Der „Lengericher Zeitungskrieg“. Buchveröffentlichung von Alfred Wesselmann dokumentiert die Infiltration der freien Presse in Lengerich ab 1930

08.04.2025 Niklas Regenbrecht

Einband der Publikation Alfred Wesselmann: Der Tecklenburger Landbote.

Christiane Cantauw

Eine freie Presse und eine vielfältige Zeitungslandschaft gelten als wichtige Basis für eine funktionierende Demokratie. Angesichts des Zeitungssterbens nicht nur in Deutschland und der massenhaften Verbreitung von fake news vor allem in den sogenannten sozialen Medien ist die Medienlandschaft daher ein hochaktuelles Thema. Dass sich in diesem Zusammenhang auch ein Blick in die Geschichte der Printmedien lohnt, zeigt eine Publikation des Heimatforschers Alfred Wesselmann.    

In deren Zentrum stehen Lengerich und Umland, die Lokalzeitung Tecklenburger Landbote sowie der sich in deren Umfeld entwickelnde „Lengericher Zeitungskrieg“. Eng an historischen Quellen aus verschiedenen Archiven (u. a. Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Stadtarchiv Lengerich, Universitätsarchiv Münster) entlang entwickelt der Autor das Bild einer ausdifferenzierten (klein)regionalen Zeitungslandschaft mit zunächst zwei Tageszeitungen und einem Sonntagsblatt. Mit der Neugründung des Tecklenburger Landboten betritt 1930 ein neuer Akteur die Bühne, der gesellschaftliche Veränderung will; ihm geht es von Beginn an nicht nur um wirtschaftlichen Erfolg, sondern auch um ideologische Einflussnahme.

Weitgehend dem chronologischen Ablauf des Geschehens folgend dokumentiert Alfred Wesselmann, wie sich eine alteingesessene Lokalzeitung, die Lengericher Zeitung, mehr oder weniger deutlich nationalsozialistisch-völkischen Positionen zuwendet, wobei die neue Zeitung, der seit dem 29. November 1930 erscheinende Tecklenburger Landbote, mit ihrer Agitation im Sinne des Tannenbergbundes diese Entwicklung sicherlich beschleunigte.

Deutlich wird an diesem lokalen Beispiel, wie sich in Lengerich und Umgebung über die Printmedien schon einige Jahre vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten eine völkisch-rassistische Weltanschauung etablierte. In Lengerich war es neben der NSDAP, deren Politik sich die Lengericher Zeitung mindestens seit 1931 zuwendete, vor allem der Tannenbergbund, der aktiv um Mitglieder warb und dazu auch die neu gegründete Tageszeitung nutzte. Der rechtsextremistische Tannenbergbund, Mitte der 1920er Jahre als Wehrverband unter der Schirmherrschaft von Erich Ludendorff (1865–1937) gegründet, hatte sich bis 1930 bereits zu einer völkisch-rassistischen, antisemitischen, gegen die christlichen Kirchen agitierenden Glaubensgemeinschaft entwickelt, der in Lengerich unter anderem die Eigentümer der Firma Bischof + Klein, Ernst und Hans Klein, anhingen. Wie gut vernetzt und organisiert diese rechte Gruppierung war, zeigte sich in Lengerich daran, dass die Brüder Klein die Schriftleitung der bei ihnen verlegten neuen Tageszeitung Tecklenburger Landbote zunächst an den „Tannenberger“ Siegfried Zander vergaben, der sich zwar nicht aufgrund seiner Qualifikation (er war Ingenieur), wohl aber aufgrund der entsprechenden Weltanschauung für den Posten anzubieten schien.  

Nach dem Verbot des Tannenbergbundes 1933 vollzog die Verlagsgesellschaft Lengerich i.W. (Fa. Bischof + Klein) eine Kursänderung weg vom Tannenbergbund hin zum Nationalsozialismus. Diese „Kurskorrektur“ sicherte dem Tecklenburger Landboten das wirtschaftliche Überleben und mittelfristig auch den „Sieg“ im „Zeitungskrieg“, denn die NSDAP-nahe Lengericher Zeitung ging 1935 im Tecklenburger Landboten auf.

Der „Lengericher Zeitungskrieg“ ist paradigmatisch für ähnliche Entwicklungen in vielen Teilen Deutschlands. Sie führten unter anderem dazu, dass die politischen und öffentlichen Umgangsformen bereits vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten derart verrohten, dass Andersdenkende sich eher wegduckten als ihre Stimme zu erheben. Letzteres galt allerdings nicht für die örtlichen evangelischen Pfarrer in Lengerich. Sie wandten sich zwar nicht gegen Antisemitismus und völkischen Nationalismus, wehrten sich aber vehement gegen die Ludendorffschen völkisch-esoterischen Glaubensformen und wussten dabei auch einen Großteil der örtlichen Bevölkerung – einschließlich der lokalen NSDAP – auf ihrer Seite.

Schön, wenn solche teils verworrenen Entwicklungen lokal aufgearbeitet, dokumentiert und publiziert werden.