Brautbutter

26.07.2022 Peter Herschlein

Hochzeit Karl Rietmann und Hermine Brüning, Hörstel 1952. Die Brautbutter wog 4 Kilogramm. Archiv für Alltagskultur in Westfalen, 0000.01018, Fotograf: Kerkhof.

Christiane Cantauw

„Nachmittags wird um 4 Uhr Kaffee eingenommen, bei dem es früher Platenkuchen und Butterbrot gab. Auf dem Brauttisch stand die ‚Brautbutter‘, eine Henne mit 5 Küchlein. Eine Wirtsfrau hatte sie geformt. Heute gibt es nur Torte und Gebäck.“ (Alltagskulturachiv, Ms. 2942).

 

Hochzeit Karl Rietmann und Hermine Brüning, Hörstel 1952. Detailaufnahme der Brauttbutter. Archiv für Alltagskultur in Westfalen, 0000.01019, Fotograf: Kerkhof.

Das obige Zitat stammt aus dem Bericht eines Gewährsmannes aus dem Emsland zum Thema „Verlobung und Hochzeit“ (Fl. 8). Die Volkskundliche Kommission hatte 1952 eine Frageliste zu diesem Themenkomplex an eine Reihe von Gewährspersonen in Westfalen und angrenzenden Regionen versandt und von ihnen einen zusammenhängenden Bericht zum Thema erbeten. Als Referenz war das eigene Erleben gefragt. Zeitlich reichen die Berichte deshalb bis in die 1880er Jahre zurück. In vier Berichten finden sich auch Aussagen zur Frage aus der Frageliste: „Werden nach dem Mahle Butterwellen auf den Tisch gebracht aus den Spenden der Nachbarn?“

Hochzeitsbutter, Münster 1953. Archiv für Alltagskultur in Westfalen, 0000.02630, Fotograf: Clemens Hülsbusch.

Die Frage rekurriert auf ein Festelement, welches an der Wende zum 20. Jahrhundert überwiegend bereits unbekannt war: die Brautbutter. Die zur Hochzeit eingeladene Nachbarschaft brachte als Geschenk im Vorfeld der Feier Schinken und Butter zum Hochzeitshaus. Die Menge von beidem entsprach der sozialen und wirtschaftlichen Bedeutung eines Hofes: Von den mittleren und großen Bauern wurden beispielsweise in Ammeloe, Kreis Vreden, um Jahrhundertwende ein Schinken und eine große Welle Butter (vier bis fünf Pfund) erwartet.

Hochzeit Karl Rietmann und Hermine Brüning, Hörstel 1952. Die Brautbutter wurde von Alwine Rietmann dekoriert und wog 4 Kilogramm. Archiv für Alltagskultur in Westfalen, 0000.01017, Fotograf: Kerkhof.

Bei einer Hochzeit mit 200 bis 300 Gästen, wie sie um 1900 auf dem Lande nicht unüblich war, kamen auf diese Weise durchaus mal 25 Kilo Butter und mehr zusammen. Ein kleiner Teil der Butter wurde zu Brautbutter verarbeitet, d. h. die Butter wurde in Tierform gebracht (Lamm, Henne und Küken, Löwe etc.) oder mit Hilfe von Butterstempeln verziert und mit einem Myrtenkranz oder einem Fähnchen versehen auf einem „schönen Teller“ (Bericht Nr. 693) angerichtet. Dass der Butter eine repräsentative Bedeutung zukam, lässt sich auch aus der Tatsache ableiten, dass sie auf dem Brauttisch präsentiert wurde und gar nicht zum Essen vorgesehen war. Sie bildete ein dekoratives Element auf dem Brauttisch, der meist quer zu den Tischen der Gäste stand. Er war der Ehrentisch, an dem außer dem Brautpaar nur die Brauteltern und besondere Gäste wie der Pfarrer platziert wurden. Entsprechend seiner Bedeutung als Ehrentisch war dieser Tisch mit einer Tischdecke versehen – auch dann, wenn für die Tische der Gäste keine Tischdecken vorhanden waren. 

Hochzeit Winter, von den Nachbarn gestiftete und dekorierte Hochzeitsbutter, Vreden-Ellewick 1963. Archiv für Alltagskultur in Westfalen, 0000.26689.

Eine Hochzeit bot immer auch Gelegenheit zu zeigen, was man hatte. Dazu gab es reichlich (mehr oder weniger subtile) Möglichkeiten – angefangen von der Aussteuer über das Brautkleid, die Anzahl der Gäste oder das Hochzeitsmahl bis hin zu der Größe der Kapelle und die Menge an Getränken. Eine dieser Möglichkeiten zur Repräsentation war die Brautbutter, die als Nachahmung höfischer Punkkultur des 17./18. Jahrhunderts eingeordnet werden kann. In adeligen und bürgerlichen Kreisen war diese Form der Zurschaustellung von Überfluss längst unüblich geworden; auf dem Land konnte sie sich offenbar noch eine Weile behaupten. Das lag im Wesentlichen daran, dass die Hochzeitgeschenke auf dem Land als ein Beitrag zur Feier galten. Deshalb wurden sie auch nicht am Tag der Hochzeitsfeier, sondern bereits im Vorfeld überreicht. Für die übergebene Butter bedeutete dies, dass der Teil, der nicht zur Dekoration des Brauttisches vorgesehen war, zur Herstellung der Speisen und Backwaren für die Hochzeitsfeier genutzt werden konnte.

Die als Tischschmuck verwendete Brautbutter hingegen war sichtbares Symbol dafür, dass man über die für die angemessene Beköstigung der Gäste erforderliche Menge an Butter verfügte und es sich darüber hinaus leisten konnte, fünf bis sieben Pfund Butter zu einem Dekorelement des Ehrentisches zu verarbeiten, das während der Hochzeitsfeierlichkeiten gar nicht zum Verzehr vorgesehen war. Was geschah danach mit der Brautbutter? In Catenhorn bei Rheine wurde sie zum Beispiel nach der Hochzeit an die Köchin verschenkt.

Frageliste 8: „Verlobung und Hochzeit“ (9,7 MB)

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