Sebastian Schröder
Den Strom bändigen: Die Kriegs- und Domänenkammer und die Weser
Leben im Mindener Land an und mit der Weser war und ist herausfordernd: Einerseits nutzten die Menschen die Kraft des Wassers, um etwa Schiffmühlen anzutreiben. Andererseits sorgten die Naturgewalten für Überschwemmungen; Ufer brachen ab, an anderer Stelle wurde Land wieder angespült. Die örtliche Bevölkerung entwickelte verschiedene Strategien, um diesen Problemen zu begegnen. Auch die preußische Landesbehörde für das Territorium Minden, die Kriegs- und Domänenkammer, sah sich zum Handeln aufgefordert. Einerseits musste sie auf Katastrophen reagieren, andererseits versuchte sie, vorbeugend zu wirken Die Akten dieser Verwaltungseinheit belegen eindrücklich, welche Maßnahmen die preußischen Landesherren ergriffen, um den Strom zu bändigen.
Eine obrigkeitliche Bestimmung sah beispielsweise vor, Weidenplantagen anzulegen. Exakt verordneten die Kriegs- und Domänenräte, wie derartige Anpflanzungen vonstattenzugehen hätten. Unter anderem sollte eine sogenannte „lebendige“ Hecke aus Weißdornsträuchern das weidende Vieh davon abhalten, die jungen Triebe zu verbeißen. Zudem bestellten die obrigkeitlichen Beamten Aufseher, die den Zustand „sämtlicher Uferpflanzungen“ begutachten sollten. Das Weidenholz sollte dazu dienen, Uferschutzbauten zu errichten. So konnten in den Boden eingerammte Stämme ein Wegspülen der Uferböschungen verhindern beziehungsweise vermindern.
Regelmäßig ließ der preußische Landesherr darüber hinaus die Weserufer durch seine Beamtenschaft bereisen. Damit wollte der König kontrollieren, ob sich seine Untertanen gemäß der eigens erlassenen Weserufer- und Schlachtordnung verhielten. Nicht zuletzt interessierten ihn Missstände und Mängel. Ein besonderes Augenmerk sollten seine Amtsträger dabei auf sogenannte „Schlachten“ legen. Dabei handelte es sich um bauliche Schutzmaßnahmen, die das Absacken der Ufer verhinderten, Anlegestellen oder kleinere Häfen für Boote und Schiffmühlen. Eine solche Visitation lief folgendermaßen ab: Am 5. Juni 1764 bestieg eine Bereisungskommission, bestehend aus zwei Kriegs- und Domänenräten, in Minden ein Schiff, um flussaufwärts in Richtung Petershagen und Schlüsselburg zu fahren. Unter anderem passierten die beiden landesherrlichen Bediensteten die Ortschaft Heimsen, wo sie Station machten, um die dortige Situation in Augenschein zu nehmen. Vier Untertanen hatten sich beklagt, dass ein Teil ihrer an der Weser gelegenen Grundstücke dem Strom zum Opfer gefallen sei. Die Beamten ordneten an, das abgerutschte Land mit Weiden oder anderen geeigneten Bäumen zu bepflanzen, um ein weiteres Wegspülen zu verhindern. Außerdem sollten die Besitzer der Flächen hölzerne Pfähle in den Boden rammen. Daraufhin erwiderten einige Heimser, dass ihnen das dazu erforderliche Bauholz fehle. Die Bereisungskommission entschied, das benötigte Material aus den landesherrlichen Forsten unentgeltlich bereitzustellen.
