Das Kaiserliederbuch von 1906
Christiane Cantauw
Unter der Signatur L 85 findet sich in der Bibliothek der Kommission Alltagskulturforschung eine Ausgabe vom Volksliederbuch für Männerchor. Herausgegeben auf Veranlassung seiner Majestät des Deutschen Kaisers Wilhelm II, das 1906 in dem international renommierten Musikalienverlag C. F. Peters in Leipzig erschienen war und landläufig Kaiserliederbuch genannt wurde. Vorhanden ist lediglich der erste Band und von diesem die Ausgabe für Tenor I.
Das 520 Seiten starke Buch im Taschenformat (11,5 X 15 cm) ist gleich in mehrfacher Hinsicht interessant. Stempel in seinem Inneren sind Zeugnis für die „bewegte“ Geschichte des Buches. Der Stempel auf der Titelseite belegt, dass es aus der Bibliothek des P.O.W. Camp No. 63, Great Britain stammt. Ein weiterer Stempel im Buch verweist auf World’s Alliance of Y.M.C.A.‘s War Prisoners‘ Aid, 4, Great Russell Street London, W.C. 1. Bei dem Kriegsgefangenenlager dürfte es sich laut Liste aller P.O.W. Camps in Großbritannien um das Arbeitslager Balhary Estate Camp, Alyth, Perthshire, Scotland, aus den 1940er Jahren handeln. Die Gefangenenhilfe des Y.M.C.A. mit Sitz in London setzte sich unter anderem für musische Bildung und sinnvolle Beschäftigung in den Lagern ein, ließ dazu nach Kriegsende in Deutschland Bücher sammeln und nach Großbritannien bringen; darunter könnte sich auch das Kaiserliederbuch befunden haben. Dass es nach Schließung der Kriegsgefangenenlager in Großbritannien gemeinsam mit dem ebenfalls vom Y.M.C.A. angeschafften Bibliotheksbestand des Nortoncamp (P.O.W. Camp 174) nach Deutschland kam, ist möglich. 1949 wurden nämlich in Münster einige Kisten davon entdeckt; mit der Weiterverwendung des Nortoncamp-Buchbestandes war im Mai 1949 auch der Kultusminister von NRW befasst. Allerdings liegen uns darüber, wie das Kaiserliederbuch auf die britische Insel und wieder zurück nach Deutschland gelangte, keine Informationen vor. Im Bibliotheksbuch der Volkskundlichen Kommission ist lediglich eingetragen, dass das Buch – ebenso wie weitere 32 Bücher – „aus d. ehem. Kriegsgef. Bücherei (Ymca)“ stammt und dass die Bücher 1949 zum Preis von je 1 Mark erworben wurden.