Der Kohlenklau

10.02.2023 Niklas Regenbrecht

Wer ist Kohlenklau? Aus: Westfälische Tageszeitung, 24./25.12.1942.

Mareen Averbeck

Den Ausdruck „Kohlenklau“ assoziieren viele vielleicht als Erstes mit dem Diebstahl von Kohle in der Notlage der unmittelbaren Nachkriegszeit, dabei wurde er schon früher geprägt, als zentraler Begriff einer nationalsozialistischen Propagandakampagne während des Zweiten Weltkrieges.

Als im Laufe des Krieges die Ressourcen in Deutschland immer knapper wurden und insbesondere die Kohle für die Kriegsmaschinerie in Konkurrenz mit dem Privatbedarf der Bürger stand, setzte das nationalsozialistische Regime auf rigoroses Energiesparen. Um die Bevölkerung von diesen zeitweise sehr in den Alltag eingreifenden Maßnahmen zu überzeugen und eigenständig zum Mithelfen anzuregen, wurde ab 1942 eine großangelegte Propagandaaktion gestartet, die bis zum Ende des Krieges währte.

Gesicht dieser Kampagne war die von Wilhelm Hohnhausen und seiner Stuttgarter Werbeagentur entworfene Karikatur eines Kohlendiebes, der „Kohlenklau“. Die Figur des ungepflegten dicken Mannes mit dem finsteren Blick bediente sich sowohl des Kinderschrecks „Schwarzer Mann“ als auch antisemitischer Stereotype, wobei sich insbesondere Ähnlichkeiten zu den Karikaturen von Phillip Ruprecht (1900-1925) zeigen, der unter dem Pseudonym Fips für den „Stürmer“ arbeitete. Vorgestellt wurde der „Kohlenklau“ ab Herbst 1942 in der Presse, als Bösewicht, der das deutsche Volk und insbesondere die Kriegswirtschaft schädige.

Ins Tagebuch eingeklebter Kohlenklau-Aufkleber, aus: Tagebuch Renate Brockpähler, Teil 7. Archiv für Alltagskultur in Westfalen, K02542.

16 [März 1943] Übrigens ein neuer Begriff: "Kohlenklau!" Überall, wo jemand das Licht oder Gas brennen läßt usw. klingt es: "Kohlenklau!!!" Selbst in der Chemie-stunde, wenn Elli den "Busenbrenner" mal eine Sekunde zu lange brennen läßt, schallt es entrüstet im Chor: "Kohlenklau!" Auch die Zeitungen sind voll von „Berichten", Beispielen und Abbildungen von ihm. Hier ist er:

Dieser Eintrag stammt aus den Tagebüchern von Renate Brockpähler (1927-1989), deren Edition die Kommission Alltagskulturforschung für Westfalen gerade vorbereitet. Er zeigt, wie die Kampagne nicht nur jeden Einzelnen anhielt, sparsam zu sein, sondern auch das gegenseitige Beobachten und Zurechtweisen förderte. Auch Kinder und Jugendliche wurden dabei zu Kontrolleuren ihrer Eltern oder, wie in diesem Falle, ihrer Chemielehrerin.

Kohlenklau's schmähliche Niederlage Nr. 1. Aus: Westfälische Tageszeitung, 20.12.1942.

Es ist kein Wunder, dass die damals gerade 16-jährige Renate Brockpähler schreibt, die Zeitungen seien „voll von ‚Berichten‘“. Zwischen 1942 und 1945 gab es über 150 Zeitungsartikel mit der Figur des „Kohlenklau“. Nachdem er zunächst durch eine Artikelreihe vorgestellt wurde, begann im Winter 1942 die Reihe „Kohlenklau’s schmähliche Niederlage“ mit einem Beitrag über das Abdichten von Fenstern und Türen. Auch wenn der Bösewicht durch die Maßnahmen vom Kohlestehlen abgehalten wurde, endeten der Artikel mit den mahnenden Worten: „Hier ist für Ihn nichts mehr zu machen – Paß auf, jetzt sucht er andre Sachen!“ Es folgten Artikel über Licht in unbenutzten Räumen und Tipps beim Kochen, Waschen oder Heizen. Weitere Reihen beschäftigten sich mit Anweisungen, das Haus schon im Sommer auf den Winter vorzubereiten, oder dem Anprangern von „Kohlenklau’s Helfershelfern“, also Menschen, die durch ihr Verhalten Energie verschwendeten.

Neben den Zeitungsartikeln gab es den „Kohlenklau“ auf Postern an Hauswänden und Litfaßsäulen, in Flugblättern, Filmen und sogar Spielen. Beim „Kohlenklau-Quartett“, ersetzte der Dieb den schwarzen Peter, und beim Würfelspiel „Jagd auf den Kohlenklau“ galt es, den Bösewicht mit Energiesparen aus dem Haus zu jagen. Trotz Papiermangels wurden diese Spiele auch im Kriegsverlauf weiter produziert. Auch daran sieht man, wie viel Bedeutung das NS-Regime nicht nur dem Energiesparen, sondern auch der Erziehung und Beeinflussung von Kindern und Jugendlichen auf unterschiedlichen Gebieten beimaß.

Kohlenklau's schmähliche Niederlage Nr. 17. Aus: Westfälische Tageszeitung, 11.03.1942.

Literatur

Martin Rüther: Sammeln und Sparen, Beobachten und Denunzieren: Kinder und Jugendliche im Kriegseinsatz. In: Johanna Cremer (Hrsg.): Kölner Stadtmuseum: Bretter, die die Welt bedeuten. Spielend durch 2000 Jahre Köln. Kölnisches Stadtmuseum, Köln 2018, S. 91-98.