar Fischer fuhr dennoch auf eigene Faust ans Steinhuder Meer, dem großen See in Südniedersachsen. Und auch von dieser Reise fertigte Frau Fischer ein aufwendiges Reisealbum. Es trägt den Titel „Ferien am Steinhuder Meer vom 18. – 29. August 1940“.

 

Die Zeichnung, möglicherweise ein Selbstportrait, ist untertitelt mit „Seepartie zum Wilhelmstein“ und von Resi Fischer unterschrieben.

Das in braunem Leder handgebundene Buch im Format 20x25cm besteht im Innenteil aus 71 handgeschriebenen Seiten auf hellgrünem Karton. Neben einer Titelzeichnung und einer weiteren Zeichnung enthält das Buch 33 eingeklebten Fotografien und Postkarten und drei beigebundene touristische Broschüren (Steinhuder Meer bei Hannover, Hannover, Führer durch den Großen Garten in Herrenhausen).

Wie in einem Reisebericht erwartbar – und wie auch schon in dem vorherigen Reisebericht von Resi Fischer –, werden die besuchten Orte, Tagesaktivitäten und Mahlzeiten beschrieben. Dazu gehörten insbesondere Wanderungen am Steinhuder Meer und in der Umgebung, Beschreibungen der umliegenden Sehenswürdigkeiten, der Landschaft und von Reisebekanntschaften. Bei den Reisebekanntschaften werden vor allem zwei Ehepaare hervorgehoben, mit denen Ausflüge und gesellige Abende verbracht wurden.

Höhepunkte der Reise waren ein paar Segelfahrten, unter anderem zur Insel Wilhelmstein, sowie ein Ausflug nach Hannover. Zu letzterem enthält der Bericht umfangreiche Beschreibungen der dortigen Herrenhäuser Gärten.

Das obere Bild zeigt die KdF-Segelboote, das untere Bild vermutlich Kurt Fischer.

Die KdF-Segelkurse, eingangs als eigentlicher Auslöser für die Wahl des Reiseziels geschildert, wurden beobachtet und mit wenigen Sätzen bedacht.

„Wir gehen auf der Promenade lang, sehen den Möven und den Taucherenten zu. Mit Gesang, die aufgerollten Segel geschultert, kommt eine Kolonne junger Menschen anmarschiert; vor dem Strandhotel halt, Flagge hissen und dann rein in die Boote. Hier schult K.d.F. Ein lustiges Bild, wie die Jungen und die Mädel im weißen Dress in den Jollen herumklettern, die Segel setzen und dann nacheinander ins offene Wasser hinaussteuern.“

Das Thema, was aus diesen für Reiseberichte typischen Inhalten herausfällt, ist das Entfliehen vor dem Krieg. Der Zweite Weltkrieg dauerte zu diesem Zeitpunkt fast ein Jahr an. Der Kriegszustand äußert sich hier zum einem im Entfliehen vor dem Luftkrieg, zum anderen in den Bemerkungen zu den Mahlzeiten.

Bereits auf der ersten Seite schreibt Resi Fischer zum Reisegrund: „Suchen wir doch außer schönen Segelpartien die ländliche Stille, denn in diesem Sommer des Kriegsjahres 1940 hat uns der Brite nur allzuoft die Nachtruhe genommen. Noch in der Nacht vom Samstag zum Sonntag haben wir einige Stunden im Keller verbracht.“

Eingeklebtes Foto: Insel Wilhelmstein im Steinhuder Meer.

Das Ehepaar lebte in Hamm, welches als Stadt von Industrie und Eisenbahn bereits früh im Krieg ein besonderes Ziel von Luftangriffen darstellte. Doch bereits vor der ersten Nacht konnten die Pensionswirte der Familie Tiedemann in dieser Hinsicht Beruhigung verbreiten:

„Ich freue mich auf eine störungsfreie Nacht; wie uns Tiedemanns sagen, sind Fliegeralarme hier selten, und wenn ein Tommy kommt, so stört sich niemand daran, also werde auch ich nicht aufstehen.“ 

Aber bereits in der zweiten Nacht war es so weit. In der neuen ungewohnten Umgebung sorgte der Alarm für Verunsicherung über die richtige Verhaltensweise:

