„Mehr Spaß am Arbeitsplatz durch mehr Mode": Berufskleidung 1974

20.09.2022 Niklas Regenbrecht

Christiane Cantauw

In Graugold, dem Magazin für Alltagskultur, präsentieren wir neben einer aktuellen Fotostrecke stets auch eine historische. In der zweiten Ausgabe werden Fotografien aus der Fotoserie Berufskleidung gezeigt, die insgesamt 41 Diapositive im Kleinbildformat umfasst; 11 davon wurden in Graugold gezeigt. Die Fotografien gehören zum Personenbestand Gustav Hildebrand (1925–2017); er wird im Archiv für Alltagskultur der Kommission Alltagskulturforschung verwahrt. Neben den Dias gibt es noch einen Text von Gustav Hildebrand, der möglicherweise ebenso wie die Fotografien für die Zeitschrift Scala International bestimmt war.

Gustav Hildebrand berichtet in seiner Reportage über eine Berufskleidungskollektion des deutschen Modeschöpfers Heinz Oestergaard (1916–2003). Dessen Auftraggeber war der „Expert-Verbund“, zu dem sich 1968 Produzenten von pflegeleichten Stoffen mit der Enka Glanzstoff AG 1968 zusammengeschlossen hatten. 1974 konnte der Verbund Heinz Oestergaard für den Entwurf einer Berufskleidungskollektion gewinnen, die unter dem Motto „Mehr Spaß am Arbeitsplatz durch mehr Mode“ stehen sollte.

Heinz Ostergaard beim Entwurf einer Berufskleidungs-Kollektion, 1974 (Archiv für Alltagskultur, Inv.-Nr. 0000.A.0942)

Der 1916 in Berlin geborene Heinz Oestergaard hatte sich bereits vor dem Zweiten Weltkrieg als Modedesigner einen Namen gemacht. Nach seiner Rückkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft stieg er schon 1946 wieder ins Modegeschäft ein. Zahlreiche Prominente wie Zarah Leander, Maria Schell, Romy Schneider oder Hildegard Knef ließen sich von ihm einkleiden. 1967 siedelte Heinz Oestergaard von Berlin nach München über und arbeitete von dort unter anderem als Modeberater für das Quelle-Versandhaus. Modekleidung für die Breite der Bevölkerung entwickelte sich fortan zu einem wichtigen Tätigkeitsfeld des Modemachers, der nicht nur Versandhausmode, sondern auch Polizeiuniformen sowie Dienst- und Schutzkleidung für ADAC, THW und weitere Unternehmen entwarf.

Heinz Oestergaards Anspruch war es, dass die von ihm entworfene Berufskleidung zugleich praktisch und kleidsam sein sollte. Deshalb informierte er sich bei verschiedenen Berufsgruppen über deren Probleme und Wünsche hinsichtlich ihrer Kleidung. Bevor er mit der Ausarbeitung seiner Kollektion begann, wurden außerdem „6.150 Einzelberufe“ (Manuskript, S.1) zum Thema Berufskleidung befragt.

Für die Berufskleidungskollektion nutzte Heinz Oestergaard ein Mischgewebe aus Baumwolle und einer Kunstfaser, die unter dem eingetragenen Markennamen Diolen angeboten wurde. Diolen ist eine Polyesterfaser, die von den Vereinigten Glanzstoff-Fabriken in Wuppertal AG, der späteren Enka Glanzstoff AG, entwickelt und hergestellt worden war und die ebenso wie andere Chemiefasern (Perlon, Dralon, Dorlastan, Trevira etc.) als technische Errungenschaft der deutschen Chemieindustrie galt.

