Der Kampf von Adler und Drache. Ein Fotoalbum

10.03.2023 Niklas Regenbrecht

Christiane Cantauw

Unter der Überschrift „Koloniales Erbe vom Dachboden: angeschaut und nachgefragt“ riefen der Westfälische Heimatbund und die Kommission Alltagskulturforschung 2022 dazu auf, ihnen Gegenstände zu melden, die als Andenken, Beute oder Geschenk ihren Weg aus den Kolonien nach Westfalen gefunden haben. Ein solches Artefakt ist das Album des Lingeners Hermann Buschmeier, das der Kommission für ein Forschungsseminar mit Studierenden der Universität Münster (Institut für Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie) vom Emslandmuseum in Lingen leihweise zur Verfügung gestellt wurde.

Wer war Hermann Buschmeier? Hermann Buschmeier war mit großer Wahrscheinlichkeit Marinesoldat und gehörte der in China stationierten kaiserlichen Reichsmarine an. Das Deutsche Kaiserreich hatte 1898 einen Pachtvertrag mit dem Chinesischen Kaiserreich erzwungen und das für einen Flottenstützpunkt günstig gelegene Jiaozhou im Süden der Shandong-Halbinsel an der chinesischen Ostküste auf 99 Jahre gepachtet. Das deutsche Pachtgebiet, seinerzeit als Kiautschou-Bucht bezeichnet, wurde – anders als die übrigen überseeischen deutschen Kolonien – nicht dem Auswärtigen Amt unterstellt, sondern dem Reichsmarineamt. Die militärische Dominanz spiegelte sich auch in der Zusammensetzung der Gruppe der Nicht-Chinesen: So waren im Jahr 1910 von 4.500 Ausländern 1.531 deutsche Zivilisten und 2.275 Marinesoldaten.  Stationiert in Qingdao, in der deutschen Kolonialzeit Tsingtau, stand an der Spitze der militärischen und zivilen Verwaltung der Gouverneur, der stets ein aktiver kaiserlicher Marineoffizier im Range eines Kapitäns zur See war. Welchen Rang Hermann Buschmeier in der Truppe bekleidete, lässt sich nicht mehr eruieren, auch nicht, wann genau er in China stationiert war und was er nach seiner Dienstzeit machte. Lange nach dem Ersten Weltkrieg taucht ein Hermann Buschmeier in den Lingener Adressbüchern von 1925 und 1930 auf. Er gab als Beruf (Eisenbahn-)Maler an – ob es sich bei diesem Hermann Buschmeier um den ehemals in China stationierten (Marine-)Soldaten handelt, ist nicht geklärt. 

Album Hermann Buschmeier (Slg. Emslandmuseum Lingen, Foto: Cantauw)

Der Weg ins Museum: Die Provenienz

Als Beispiel deutsch-kolonialgeschichtlicher Erinnerungskultur fand das Album von Hermann Buschmeier seinen Weg ins Emslandmuseum nur über Umwege: Nachdem das kinderlose Ehepaar Buschmeier verstorben war, erbte Familie L. deren Haus mit dem gesamten Inhalt. Fotografien, Fotoalben und weitere Dokumente aus diesem Nachlass übergab Frau L. im Jahr 2017 dem Städtischen Museum in Lingen. Das „China-Album“ von Hermann Buschmeier verkaufte sie jedoch an einen Trödler, da es – so die Annahme von Frau L. – mit der Geschichte der Stadt Lingen nichts zu tun habe. Der Trödler entnahm die Fotografien aus dem Album und verkaufte sie separat; das Album selbst blieb im Geschäft, bis es der Leiter des Emslandmuseums entdeckte und seinen historischen Wert für die Region und den „Sammlungsbestand Buschmeier“ erkannte.  

Die einzelnen Seiten des Albums sind mit Seide bespannt. (Slg. Emslandmuseum Lingen, Foto: Cantauw)

„Zur Erinnerung an meine Dienstzeit in China“

Das 35x27x7 Zentimeter große Album umfasst neun stabile Doppelseiten aus Pappe, welche Platz für 58 Fotografien bieten. Der Umschlag des Albums ist mit schwarzer Seide bezogen. Eingestickt ist mit goldfarbener Seide die Zueignung des Albums, oben „ZUR ERINNERUNG AN MEINE DIENSTZEIT IN CHINA“ und unten der Name „HERMANN BUSCHMEIER“. Dazwischen finden sich die Reichskrone und die Abbildung eines Adlers im Kampf mit einem Drachen – beides filigrane Stickarbeiten.

