„Wuppertal und Münster. Also, so Bereiche, in denen die Leute sagen Uah, Ruhrgebiet …“

26.11.2024 Niklas Regenbrecht

Einband: Huszka: #ruhrgebiet.

Timo Luks

Victoria Huszka geht in ihrer Dissertation der Frage nach, welches Bild sich Menschen vom Ruhrgebiet machen und wie sich dieses Bild auf der Social Media-Plattform Instagram manifestiert. Eine Region, so ihre Annahme, wird „alltagspraktisch“ von verschiedenen Akteur:innen (in) der Region produziert. Die dabei hervorgebrachten Visualisierungen greifen auf kulturelle Ressourcen zurück und setzen sich mit bereits bestehenden Bildern auseinander. Im Fall des Ruhrgebiets spielen nach wie vor die montanindustrielle Vergangenheit sowie die durch ein Verschwinden der Montanindustrie geprägte Gegenwart eine entscheidende Rolle. Huszka interessiert sich dafür, wie und wo Menschen „mit sozialen Medien wie Instagram Vorstellungen des Ruhrgebietes nach dem Strukturwandel hervorbringen und damit auch neue Bedeutungen der Region aushandeln.“ (S. 39)

Victoria Huszka nahm im Rahmen ihrer Forschung an sogenannten Insta-Walks teil, also speziellen Events, die teilweise vom Stadtmarketing für Influencer und Multiplikatorinnen organisiert werden, aber auch als touristische Events oder privat organisierte Spaziergänge stattfinden. Bei diesen Treffen tauschen sich Gleichgesinnte aus und suchten gemeinsam Motive für ihre Bilder.

Im empirischen Teil ihrer Studie identifiziert Victoria Huszka drei Themen: erstens das Ruhrgebiet als „urbane Metropolregion“; zweitens das Ruhrgebiet als „kreative Wissensregion“; drittens das Ruhrgebiet als „lebendige und grüne Freizeitregion“.

Erstens. In verschiedenen Standortkampagnen der jüngeren Zeit lässt sich die Tendenz beobachten, das Ruhrgebiet nicht über die Besonderheiten einzelner Städte darzustellen. Stattdessen wird die „Agglomeration ungewöhnlich vieler Städte in einem geographischen Raum“ als Charakteristikum der Region betont. Diese Kampagnen rechnen oft mit einem Negativimage des Ruhrgebiets. Die Mitarbeiterin einer Bochumer Marketingagentur gab etwa zu Protokoll: „Für unsere Markenkampagne ist dann beispielsweise auch das Münsterland wichtig gewesen oder auch Wuppertal und Münster. Also, so Bereiche, in denen die Leute sagen ‚Uah, Ruhrgebiet ...‘, dass man die dann halt mal vom Gegenteil überzeugt.“  (S. 151) Das wiederum, so Victoria Huszka, werfe die Frage auf, wie Menschen auf Instagram den urbanen und Metropolencharakter des Ruhrgebiets visualisieren. Im Grunde wenig überraschend, aber dennoch aufschlussreich, kann sie zeigen, dass in den Postings Urbanität als soziales Versprechen verstanden wird – das im Ruhrgebiet aus Sicht der Akteur:innen nicht eingelöst werde. Ein Instagrammer wie Benjamin, der wieder und wieder die – aus seiner Sicht – viel zu wenigen angesagten Coffeeshops fotografierte und postete, vermisste im Ruhrgebiet „die in solchen paradigmatischen Räumen des urbanen Konsums verortete Erfahrbarkeit von Stil und Kosmopolitismus“. Ihm fehlte die „Inspiration“ bezüglich Mode und Stil, die er mit diesen Orten verband und die es andernorts eben gäbe. Er vermisste, wie Huszka das formuliert, „eine stilprägende soziale Klasse im Ruhrgebiet“, mit der er sich hätte identifizieren können. Die immer wieder – oft genug floskelhaft oder rituell – beschworene „industrieproletarische Vergangenheit“ langweilte ihn und war als Identifikationsangebot längst schal und hohl geworden. Benjamin und andere Besucherinnen und Besucher des hippen Coffeeshops, so Huszka, imaginieren sich „mit ihrem ‚kreativen‘ Potenzial in Opposition zu einer stilistisch proletarisch geprägten Mehrheitsgesellschaft im Ruhrgebiet […], von der sie sich sozialräumlich abgrenzen“. (S. 117)

