Schwerpunkt Fotografie: Das China-Album des Hugo von Königslöw. Mehr als nur koloniale Reisefotografie um 1900

28.02.2025 Niklas Regenbrecht

Gruppenporträt wohlhabender Bauern aus der Provinz Schantung, links im Bild Grabwerkzeug und Vermessungsstab. Aus dem China-Album des Hugo von Königslöw 1898/1901, Foto: Bergassessor Hugo von Königslöw

Stephan Sagurna

Drei chinesische Bauern, ihrer Kleidung nach gut situiert, statisch, regungslos, vis-a-vis dem Betrachter gegenüber - das zeigt uns diese Schwarz-Weiß Fotografie aus der Zeit um 1900. Entstanden ist die Aufnahme im kaiserlich-kolonialen, zwangsverpachteten Jiaozhou, das in der Kolonialzeit als „Schutzgebiet Kiautschou“ bezeichnet wurde und das an der chinesischen Ostküste des Gelben Meeres lag. Urheber der Fotografie ist Hugo von Königslöw (1868 - 1926), seines Zeichens Bergassessor und Teilnehmer einer Expedition der Schantung-Bergbau-Gesellschaft, die 1898 in das chinesische Tsingtau aufbrach.

Ein besonderes und bezeichnendes Detail dieser Fotografie befindet sich am linken Bildrand: Eine Schaufel und weiteres Grabwerkzeug sowie ein Vermessungsstab – Indizien und Werkzeuge der Landnahme durch die deutschen Kolonialisten.

Damit spiegelt sich bereits in der formalen Bildkomposition dieser Fotografie der koloniale Blick des Deutschen Kaiserreichs auf die chinesische Kolonie, die vor allem als Lieferant von Rohstoffen von Interesse war. 

Atelierporträt des Bergassessors Hugo von Königslöw, um 1906. Foto: Hofphotographen L. Stüting & Sohn, Bonn.

Doch der Reihe nach:

Der Protagonist

Kurz nachdem der junge Hugo von Königslöw sein Diplom zum königlichen Bergbauassessor erhielt, nahm er an einer Expedition zur Erforschung der Kohlevorkommen in der ostchinesischen Provinz Schantung teil. Im großen Stil wollte ein deutsches Bankenkonsortium, die Schantung-Bergbau-Gesellschaft, die koloniale Ausbeutung der dortigen Steinkohlevorkommen vorantreiben.

Von Königslöws Expeditionsteilnahme dauerte von 1898 bis 1901. Sein Fotoalbum dieser Reise, das „China-Album“, wurde über Generationen in der Familie bewahrt, bis es 2019 fast auf dem Flohmarkt endete. Heute befindet sich das Album als fotohistorisches Dokument der kolonialen Montangeschichte im Deutschen Bergbau-Museum Bochum.

Das China-Album des Hugo von Königslöw, 120 Jahre nach seiner Erstellung. Nachdem jemand einmal einen Blumentopf auf dem Album abgestellt hatte, wurde es durch den ringförmigen Abdruck unansehnlich und uninteressant für die Familie. Links: Albumdeckel mit Goldprägung, rechts: aufgeschlagene Doppelseite. Foto: Stephan Sagurna

Das Album

Auf 40 Seiten enthält das Album insgesamt 78 Schwarz-Weiß-Fotografien. Dabei handelt es sich um eine Mischung selbst fotografierter Aufnahmen Hugo von Königslöws sowie hinzugekaufter professioneller Fotografien. Der erste Teil stammt namengebend aus China, der zweite Teil des Albums zeigt US-amerikanische Fotografien, die von Königslöw auf dem Rückweg nach Deutschland via Nordamerika erworben hat.

Diese Mischung aus eigenen und fremden Bildern ist durchaus typisch für die Komposition eines privaten Fotoalbums um 1900.

Hölzerne Reisekamera zur Belichtung von Glasnegativen im Aufnahmeformat 13 x 18 cm. Rechts im Hintergrund: lichtdichte hölzerne Kassetten zur Handhabung der zu belichtenden Negativplatten, Anfang 20. Jahrhundert, Sammlung Reichling, LWL-Museum für Naturkunde. Foto: Stephan Sagurna

Reisefotografie um 1900

Für Berufs- und Amateur-Fotografinnen und -Fotografen war die Fertigung von Fotografien auf Reisen noch mit dem Hantieren mit klobigen hölzernen Plattenkameras auf Holzstativen und dem Arbeiten unter einem schwarzen Einstelltuch verbunden, unter dem man das zu fotografierende Motiv kopfstehend und seitenverkehrt auf einer relativ dunklen Mattscheibe sah. Die Verwendung großer Glasnegativplatten sowie die anschließende Ausarbeitung der positiven Abzüge erforderte eine Laborverarbeitung in abgedunkelten Räumlichkeiten, zeitaufwändig und mit handwerklichem Geschick.