Stoffe aus Chemiefasern sollten „angenehm im Tragen und leichter in der Pflege“ (Manuskript, S. 1) sein, auch die erhöhte Haltbarkeit war ein Argument für die neuen Mischgewebe. Der wirtschaftliche Erfolg der im „Expert-Verbund“ zusammengeschlossenen Firmen sprach mit 350 Prozent Umsatzzuwachs in vier Jahren für sich. Weil die Chemiefaserproduktion in Deutschland wegen der Ölkrise wirtschaftlich weniger Gewinn abwarf, versuchte man 1974 den Absatz durch eine Steigerung des modischen Anspruchs an die Berufskleidung zu erhöhen. Daher wurde mit Heinz Oestergaard ein bekannter Modeschöpfer engagiert, der eine Anregungskollektion für Gärtner und Gärtnerinnen, Maler/Anstreicher, Automechaniker, Glaser, Telefonistinnen, Kindergärtnerinnen und andere Berufsgruppen in modischen Farben und Schnitten erstellen sollte.

Unter dem Motto „Mehr Spaß am Arbeitsplatz“ gestaltete Heinz Oestergaard eine Kollektion Berufskleidung aus einem Diolen-Baumwollmischgewebe in leuchtenden Farben und zeitgemäßen Schnitten. (Fotos: Archiv für Alltagskultur Inv.-Nrn: 0000.A0898; 0000.A0903; 0000.A0914)

Im Gegensatz zur 1973 von Heinz Oestergaard entworfenen ersten bundesweit einheitlichen Polizeiuniform, die er von leibhaftigen Polizisten präsentieren ließ, wurden die Entwürfe der Berufskleidungs-Fotostrecke von Mannequins vorgeführt. Das lässt sich u. a. an der durchgehend sehr schlanken Figur und der oft ungelenken Haltung der fotografierten Frauen und Männer ablesen, die die berufstypischen Bewegungen nur nachahmen. Trotzdem sollten die Fotografien möglichst natürlich wirken. Sie wurden daher nicht im Fotostudio, sondern auf der Straße oder an  berufsspezifischen Arbeitsplätzen aufgenommen – die vielfach aber auch inszeniert waren.

Heinz Oestergaard begutachtet die ersten nach seinen Entwürfen geschneiderten Modelle. (Berufskleidungskollektion von Heinz Oestergaard, 1974, Archiv für Alltagskultur, Inv.-Nr. 0000.A0963)

An der Berufskleidungskollektion lassen sich die noch 1974 in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Geschlechterrollen gut ablesen: Frauen sind Krankenschwestern, Telefonistinnen, „Masseusen“, Putzfrauen, Frisörinnen oder Kindergärtnerinnen. Männer arbeiten überwiegend in Handwerksberufen. Einzig in der Gärtnerei war offenbar ein Zusammenarbeiten von Männern und Frauen denkbar.

„Bei der modisch schicken Kleidung für Gärtner und Gärtnerin dominiert natürlich die Farbe grün“. (Berufskleidungskollektion von Heinz Oestergaard, 1974, Archiv für Alltagskultur, Inv.-Nr. 0000.A0930)

Spannend an der Fotoserie von Gustav Hildebrand ist die Diskrepanz zwischen der Zueignung der Kleidung (Arbeit/Beruf) und der Anmutung der Fotografien. Letztere zeigen keine Tätigkeiten, die anstrengend oder schweißtreibend sind, sondern sie zeigen die Nachahmung von Tätigkeiten, bei denen man sich (unter Umständen) schmutzig machen könnte. Die Botschaft liegt auf der Hand: Die technische Errungenschaft Chemiefaser ermöglicht eine Übernahme des Konzepts von strapazierfähiger Mode in den Bereich Arbeit/Beruf. Mode hat damit einen alle Lebensbereiche umfassenden Anspruch an die modernen Menschen oder mit den Worten von Gustav Hildebrand: „Heute ist bewiesen, daß die Mode an der Berufskleidung nicht mehr vorübergehen kann – im Gegenteil – daß sie vielmehr eine echte Alternative zur Freizeitkleidung darstellt. Die Zeiten, da man lust- und freundlos in den ‚Arbeitskittel‘ schlüpfte, werden bald endgültig vorbei sein.“ (Manuskript, S.2).

 

Quellen:

Archiv für Alltagskultur, Personenbestand Gustav Hildebrand, Sign. K02922.

Literatur:

Korbik, Johanna (2021): Mode frei Haus. Die Modewelten der Quelle-Kataloge, 1954–1978. Münster/New York.