Stefan Kleine
Ende 2023 legte der Historiker und Stadtarchivar von Heek, Josef Wermert, eine wissenschaftliche Arbeit über das Reliquienkreuz in der Heeker St.-Ludgerus-Kirche vor. Es wird als heiliges oder wundertätiges Kreuz, in neuerer Zeit auch unter der Bezeichnung Gnadenkreuz, verehrt. Wegen seiner bildhauerischen Qualität, seiner Ausstrahlungskraft und dem im Kopf des Korpus verwahrten Reliquienschatz fasziniert das Kreuz die Besucher der Kirche seit vielen Jahrhunderten.
In der von der Forschungsgemeinschaft zur Geschichte des Nordmünsterlandes e.V. herausgegebenen Studie geht der Autor der Historie dieses einzigartigen sakralen Kultobjekts und Kunstwerks nach und beschäftigt sich dabei intensiv auch mit der heimatgeschichtlichen und wissenschaftlichen Forschung. Er stellt nicht nur manche zum Teil seit Jahrzehnten immer wieder vorgetragene, aber unbelegte Behauptungen und Mutmaßungen infrage, sondern es gelingt ihm durch die Heranziehung zahlreicher neuer Quellen, ein erweitertes Bild von der Geschichte und Verehrung des Kreuzes zu zeichnen, dessen ‚Heiligkeit‘ vor allem daher rührte, dass in ihm eine Reliquie vom „Wahren Kreuz Christi“ verwahrt wurde und noch immer wird.
Durch neue Quellenfunde kann der Autor die Verehrung des Kreuzes bis ins frühe 14. Jahrhundert (1317) nachweisen und sogar bis in seine Entstehungszeit um 1200 wahrscheinlich machen. Wermert bringt dabei die Herkunft des Kreuzes in Zusammenhang mit der Gründung der Landesburg Nienborg durch den münsterischen Fürstbischof Hermann II. von Katzenelnbogen (+ 1203) um das Jahr 1198. Dieser habe das Kreuz mit der Kreuzreliquie offensichtlich seinen auf der ‚neuen Burg‘ ansässig gemachten zahlreichen Burgmannen gestiftet, für die die Pfarrkirche zu Heek als Sakraments- und Grabeskirche vorgesehen war. Für die ritterlich lebenden Burgmannen, die sich auch als eine sakrale Gemeinschaft verstanden, sei das Heilige Kreuz fortan das wichtigste Kultobjekt in ihrer Mutterkirche in Heek gewesen. Unter dem Kreuz oder zumindest in seiner Nähe wollten sie begraben werden. Wermert kann weiter nachweisen, dass die mit vielen Stiftungen verbundene Verehrung mit der Reformation und ihrer Kritik an der Bilder-, Reliquien- und Heiligenverehrung zum Erliegen kam, während die seit 1521 nachweisbare große Kreuztracht (das ist eine Prozession unter Vorantragung eines Kreuzes) um die Pfarrgrenzen in der Volksreligiosität überlebte. Seit der Zeit der Gegenreformation wurde diese damals immer noch durch viele weltliche Elemente geprägte Kreuztracht allmählich zu einer rein kirchlichen Prozession umgebildet und um eine neue Stations-Kapelle in Ahle (erbaut 1725/26) ergänzt. Forciert durch Pfarrer Ferdinand Grimmelt entwickelte sich die Kreuztracht im Kontext des Kulturkampfes Ende des 19. Jahrhunderts durch ihre Ausschmückung und die zahlreichen Teilnehmenden zu einer Machtdemonstration katholischen Glaubens. Im Laufe der Zeit änderte sich nicht nur das Erscheinungsbild der Kreuztracht sondern auch ihr Verlauf: Der Burg-Ort Nienborg, der seit frühen Zeiten immer Teil der Kreuztracht gewesen war, wurde beispielsweise durch die Verkürzung des Umgangs zur Kapelle in Ahle im Jahr 1829 von der Teilnahme ausgeschlossen.
Der Autor nimmt nicht nur die Veränderungen in der Kreuzverehrung und im Prozessionswesen in den Blick und geht den Prozessionswegen nach, sondern skizziert auch Ansätze von Nahwallfahrten seit dem 17. Jahrhundert. Auch bezieht er den Wandel im katholisch-religiösen Leben im 19. Jahrhundert mit ein, als mit der Einführung der Kreuzwoche (1828/29) ein neues Kreuzfest etabliert wurde, das für die Gläubigen vor Ort – neben der Kreuztracht – bis in die Gegenwart von besonderer Bedeutung ist.
Wermert, Josef: Das Heilige Kreuz in Heek. Studien zur Geschichte und Verehrung eines Kult- und Kunstobjektes in der Pfarrkirche zu Heek. Herausgegeben von der Forschungsgemeinschaft zur Geschichte des Nordmünsterlandes e.V. Detmold: Lippe Verlag 2023. 213 Seiten. (=Nordmünsterland-Studien Band 4).