Sebastian Schröder
Das Wetter hat enorme Auswirkungen auf das Leben aller Erdenbewohner. Zu seiner Vorhersage gab es in früherer Zeit keine Satelliten oder professionelle Messstationen, wie sie heute Standard sind. Eine Möglichkeit, an Informationen über Wetter und Klima zu gelangen, sah man in Wetteraufzeichnungen wie beispielsweise dem „Hundertjährigen Kalender“, von denen man sich Aufschlüsse über klimatische Regelmäßigkeiten erhoffte. Vor allem Bauern (sofern sie schreiben konnten) und Geistliche machten sich Notizen über das Wetter. Markante Wetterereignisse verzeichnete beispielsweise auch der Holzhauser Pfarrer Franz Ernst Schrader während seiner Amtszeit. Schrader wurde 1733 in Lemgo als Sohn eines Pfarrers geboren und trat 1769 die Nachfolge Johann Elert Seemanns in (Bad) Holzhausen (heute ein Ortsteil der Stadt Preußisch Oldendorf) an. Am 7. April 1786 starb der Geistliche im Alter von 53 Jahren. Sein 17-jähriges Wirken in der Gemeinde war geprägt von einigen mitunter verheerenden Wetterphänomenen, wie Schrader selbst zu berichten wusste. In jener Zeit vermerkte der Pfarrer hohe Niederschläge, die insgesamt vier Überschwemmungen der Großen Aue, die damals auch als Mühlenbach bekannt war, verursachten, die Ernten zerstörten, Kleider von den Bleichen spülten und letztlich zu Hunger, Not sowie Teuerungen führten. Teilweise musste Getreide in Minden zugekauft werden; Bettlerscharen zogen umher.
Insbesondere die Jahre 1770 bis 1772 waren krisenhaft – nicht nur in Westfalen, sondern in weiten Teilen Europas. Diese Phase soll im Folgenden anhand der Aufzeichnungen Pfarrer Schraders näher in den Blick genommen werden. Es sei allerdings vorausgeschickt, dass den Geistlichen nicht nur das Wetter interessierte. Schrader schreibt, dass im März 1770, kurz vor Ostern, sehr viel Schnee gefallen sei. Selbst die ältesten Einwohner hätten sich nicht an derartige Massen erinnern können. Die benachbarten Häuser seien nahezu unerreichbar gewesen, so hoch türmte sich der Schnee auf. Noch gravierender wirkte sich das Wetter im Sommer 1771 aus. Seit Juni habe es ein Vierteljahr nahezu ununterbrochen geregnet. Schrader errechnete, dass lediglich drei Tage am Stück die Sonne geschienen habe. Die Nässe habe sich auf die Ernte äußerst negativ ausgewirkt. Die Obstbäume trugen kaum Frucht. Die meisten Blüten der Bohnen verfaulten, sodass kaum das für die nächste Aussaat benötigte Samenmaterial erzielt wurde. Kein Bauer konnte trockenes Getreide einfahren, vielmehr keimte das Korn noch auf dem Halm und wuchs aus. Infolgedessen reichte das gewonnene Getreide nicht aus, um die örtliche Bevölkerung zu ernähren. Bereits Anfang Februar 1772 waren alle Lagerbestände verbraucht. Deshalb fuhren die Menschen nach Minden, um dort Brot zu erwerben. Landwirt Höcker genannt Rieke-Möller richtete mit seinem Pferdewagen einen Fahrdienst ein und verkaufte das Pfund Brot für einen Groschen. Doch je weiter das Jahr voranschritt, um so drückender äußerte sich der Mangel an Lebensmitteln. Hinzu kam, dass die Preise rasant stiegen. Pfarrer Schrader beschrieb das Resultat dieser Notlage ziemlich anschaulich: Täglich seien 30 bis 40 Leute im Pfarrhaus erschienen, um zu betteln. Nicht etwa Geld erbaten sie, sondern Brot – „um ihr Leben zu retten, weil viele unter ihnen in langer Zeit nichts gegeßen hatten.“ Und weiter heißt es: „Die Armuth war hier in diesem Jahr so groß, daß die meisten kein Brod mehr kauffen konten; und die noch Geld übrig hatten, konten kaum bey allen guten Worten, die man dem Verkäufer gab, Brod erlangen.“ Deshalb habe die bäuerliche Bevölkerung drastische Maßnahmen ergriffen: „Man fand kurz vor der Erndte viele Leute auf dem Felde, die das Korn so verzehrten, wie es auf dem Halm gewachsen war, weil sie sich des Hungers nicht länger erwehren konten. Andere meheten ihr Korn ab, ehe es zur völligen Reife gekommen war, und trockneten es im Backofen, um die großen Geld-Summen zu ersparen, die sie bisher für Brod hatten ausgeben müßen.“ Der Holzhauser Geistliche verglich die Situation des Jahres 1772 mit den Wirren des Siebenjährigen Krieges (1756–1763). Dabei schlussfolgerte er, dass seine Gemeinde unter den „feindlichen Völkern“ weniger habe leiden müssen als unter den Folgen des Wetters.
Einige Menschen kannten nur einen Ausweg aus ihrer Not: Sie gingen auf Beutezug. Im März 1771 bekam auch Pfarrer Schrader ungebetenen Besuch im Pfarrhaus. Die Einbrecher drangen durch die Tür des Kuhstalls in sein Wohnhaus ein, nachdem sie zuvor die eiserne Stange vor dem Kellerfenster zerstört hatten. Die Pfarrersfrau bemerkte jedoch die Diebe. Denn beim Blick durch ein kleines Kammerfenster auf die Diele erblickte sie die Übeltäter, die sich gerade am Speck zu schaffen machten, der an der Decke im Schornstein über dem Herdfeuer hing. Die Gattin des Pfarrers schlug Alarm, woraufhin die Delinquenten mit ihrem Beutegut flohen. In den folgenden Tagen wurden etliche Häuser im Kirchspiel nach der Beute und den Dieben durchsucht – allerdings vergeblich. Ende September 1771 kehrten die Einbrecher ins Pfarrhaus zurück. Sie zerstörten eine Fensterlade der großen Stube. Diesmal konnten sie jedoch nur „Kleinigkeiten“ erbeuten, denn der Schrank in der Stube war mit einem „festen französischen Schloß versehen“. Trotzdem schockierte der Vorfall die gesamte Pfarrerfamilie. Schrader notierte: „Ich glaubte, nicht mehr sicher im Hause zu seyn.“ Deshalb ließ die Gemeinde die Fenster des Pfarrhauses, sonderlich des Schlafgemachs und der Stube, mit eisernen Stangen sichern. Erleichterung machte sich breit, als wenige Wochen später in Lübbecke der Rattenfänger Fischer und der Schuster Lefler inhaftiert wurden, bei denen sich tatsächlich eine Kaffeekanne, Gardinen und „andere Kleinigkeiten“ aus dem Holzhauser Pfarrhaus fanden. Der wertvolle Speck und die kostbaren silbernen Löffel blieben jedoch verschwunden.
Das Wetter – schon damals war es also in aller Munde. Und es wirkte sich nachhaltig auf das Leben der ländlichen Bevölkerung aus. Die Menschen waren auf günstige Witterungsbedingungen angewiesen, andernfalls drohten Hunger und Armut, Not und Elend. Als Folge blieben dann Einbrüche und Diebstähle natürlich nicht aus. Die Niederschriften Pfarrer Schraders zeugen eindrücklich von diesen historischen Zusammenhängen.