Durch die musische Erziehung in seinem Elternhaus und seinen Beruf als Bergbauassessor brachte von Königslöw die nötige technische und  kreative Sensibilität für die Fotografie mit. Trotzdem zeigen seine Fotografien auch, dass er mit den technischen Erfordernissen nicht immer zurechtkam.

Professionelle Fotografie aus der kolonialen „Stadt vom Reißbrett“ Tsingtau. Besonders die technische Qualität und der Motiv-Zähler unten rechts im Bild, weisen das Motiv als professionelle Aufnahme aus. Zu sehen sind das Geschäftshaus der Gebrüder Bodeweg, Prinz-Heinrich-Straße, rechts daneben die Tsingtauer Industrie- und Handels-Gesellschaft, Tsingtau. Aus dem China-Album des Hugo von Königslöw 1898/1901, Foto: Dr. Friedrich Behme

Professionelle Fotografie

In Qingdao, in der deutschen Kolonialzeit Tsingtau, der Hauptstadt von  Jiaozhou (in der Kolonialzeit als „Schutzgebiet Kiautschou“ bezeichnet), das im Süden der Shandong-Halbinsel an der chinesischen Ostküste liegt, etablierte sich sehr schnell auch eine fotografische Infrastruktur. Bereits für die Aufbauphase der neu zu errichtenden Stadt sind mehrere niedergelassene Fotografen nachgewiesen. Die Apotheke vor Ort verkaufte neben Foto-Chemikalien, -Papieren und Negativplatten auch Kameras und bot ein „Engros-Lager für Berufs-Photographen“.

Die professionellen Tsingtau-Fotografien im China-Album stammen von dem Fotografen (und Juristen) Dr. Friedrich Behme (1870 - 1958). Behme vertrieb nicht nur seine Original-Fotografien vor Ort, sondern veröffentlichte 1904 im Verlag der Hecknerschen Druckerei in Wolfenbüttel auch den ersten Reiseführer für „Tsingtau und Umgebung“, den er mit seinen Fotografien illustrierte.

Im Tempelhof, festliches Gruppenporträt mit offiziellen Repräsentanten, Provinz Schantung. Aus dem China-Album des Hugo von Königslöw 1898/1901, Foto: Bergassessor Hugo von Königslöw

Personenfotografie

Neben Stadtansichten und Landschaftsaufnahmen finden sich in von Königslows Album immer wieder auch Fotografien von Menschen. Bezeichnend für seine Art und Weise der fotografischen Herangehensweise an Motive mit Menschen, sind formale Aspekte (Repräsentanten / statischer Aufbau) und Distanz. Nahaufnahmen von Personen und auch eng aufgefasste Porträts finden sich unter von Königslöws Fotografien nicht, so dass der Eindruck entsteht, der von ihm gewählte Abstand zu den Protagonistinnen und Protagonisten seiner Fotografien sei Ausdruck einer eher dzurückhaltenden Haltung gegenüber der einheimischen Bevölkerung. 

Auf ausgedehnten Exkursionen in die Provinz Schantung fotografierte von Königslöw die Sehenswürdigkeiten der ausgehenden Qing-Dynastie. Tempelgebäude am See der Großen Pracht, Jinan, Provinz Schantung. Aus dem China-Album des Hugo von Königslöw 1898/1901, Foto: Bergassessor Hugo von Königslöw

Architektur

Mit der beeindruckenden Aufnahme eines Tempelgebäudes am See der Großen Pracht, die durch ihre symmetrische und ausgeglichene Komposition besticht, zudem auch technisch auf hohem Niveau ist, gelingt von Königslöw ein Maß an fotografischer Fertigkeit, das die Qualitätsspitze seiner Fotografien zeigt.

Während der Ausführung dieser Aufnahme war der Fotoamateur offensichtlich ganz bei sich – in eben der Ruhe, die das Motiv auch ausstrahlt.

Dass dieser Umstand nicht die Norm war, zeigen viele seiner anderen Aufnahmen.

Anschauliches Beispiel für technische Defekte während der Negativ-Belichtung und anschließender Laborverarbeitung. Blick auf eine Tempelanlage, Provinz Schantung. Aus dem China-Album des Hugo von Königslöw 1898/1901, Foto: Bergassessor Hugo von Königslöw

Probleme des Amateurs

Immer wieder haben sich Spuren von Problemen mit der Kameratechnik und der Laborverarbeitung in die Fotografien von Königslöws eingeschrieben.

