Das ist kolonial. Eine Ausstellungswerkstatt

05.05.2023 Niklas Regenbrecht

Christiane Cantauw

Mit einer partizipativen Ausstellungswerkstatt wird in der Dortmunder Zeche Zollern derzeit eine Ausstellung zum Thema Kolonialismus vorbereitet, die im kommenden Jahr gezeigt werden soll. Das macht neugierig: Wozu soll eine solche Ausstellungswerkstatt dienen und was kann sie leisten?  

Das Thema Kolonialismus hat zweifelsohne Konjunktur: Nicht erst seit der Ausstellung „Deutscher Kolonialismus. Fragmente seiner Geschichte und Gegenwart“, die 2016/2017 im Deutschen Historischen Museum in Berlin gezeigt wurde, sind die Forschungsfelder Kolonialismus und Postkolonialismus zunehmend in die Wahrnehmung von Wissenschaftler:innen, Laienforscher:innen und Ausstellungskurator:innen gerückt. Historiker:innen, Provenienzforscher:innen, Geschichtswerkstätten und Studierendengruppen begeben sich seit einigen Jahrzehnen vermehrt auf die Spuren der kolonialen Geschichte deutscher Städte, Universitäten und Museumssammlungen. Die Menge der seit den 2000er Jahren zum Thema veröffentlichten Publikationen ist kaum noch zu überschauen. In Museumsausstellungen werden landauf, landab unterschiedliche Aspekte des Kolonialismus beleuchtet und nicht erst seit der Diskussion um die Rückgabe der Benin-Bronzen kann auch die Medienberichterstattung zum Thema als lebhaft beschrieben werden.  

Und trotzdem: Um unterschiedliche Perspektiven auf das Thema abfragen und die Geschichte kolonialer Verflechtungen auch nur annähernd abbilden zu können, bedarf es der Bereitschaft aller Beteiligten, ihr Weltbild auf den Kopf zu stellen. Genau damit – einer auf den Kopf gestellten Weltkarte – empfängt die Ausstellungswerkstatt in Dortmund ihre Besucher:innen. Sie werden darauf eingestimmt, dass es auch und gerade darum gehen soll, gewohnte Bilder und Sichtweisen in Frage zu stellen, einen Perspektivwechsel vorzunehmen.

Eine auf den Kopf gestellte Weltkarte soll das Weltbild der Besucher:innen in Frage stellen. (Foto: Cantauw, Kommission Alltagskulturforschung)

Das ist zweifellos ein museologisches Experiment, das in dieser Form eher selten ist und im LWL-Industriemuseum noch nie gewagt wurde. Sieben Monate lang haben Besucherinnen und Besucher die Möglichkeit, ihre Fragen, ihre Sichtweisen, ihre Betroffenheit(en), ihre Schwerpunktsetzungen und vieles mehr in einen Prozess einzubringen, der auf eine Ausstellung im kommenden Jahr hinausläuft. Dabei werden sie nicht allein gelassen: Kuratorinnen-Führungen, eine offene Werkstatt, Diskussionsrunden, Theateraufführungen, Filme und eine gut ausgestattete Leseecke laden zu einem tieferen Einstieg in die Thematik ein.

Eine gut ausgestattete Leseecke lädt zum Weiterlesen und Forschen ein. (Foto: Cantauw, Kommission Alltagskulturforschung)

Die einzelnen Sinneinheiten der Ausstellungswerkstatt lassen sich am besten über Fragen beschreiben: Wie und wo sind in Westfalen Spuren des Kolonialismus zu sehen? Welche Dinge und Quellen berichte(te)n aus und über dieses Feld? Wo und wie wirk(t)en sie auf unsere Wahrnehmungen und Sichtweisen? Welche individuellen Kolonialismus-Geschichten können und sollen erzählt werden? Was sollte in einer Ausstellung zum Thema dokumentiert werden? Was ist Alltagsrassismus und wo und wie zeigt er sein Gesicht?

Auch die Frage, wer auf die Bühne sollte und wer dort vielfach zu sehen ist, mag nachdenklich stimmen. (Foto Cantauw, Kommission Alltagskulturforschung)

Dem Format Ausstellungswerkstatt entsprechend ist an vielen Stellen die Meinung des Publikums gefragt: Wo fängt Kolonialismus an, wo hört er auf (tut er das?)? Wie und warum sind Themenfelder wie Imperialismus, Feminismus oder Rassismus damit verbunden? Wer soll auf die „Bühne“ der (historischen/gesellschaftlich-kulturellen) Wahrnehmung? Was hat Kolonialismus mit unserem Alltag und unserer Gegenwart in Deutschland zu tun? Welche Themenbereiche müssen in einer Ausstellung dazu besonders in den Blick genommen werden?

Dass es hier nicht eine, vor allem nicht die richtige oder gar die falsche Antwort geben kann, liegt auf der Hand. Die (bisherigen) Rückmeldungen des Besucher:innen sind jedenfalls breit gestreut und lassen erkennen, dass sie sich mehrheitlich auf das Experiment einlassen. In einem kleinen Aufnahmestudio besteht sogar die Möglichkeit, einen eigenen Audiobeitrag aufzuzeichnen und zu hinterlassen – eine Chance, die durchaus noch häufiger genutzt werden könnte, sind doch die Audiobeträge authentisch und in ihrer Ehrlichkeit beeindruckend.

Ein kleines Aufnahmestudio lädt dazu ein, aus eigener Perspektive etwas aufzuzeichnen und den übrigen Besucher:innen zu Gehör zu bringen. (Foto: Cantauw, Kommission Alltagskulturforschung)

Das Thema Kolonialismus setzt zweifellos eine besondere Sensibilität voraus. Das zeigt sich auch anhand von Ausstellungsbereichen, vor denen ein Warnhinweis angebracht ist. So mag ein:e jede:r selbst entscheiden, ob er/sie sich dem, was hier gezeigt wird, aussetzen will. Mannigfaltige Betroffenheiten werden als legitime Reaktion auf das Gezeigte eingeordnet und nicht als unwissenschaftlich oder unangebracht abgetan. Das gibt den Betroffenen die Sicherheit, dass die von ihnen wahrgenommenen Verletzungen und Grenzüberschreitungen in Geschichte und Gegenwart nicht wegdiskutiert werden.

Alles in allem lässt sich konstatieren, dass die Ausstellungswerkstatt das Thema Kolonialismus persönlich nimmt, und das ist auch gut so: Sowohl diejenigen, die sich fragen, was das alles mit ihnen zu tun hat, als auch diejenigen, die darunter leiden, dass allzu vieles allzu viel mit ihnen zu tun hat, sind gefragt und werden gesehen. Auf diese Weise kann es gelingen, miteinander ins Gespräch und den kolonialen Verflechtungen auf die Spur zu kommen.

 

Zur Information:

Das ist kolonial. Eine Ausstellungswerkstatt ist noch bis zum 15. Oktober 2023 auf Zeche Zollern in Dortmund zu sehen. Weitere Informationen unter zeche-zollern.lwl.org/de/ausstellungen/das-ist-kolonial