„Es ist fast Mitternacht als ein feines Brummen an mein Ohr dringt. Oh! dieses Geräusch kenne ich nur zu gut, ein Brite; aber er zieht weiter, ohne daß sich hier irgendetwas regt. Etwa 5 Min. später kommt ein zweiter, ich lösche das Licht, öffne das Fenster und lausche, - auch er zieht vorüber. Und dann brummt der dritte, und da erschallt im Ort der mehrstimmige, mißtönige Warnruf der Sirene. Ich stehe unschlüssig, hat uns doch die Gefahr gelehrt, im Keller Schutz zu suchen. Aber im Hause rührt sich nichts, so lege auch ich mich nieder und schlafe schnell ein, daß ich von der klangvollen Entwarnung schon nichts mehr höre.“

Das vom Text eingerahmte Foto zeigt Ehepaar Fischer (links) mit Reisebekanntschaften.

Ein weiteres Mal noch beobachtete das Ehepaar auf dem Rückweg von einem Kneipenbesuch „am Nachthimmel das Feuerwerk der Flak“ in der Ferne. Ansonsten blieben sie in dieser Hinsicht vom Kriegsgeschehen verschont, sodass die Bilanz der Reise denn auch positiv hervorhob: „viel Nachtruhe wurde uns gegönnt; wir haben die 10 Tage keinen Keller gesehen“.

Eine andere kriegsbedingte Einschränkung im Urlaubsvergnügen betraf die Ernährung. Bereits die erste am Reiseziel eingenommene Mahlzeit wurde hinsichtlich ihrer Qualität kommentiert: „Sowie wir Steinhude erreichen, suchen wir Kaffee Dornbusch auf und lassen uns eine ordentliche Portion Kaffee und Kuchen verabreichen, Kaffee zeitentsprechend, der Kuchen ohne jeden Geschmack. Na ja!“

Auch das Frühstück in der Pension wurde mit Verweis auf die aktuelle Lage entschuldigt: „etwas knapp, aber wir haben eben Krieg“.

Mit Kriegsbeginn wurden in Deutschland Lebensmittelmarken eingeführt. Das betraf natürlich auch den Kauf von Lebensmitteln im Urlaub. Und so wird im weiteren Reiseverlauf überrascht hervorgehoben, ohne Lebensmittelmarken Kuchen erhalten zu haben: „In einem kleinen Kaffee oberhalb des Kurgartens stärken wir uns mit Kaffee und gut schmeckendem Kuchen, sogar ohne Marken.“

Ledereinband des Reisealbums.

Das funktionierte ebenso in einem anderen Lokal in Bad Rehburg „Es wird gut und reichlich serviert und dann sogar noch ohne Marken. Diesen letzten Schachzug verdanken wir Mutti, auf so etwas versteht sie sich.“ Offensichtlich war die Bezahlung ohne Lebensmittelmarken nur dem besonderen Verhandlungsgeschick zu verdanken, hier einer Reisebekanntschaft, die auf den Namen „Mutti“ getauft wurde. In einer anderen Wirtschaft klappte es hingegen nicht auf diese Art: „Auch Schinkenstullen können wir hier haben, kosten aber viel Marken und viel Geld.“

Von diesen geringfügigen Einschränkungen abgesehen, zeigt der Bericht, welche privaten Urlaubsreisen auch in den ersten Kriegsjahren noch möglich waren (über Reisen im Sommer 1944 wurde hier bereits berichtet). Er gibt ebenso Aufschluss über das Gestalten und Kuratieren von Reiseerinnerungen sowie über die Themen, die dazu ausgewählt wurden.

Dass so ein Reisebericht manche Teile einer Reise weniger ausführlich festhielt, als es in der Erinnerung von Mitreisenden der Fall war, zeigt sich unter anderen an einer Handvoll Briefen und Postenkarten der Reisebekanntschaften. In allen vier überlieferten Briefen der Reisebekanntschaft Ilse Zimmermann etwa, spielte diese stets auf die gemeinsamen Trinkabende in Steinhude an. So etwa auch im April 1941: „Wie geht’s Deinem Kurtius u. Dir? Trinkt Ihr noch oft Körnchen?“

 

Quelle: Ferien am Steinhuder Meer vom 18. – 29. August 1940, Archiv für Alltagskultur in Westfalen, K03206.0001.