Eine zeitliche Einordnung des Albums geben die Eckdaten der deutschen Kolonie in China vor: zwischen der Übernahme des Gebiets 1898 und der im Zuge des Ersten Weltkriegs erfolgten bedingungslosen Kapitulation am 7. November 1914 mit der Inbesitznahme durch Japan. Der Rückumschlag des Albums stützt dies: Abgebildet ist dort sind neben einer weißen Flagge mit einem Drachen die Reichskriegsflagge.

Alle Seiten des Albums sind mit zarter Seidenmalerei verziert. Die Motive muten teils japa-nisch an. (Slg. Emslandmuseum Lingen, Foto: Cantauw)

Alle Seiten des Albums sind mit Seide bespannt. In feiner Seidenmalerei wurden oberhalb, unterhalb oder um die Aussparungen für die Fotografien Bilder eingefügt, die Assoziationen mit Asien evozieren: Tiere, etwa Kraniche, Pflanzen wie Kirschblüten oder Pfingstrosen sowie Landschaftsszenen – zwei Frauen im Kimono vor einem schneebedeckten Gipfel, bei dem es sich um den Fudschijama in Japan handeln könnte – verleihen den einzelnen Albumseiten einen exotischen Charme und bedienen ebenso wie die verwendete Technik der Seidenmalerei Asien-Stereotype. Bei genauer Betrachtung sind einige Abbildungen eher Japan als China zuzuordnen. Für die Käufer solcher Alben und die Betrachter im fernen Deutschland mag das vielleicht gar nicht unterscheidbar gewesen sein.

China-Souvenirs der Marinesoldaten

Der Souvenircharakter des Albums geht auch ohne die Fotografien eindeutig aus der Zueignung auf dem Umschlag hervor: Hermann Buschmeier wollte sich mit Hilfe des Albums und der darin bewahrten Fotografien an seine Dienstzeit in China erinnern. Zu diesem Zweck ließ er das Album für sich anfertigen. Die namentliche Zueignung macht das Album zu einem Einzelstück; dennoch ist sicher, dass vergleichbare derartige Alben auch an andere Marinesoldaten aus Deutschland verkauft wurden. Dazu musste lediglich der Name auf dem Umschlag ausgetauscht werden.

So verfuhr man auch bei den Reservistenbildern, die sich viele Marineangehörige in der Kaiserzeit im sogenannten deutschen Schutzgebiet in China zulegten und die von dort ihren Weg in die deutschen Wohnzimmer fanden. Die gestickten Bilder, die in Japan vorgefertigt wurden, waren in den chinesischen Häfen sehr gefragt, so dass sich dafür ein eigener Markt entwickelte. Die Bilder wurden dort dann mit Namensstickereien und Fotografien individualisiert.

Der Kampf von Adler und Drache ist auf der Umschlagseite des Albums eingestickt. (Slg. Emslandmuseum Lingen, Foto: Cantauw)

Adler und Drache

Auf dem Umschlag des Albums von Hermann Buschmeier sind in goldener und pinker Farbe ein Adler und ein Drache eingestickt, die in einen Kampf verstrickt zu sein scheinen. Der Adler – das Wappentier des Deutschen Kaiserreichs – ist hier deutlich größer als der Drache. Letzterer symbolisiert das kaiserliche China und droht im Kampf der beiden Tiere zu unterliegen. Ein solches Bild entsprach durchaus der Selbsteinschätzung der Kolonisatoren: Ihre vermeintliche wirtschaftliche, kulturelle und militärische Überlegenheit wurde in Form solcher Souvenirs versinnbildlicht. Dass diese nicht in China, sondern in Japan vorproduziert wurden, spielte dabei keine Rolle. Wichtig war, dass sie ihre Käufer (und deren Familien im fernen Deutschland) noch lange an eine „Dienstzeit in China“ erinnerten.

Literatur

Museum digital: „Aus fremden Erdteilen. Geschenkt v. Söhnen der Heimat“ - Objektwege nach Westfalen-Lippe (Aufruf am 13.2.2023)