Sebastian Schröder
Im Norden der einstigen Grafschaft Ravensberg liegt das Kirchspiel (Bad) Holzhausen (heute Teil der Stadt Preußisch Oldendorf), in das die Bauerschaften Holzhausen und Heddinghausen sowie Knöttinghausen eingepfarrt sind. Die Kirche entstand im Hochmittelalter auf den Gründen des nur wenige Meter entfernt gelegenen Holzhauser Meierhofes. Lateinkundige mittelalterliche Zeitgenossen sprachen von einer „curia“. Diese war Teil einer sogenannten „Villikation“. Dabei handelt es sich um System zur Organisation grundherrlichen Besitzes. Man könnte auch von einem „Hofesverband“ sprechen. Denn zu einer Villikation gehörte meistens nicht nur der Haupthof („curia“), sondern auch von diesem abhängige Bauernstellen („Hufen“). Die Hufen besetzte der Grundherr – in Holzhausen war es der Mindener Bischof – mit eigenbehörigen, also unfreien Personen, die allerdings ihre Stätte vererben konnten. Diese Bauern mussten im Gegenzug gewisse Abgaben und Dienstleistungen entrichten. Der Grundherr zog diese Verpflichtungen nicht selbst ein. Vielmehr bestellte er einen Verwalter („villicus“) zur Verrichtung dieser Aufgabe. Dieser lebte auf dem Haupt- oder Meierhof und ließ die curia zugleich bewirtschaften. Der villicus war im Gegensatz zu den abhängigen Hufenbauern persönlich frei. Das bedeutet, dass er nur für eine gewisse Zeitspanne sein Amt versah und jederzeit vom Grundherrn abgesetzt werden konnte. Der Haupthof war aber nicht nur hinsichtlich der Organisation des umfangreichen Mindener Grundbesitzes ein wichtiger Ort. Um den Angehörigen des Hofesverbandes den Gang zur Kirche zu ermöglichen, gründete der Bischof auf den Gründen der curia ein Gotteshaus, das sich später zur Keimzelle eines eigenständigen Kirchspiels entwickeln sollte.
Der Holzhauser Haupt- oder Meierhof besaß also eine besondere Stellung innerhalb des ländlichen Siedlungsgefüges. Diese herausgehobene Position bewahrten die Besitzer der Stätte weit über das Mittelalter hinaus – selbst zu einer Zeit, als sie keine „absetzbaren Wirtschafter“ mehr waren, sondern ihnen das Erbrecht an dem Hof nach der Aufteilung der Villikation erblich zugefallen waren. Die Bewohner des Holzhauser Meierhofs waren zum Beispiel während der Frühen Neuzeit eingebunden in die staatliche Steuereinziehung. Gleichzeitig betrieben sie eine ausgedehnte Landwirtschaft und verfügten über umfangreichen Viehstand – den größten Teil ihres Lebensunterhalts bestritten sie als Bauern oder „Kolone“, wie es zeitgenössisch hieß.
Zwischen 1614 und 1707 lebte mit Caspar Overmeyer ein sogenannter „Rezeptor“ oder „Obereinnehmer“ auf dem Gehöft. Er zog für den brandenburgischen Staat, der im 17. Jahrhundert die Landesherrschaft in der Grafschaft Ravensberg angetreten hatte, die Steuern ein. Caspar Overmeyer gelang es, zu Ansehen und Wohlstand zu gelangen. Unter anderem trat er als Kreditgeber auf und ließ die Gebäude seines Gehöfts erweitern beziehungsweise ausbauen. Zudem war er bei Konflikten und Streitigkeiten als Zeuge und vermittelnde Instanz ein gefragter Mann. Sein Besitz ermöglichte es ihm, seinem Sohn Hieronymus Johannes eine Ausbildung am Gymnasium in Bremen zu verschaffen. Hieronymus Johannes folgte seinem Vater übrigens später in der Funktion als Obereinnehmer des ravensbergischen Amtes Limberg.
Caspar Overmeyer starb hochbetagt im Oktober 1707 im Alter von 93 Jahren – nicht ohne Grund bezeichneten ihn die Zeitgenossen als „alten Overmeyer“. Seine 1618 geborene Ehefrau Anna Elisabeth Rummers überlebte ihn um zwei Tage. Zum Gedenken an das Ehepaar ließen die Angehörigen einen großen Grabstein anfertigen, der heute an der Ostseite des Haupthauses des Meierhofes eingelassen ist. Er erinnert einerseits an den Einfluss und die Tätigkeit des „alten Overemeyers“ und ist andererseits ein bemerkenswertes Zeugnis für die herausgehobene gesellschaftliche Stellung dieser Bauernfamilie. Sogar ein Wappen ziert das Grabdenkmal, nämlich ein Herz, aus dem drei Kleeblätter am Stiel hervorwachsen. Mit diesem Wappen siegelte Overmeyer auch Urkunden und Verträge. Auf diese Weise hob er sich deutlich von der übrigen bäuerlichen Bevölkerung in der Bauerschaft Holzhausen ab.