In Heimsen sprachen die Beauftragten des preußischen Königs auch mit dem örtlichen „Schlachtmeister“, dessen Aufgabe darin bestand, den Zustand der Uferbefestigungen und Schlachten zu kontrollieren. Sein Bericht bot Anlass zu Kritik an den Anrainern. Denn einige Untertanen hätten die am Ufer wachsenden und dem Schutz der Ländereien dienenden Bäume gerodet, obschon ein solches Vorgehen die „nachteiligsten Folgen“ nach sich zöge. Schließlich sei der Uferschutz nunmehr nicht weiter gewährleistet; besonders die drohenden Wassermassen im Winter sorgten für Unruhe. Deshalb habe der Schlachtmeister die Übeltäter bereits beim zuständigen Amt Schlüsselburg angezeigt. Die Delinquenten sollten, „andern zur Warnung, damit jeder seine Schlagten beßer in Acht neme und sich genauer nach der […] Ufer Ordnung“ halte, gehörig bestraft werden. Ansonsten zeigte sich die Bereisungskommission zufrieden: „Die übrigen Ufer waren […] in guten Stande.“
Die genannten obrigkeitlichen Maßnahmen dienten natürlich nicht ausschließlich dazu, durch An- und Abspülungen entstandene Probleme zu vermeiden oder zu lösen. Vielmehr verfolgten die landesherrlichen Verwaltungen außerdem das übergeordnete Ziel, die Weser „schiffbar“ zu machen, wie es damals hieß. Die von den Landwirten und Anwohnern durchgeführten Uferbauten trugen nämlich ebenfalls dazu bei, Schifffahrt auf der Weser auch künftig zu ermöglichen. Abbrüche und Verlandungen sowie der stete Wandel des Flusses erschwerten die Passierbarkeit; Untiefen oder Stromschnellen taten sich auf, die eine Gefahr für Schiffe und Besatzungen darstellten. Die auf eine Stärkung des Handels, insbesondere des Außenhandels, bedachte preußische Lokalverwaltung versuchte deshalb, die Weser zu bändigen. Dazu ließ sie auch Pferdelinienzüge und Treidelpfade anlegen, um die „Bergfahrt“ der Handelsschiffe zu erleichtern. Freilich ergaben sich dadurch neue Schwierigkeiten und Konflikte mit den Besitzern der angrenzenden Ländereien – doch diese Kontroversen sollen an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden; ebenso werden die verschiedenen Zollschranken oder zunftbedingte Handelshindernisse nicht näher in den Blick genommen. Denn ohnehin dürfte deutlich geworden sein, dass auch die landesherrlichen Verwaltungen Einfluss auf den Weserstrom zu nehmen suchten. Sie reagierten auf Problemlagen, die das sich ändernde Ökosystem mit sich brachte, und propagierten zugleich ihrerseits Veränderungen des Naturraums. Insofern erweisen sich die Kriegs- und Domänenräte als wichtige Akteure im Verhältnis zwischen Menschen und Umwelt.
Quellen:
Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, D 607/Kriegs- und Domänenkammer Minden, Nr. 3657: Bereisung der Schlachten an der Weser im Fürstentum Minden – Band 1, 1764–1768.
Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, D 607/Kriegs- und Domänenkammer Minden, Nr. 3682: Entwurf einer Weser- und Werre-Ufer- und -Schlachtordnung und einer Teich- und Uferordnung für Minden-Ravensberg, 1731–1806.
Die bisherigen Teile der Serie zur Kriegs- und Domänenkammer Minden:
Die Preußen wollen umsatteln: Zugochsen statt Pferde lautete die Devise
Erfindergeist in Minden und Ravensberg
Die Preußische Kriegs- und Domänenkammer und der Kampf gegen Viehseuchen
Bergbau in Bierde? Die Mindener Kriegs- und Domänenkammer und die Steinkohle
Die Glocken schweigen. Oder: „Gewitterableiter“ in preußischen Kammerakten
„Diebereyen“, „Zügellosigkeiten“ und „schwache Nerven“: Kriegs- und Domänenräte auf Reisen
Die Ärmel hochkrempeln: Die Kriegs- und Domänenkammer in Minden und die Impfung gegen die Pocken
Die Sorgen der Müller. Zur Geschichte der Hollweder Mühle im 18. Jahrhundert
„Eine wahre Gesundheits-Quelle“. Die Entdeckung schwefelhaltigen Wassers in Fiestel
Kein Herz und eine Seele: Grenzkonflikte zwischen Preußen und Osnabrück
Neue Heimat Ravensberg: Siedler in den Marken
Von Abbrüchen und Anschwemmungen: Wie die Weser die Landschaft im Mindener Land verändert hat