Ein defekter, holprig ablaufender, ‚stotternder‘ Verschluss lässt sich an wiederholt in der rechten Bildhälfte erkennbaren Bildstörungen diagnostizieren. Auch muss der Kamerabalgen ein Loch für unkontrollierten Fremdlichteinfall gehabt haben (Aura links im Bild). Flecken (Chemikalien-Spritzer), Staub und Kratzer finden sich wiederholt als Indikatoren einer unerfahrenen und fehlerhaften Verarbeitung im Fotolabor.

Fiske‘s Views of Yosemite and Big Trees, No. 313. Cathedral Rocks [Kathedral-Felsen] und Spires [Türme]. 800m. Yosemite Nationalpark, USA. Aus dem China-Album des Hugo von Königslöw 1898/1901, Foto: George Fiske

US-amerikanische Landschaftsfotografie

Die Rückreise von China bestritt Hugo von Königslöw über die Ost-Route. Sie führte ihn über den Pazifik nach Nordamerika, um in den USA einen Verwandtschaftsbesuch bei den nach Cleveland, Ohio, ausgewanderten von Königslöws zu machen.

In den USA erwarb er eine Serie des im Yosemite-Nationalpark ansässigen Landschaftsfotografen George Fiske (1835 - 1918). Fiske gilt als bedeutender und prägender Pionier der amerikanischen Fotografie. Sein Archiv wurde durch mehrere Brände nahezu vollständig zerstört. Die im China-Album von Königslöws erhaltenen Fotografien zählen zu den weltweit raren Originalen seines Schaffens.

Bergbausituation im Gold-Belt, dem Us-amerikanischen Goldgräber-Gürtel. Südhang des Bull Hill, Mai 1901. Rocky Mountains, Colorado, USA. Aus dem China-Album des Hugo von Königslöw 1898/1901, Foto: S.S. Baldwin

Der Gold Belt – Goldgräber-Gürtel in den Rocky Mountains

Neben Landschafts- und geomorphologischer Fotografie finden sich im Album auch US-amerikanische Bergbau-Fotografien, die von Königslöw im Gold Belt, dem sogenannten Goldgräber-Gürtel in Colorado erwarb. Diese Aufnahmen zeigen neben konkreten Bergbausituationen auch die mit dem Bergbau einhergehenden Siedlungsformen. Auch in den USA entstanden im 19. Jahrhundert Städte vom Reißbrett, die in ihrer Struktur vergleichbar mit dem kolonialen Tsingtau, in ihrer Entwicklung jedoch schon weiter fortgeschritten waren.

Mit geomorphologischen und Bergbau-Szenarien endet das China-Album des Hugo von Königslöw, der seinen königlichen Bergdienst am 3. Januar 1902 auf der Grube Kronprinz im saarländischen Ensdorf wieder antrat.

Fazit

Zusätzlich zu den abgebildeten konkreten Bildinhalten (koloniales Tsingtau, nordamerikanische Landschaften) berichten die Fotografien des China-Albums auf einer mediengeschichtlichen Ebene auch von den technischen Möglichkeiten, vom Gebrauch und von der Nutzung der Fotografie um 1900. Eine erweiterte Perspektive auf das Album und seine Bestückung, auf Amateurfotografie, Reisefotografie, Kolonialfotografie, nordamerikanische Landschaftsfotografie, erschließt die zunehmende Bedeutung der Fotografie auf dem Weg zum Massenmedium in der Zeit des Übergangs zum 20. Jahrhundert.

Als aussagekräftige historische Quelle (und Kleinod) liefert das China-Album des Hugo von Königslöw zudem Anknüpfungspunkte für weitere Forschungen in den Bereichen  Montangeschichte, Kolonialgeschichte, Familiengeschichte, Mediengeschichte und Globalisierungsgeschichte.

 

Eine Wanderausstellung über vier Stationen informiert über das Projekt:

„Nach China? Das Fotoalbum des Hugo von Königslöw“. Die Ausstellung ist noch bis zum 27.04.2025 im Stadtmuseum Paderborn und vom 27.06. - 24.08.2025 in der Städtischen Galerie Iserlohn zu sehen.

 

Literatur:

LWL-Museen für Industriekultur (Hg.): „Nach China? 向东之后  Das Fotoalbum des Hugo von Königslöw“, Klartext Verlag. Essen 2024.

Michael Farrenkopf u. Stefan Przigoda: „Deutsches Bergbau-Museum Bochum. Nach China? Das Fotoalbum des Hugo von Königslöw“, in: Forum Geschichtskultur Ruhr, Heft 2/2024, Essen, S. 64 – 65.

Stephan Sagurna: „Ein Fenster in die Bergbaugeschichte um 1900. Koloniale Reisefotografie im China-Album des Hugo von Königslöw“, in: Rundbrief Fotografie 28 (2021), Nr. 4 [N.F. 112] (Stuttgart, Verlag Dr. Wolfgang Seidel), S. 17 – 30.