Christiane Cantauw
„Früher war mehr Lametta.“ Mit dieser Aussage erklärt Opa Hoppenstedt seit 1978 dem deutschen Fernsehpublikum die Weihnachtsbaumtradition in seiner TV-Familie. Der Sketsch „Weihnachten bei den Hoppenstedts“ von Loriot ist jedoch nicht nur Beleg für die Vorliebe des Kleinbürgertums für eine (über)reich geschmückte, glänzende und glitzernde Weihnachtsbaumdekoration, sondern er ist auch Beispiel für ein häufig genutztes rhetorisches Mittel, das auch im Archiv für westfälische Volkskunde (heute Alltagskulturarchiv) dokumentiert ist: Gemeint ist der ‚Früher-heute-Vergleich‘.
Kaum einer der 31 Gewährsleute-Berichte zur Frageliste 25 „Advents- und Weihnachtsbrauchtum“, in dem nicht zum Vergleich mit einer gegenwärtigen Praktik ein unspezifisches „früher“ herangezogen wird: „Früher wurde auf Farbenpracht Wert gelegt“ (Ms 3409); der Christbaum „ist mit Kugeln, Sternen, Lametta und weißen Kerzen geschmückt und mit mehr oder weniger Dingen, die eßbar sind, ungefähr wie auch früher“ (Ms 2036); „Der Schmuck war früher bunter“ (Ms 3399).
Wann genau „früher“ war, darauf legen sich die Autor:innen der Berichte nicht fest. Sie bemerken aber, dass sich ästhetische, wirtschaftliche und/oder soziale Veränderungsprozesse auch in den Weihnachtsdekorationen widerspiegeln: Statt der bunten Kugeln, Kugelketten, Kerzen, bronzierten Nüsse, rotwangigen Äpfel und der bunt eingepackten Esswaren nehme „man nur noch wenige Kugeln, dafür aber mehr Lametta und teilweise künstlichen Schnee“ (Ms. 3399), betont ein Gewährsmann in seinem Anfang 1969 verfassten Bericht aus dem sauerländischen Plettenberg-Oesterau.
Ein anderer aus dem münsterländischen Wettringen meint beobachtet zu haben, dass der Christbaum in Familien mit Kindern bunter, nämlich „mit verschiedenfarbigen Kugeln, Gebäck“, geschmückt sei und dass der Weihnachtsbaum in Haushalten ohne Kinder „einheitlicher“ aussehe: „mit silbernen Kugeln, weißen Kerzen und mit oder ohne Lametta“ (Ms 3508). „Auch Strohsterne sind an unserem Baum“, fügt er noch an und spricht damit einen Christbaumbehang an, der in Westfalen gegen Ende der 1960er Jahre populär wird.
Die industrielle Massenfertigung von billigem Christbaumschmuck in Fernost und der Hyperkonsum beschleunigen seit den 1970er Jahren die Abfolge von Dekorationsmoden. Wie die Kleider-Mode werden die Christbaumschmuckkollektionen nur für eine Saison angeboten – der mit „heute“ bezeichnete Fixpunkt in der Gegenwart, den auch die Gewährsleute des Archivs für ihren Berichtszeitraum nutzten, ist damit auf wenige Monate im Jahr limitiert.
Das natürlich nur dann, wenn die wechselnden Christbaumschmuck-Moden überhaupt von Belang sind. In der Familie eines Gewährsmannes aus Tecklenburg-Leeden sah der Weihnachtsbaum so aus: „Seit eh u. je der gleiche Schmuck: Lametta, vielfarbige Glaskugeln, goldene u. silberne Sterne, Engelhaar, vergoldete Nüsse, rotbackige Äpfel, Gebäck, mehrfarbige Wachskerzen, dazu noch Wunderkerzen“ (Ms 3505). Der geschmückte Baum entzog sich damit einem „Früher-heute-Vergleich“ und wechselte über in eine andere Zeitwahrnehmung: „schon immer“. Für uns Heutige stellt sich da die Frage: Immer noch?
Das Alltagskultur-Blog verabschiedet sich nun in die Winterpause und ist am 7. Januar 2025 wieder mit neuen Beiträgen online. Bis dahin wünschen wir frohe Weihnachten und einen guten Start in das kommende Jahr!