Zweitens. Bilder des Ruhrgebiets als kreativer Wissensregion sind, das kann Victoria Huszka zeigen, eng verwoben mit der Tätigkeit der Instagrammer:innen, ihrem Selbstverständnis und ihrer Selbstinszenierung, denn sie sehen sich nicht zuletzt selbst als Protagonisten eines Strukturwandels, in dessen Folge der Coworking-Space die Zeche als paradigmatischen Ort der Arbeit ersetzt. Postings von Insta-Meetings in einem Coworking-Space stehen exemplarisch für die Visualisierung des Ruhrgebiets als kreativer Wissensregion. „Um ein imaginary des Ruhrgebiets als Wissensregion etablieren zu können, übersetzen meine Forschungspartner:innen“, so Huszka, „den Protagonisten der Industrievergangenheit, den Industrie- und Bergarbeiter, in die Figur der:s Wissensarbeiter:in und formen ihn für ihre Zwecke symbolisch-diskursiv um.“ (S. 184)

Drittens. Visualisierungen des Ruhrgebiets entdecken auch die Natur neu. Durchaus überraschend ist allerdings die Art und Weise, in der das geschieht. Victoria Huszka zeigt, dass die mit der IBA Emscher Park in Gang gekommenen und fortlaufenden Renaturierungsmaßnahmen auf den untersuchten Social Media-Profilen kaum Niederschlag finden. Auf Instagram stehe nicht eine gestaltete und zu pflegende Natur im Zentrum, sondern „das Wissen von einer erobernden und wilden Natur“. (S. 213) Die „Natur“ der Postings sei eine wilde, zurückkehrende und sich bestimmte Räume zurückerobernde Natur. Diese Perspektive verstärke das Bild des Ruhrgebiets als einer sich auf allen Ebenen transformierenden Region. „Inmitten der wiedergekehrten Natur haben die noch sichtbaren Gebäude der Industrie, wie [Instagrammer] Matthias sie nannte, keine Funktionalität mehr und können als Ruinen synthetisiert werden. Sie dienen nur noch der malerischen Inszenierung und Ästhetisierung, um die Natur als handlungsfähig erscheinen zu lassen. […] Nachdem meine Forschungspartner:innen, die sich dem Visualisieren des Ruhrgebietes als grüne Region verschrieben haben, keinerlei persönliche Erinnerungen oder Verbindungen mit den Industriegebäuden als ehemalige Arbeitsstätten haben, verbleibt diese romantische Wiederverzauberung auf der Ebene eines losen atmosphärischen Modus des Vergangenen“. (S. 218f.)

#Ruhrgebiet bietet zahlreiche Einblicke in zeitgenössische Visualisierungen einer Region. Es ist spannend nachzuvollziehen, in welchen Bahnen sich die gegenwärtige Bildproduktion bewegt und wie sie sich mit der montanindustriellen und industrieproletarischen Vergangenheit des Ruhrgebiets auseinandersetzt. Allerdings hat die Anlage der Arbeit aus meiner Sicht ein Grundproblem, dass sie mit vielen wissenschaftlichen Qualifikationsarbeiten teilt: das massive Ungleichgewicht zwischen der theoretisch-methodischen Einleitung und den empirischen Teilen. Victoria Huszka breitet auf 100 Seiten ihr Forschungsdesign aus, während es die Darstellung des eigentlichen Forschungsgegenstands auf 140 Seiten bringt. Im Grunde handelt es sich um zwei Abhandlungen. Die erste ist eine Darstellung theoretischer Diskussionen um regionale Identität und deren Visualisierung, die in ihrer Tiefe und Breite wohl nur für spezialisierte Forschungskolloquien interessant ist, im empirischen Teil der Arbeit aber auch nur noch bedingt eine Rolle spielt. Wer eine Abhandlung zur Visualisierung des Ruhrgebiets erwartet, bekommt diese zwar auch, aber eben erst ab Seite 108. Diese Teile wiederum hätte ich mir ausführlicher und dichter gewünscht, vor allem auch stärker kontextualiserend. Beispielsweise wäre – zumindest für mich – eine Einbettung der Visualisierungen des Ruhrgebiets in den bereits länger zu beobachtenden Trend der Industrieruinenfotografie sowie dessen Verhältnis zum vorangegangenen Trend der Musealisierung (unter dem Schlagwort der Industriekultur) aufschlussreicher gewesen als Spezialfragen zum „Konzept der Kulturellen Politischen Ökonomie nach Bob Jessop“. Anderen Leser:innen mag das natürlich anders gehen.

Literatur

Huszka, Victoria: #ruhrgebiet. Visualisierungen einer Region im sozioökonomischen Wandel. Münster 2024.