Der Reitertod des Axel Holst

09.06.2023 Marcel Brüntrup

Marcel Brüntrup

Als Axel Holst am 26. Januar 1935 auf dem internationalen Spring- und Reitturnier anlässlich der Grünen Woche in Berlin an den Start geht, liegen viele Hoffnungen auf dem berühmten Star aus der Springreiterszene. Doch am Tag des Springens scheint sein Pferd namens Troll nicht recht in Form zu sein. Der Trakehner nimmt die ersten Hindernisse zwar gut, doch an einer einfachen Mauer geschieht das Unglück: Troll bleibt mit den Vorderbeinen hängen, überschlägt sich und stürzt mit seinem vollen Gewicht auf den am Boden liegenden Holst. Der bewusstlose Reiter wird vom Platz getragen und mit einem Genick- und doppeltem Schädelbruch ins Berliner Hildegard-Krankenhaus gebracht, wo die Ärzte nur noch seinen Tod feststellen können.

SS-Mann Axel Holst auf dem internationalen Spring- und Reitturnier in Berlin. 26. Januar 1935. Archiv für Alltagskultur in Westfalen, Sammlung BF Nr. 12a S29.

Unter den Zuschauern in Berlin befand sich auch ein Reiter aus dem Münsterland, der einige Fotos vom Turnier, unter anderem von einem der geglückten Sprünge Axel Holsts, aufnahm und zuhause in sein Fotoalbum einfügte. Neben vier weiteren Alben der Familie B. befindet sich dieses Album im Bestand ländlich-bäuerlicher Familienfotoalben, den die Kommission Alltagskulturforschung für Westfalen im Rahmen eines Dokumentations- und Forschungsprojekts gesammelt und digitalisiert hat. Schon beim ersten Blättern durch die Alben der Familie B., die mit Amateurfotografien aus den 1920er bis 1940er Jahren bestückt sind, fällt die große Affinität der Familie zum Pferdesport auf. So finden sich, neben den üblichen Fotos von Haus, Hof und Familie, zahlreiche Abbildungen verschiedener Reit- und Pferdeveranstaltungen in der Region.

Das Album, in dem sich die Bilder des verhängnisvollen Berliner Turniers befinden, enthält Fotografien aus den Jahren von 1930 bis 1935 und deckt damit einen vergleichsweise kurzen, aber spannenden Zeitraum vom Ende der Weimarer Republik bis kurz nach der nationalsozialistischen Machtübernahme ab. Die Fotos dokumentieren unter anderem die militärische Reitausbildung, die einer der Söhne auf dem Kavallerie-Übungsplatz Sennelager sowie in der prestigeträchtigen Kavallerieschule der Reichswehr in Hannover erhielt. Aufnahmen verschiedener Veranstaltungen örtlicher Reitervereine (Kavalleriefest, Sternreiten, Kriegerfest, Turniere, Spring- und Geländetrainings) verweisen sowohl auf die militärische Tradition des Pferdesports als auch auf seine gesellschaftliche Bedeutung im ländlichen Raum.

Der Reiterverein Legden auf dem Kavalleriefest in Coesfeld. 1930. Archiv für Alltagskultur in Westfalen, Sammlung BF Nr. 12d S16.

In den Fotos ab 1933 lässt sich die zügige Verflechtung der Reitervereine mit dem NS-System nachvollziehen. Stark umworben von den Reiterstürmen der SA und der SS, traten in den Jahren 1933/34 die meisten Mitglieder der ländlichen Reit- und Fahrvereine mehr oder weniger freiwillig den NS-Organisationen bei. Zwar blieben die Vereine als Organisationsstruktur zumeist bestehen, doch schalteten sie sich selbst weitgehend gleich, indem sie das Führerprinzip einführten und die Vorstände mit Parteiangehörigen besetzten.

Mitglieder eines SA-Reitersturms in Coesfeld. 1935. Archiv für Alltagskultur in Westfalen, Sammlung BF Nr. 12d S23.

Auch der gebürtig aus Schweden stammende Axel Holst war Mitglied der SS und bekleidete zum Zeitpunkt seines tödlichen Unfalls den Rang eines Untersturmführers. In seiner Heimat hatte Holst eine solide Reitausbildung bei der Kavallerie erhalten, nach dem Ersten Weltkrieg war er nach Deutschland gekommen und hatte sich nach einigen Jahren einbürgern lassen. In den 1920er Jahren stieg er zu einem der erfolgreichsten deutschen Turnierreiter auf. In den Jahren 1931 bis 1934 gewann er in ununterbrochener Folge das Championat der Springreiter. Was Axel Holst neben seinen zahlreichen Siegen zu einer Ikone des Pferdesports und einem Hoffnungsträger für junge Nachwuchsreiter machte, war zum einen sein auffällig lässig-eleganter Reitstil, der eine erfolgreiche Einheit von Pferd und Reiter suggerierte und in den Medien mystifiziert wurde. Zum anderen war Holst ein bescheidener, ruhiger Mensch, der in Pommern einen selbst bewirtschafteten Hof besaß. Den Jungbauern in den ländlichen Reitvereinen bot Holst damit eine Identifikationsfigur in der elitären Welt des Pferdesports.

Nach seinem Tod reihte sich Axel Holst zusammen mit Prinz Friedrich Sigismund von Preußen und Carl-Friedrich von Langen in die Trias der berühmten Reiter der Weimarer Zeit ein, die zwischen 1927 und 1935 im sportlichen Wettkampf den zum „Heldentod“ stilisierten Reitertod gefunden hatten. Noch Jahrzehnte später wurden ihnen Preise, Turniere, Gedenktafeln und sogar Straßennamen (beispielsweise die Freiherr-von-Langen-Straße in Warendorf, in der die Deutsche Reiterliche Vereinigung e.V. und das Deutsche Olympiade-Komitee für Reiterei ihren Sitz haben) gewidmet. Nicht zuletzt wurde ihr Tod im nationalsozialistischen „Kult um die toten Helden“ propagandistisch ausgeschlachtet, wie bereits Holsts Trauerfeier auf dem Berliner Spring- und Reitturnier veranschaulicht. Der für den Abend geplante Reiterball im Hotel Adlon wurde abgesagt, stattdessen bahrte man Axel Holsts Sarg auf einem von Lorbeerbäumen umsäumten Katafalk in der Turnierhalle auf. Egly, eines der erfolgreichsten Pferde von Holst, wurde als gesatteltes, „reiterloses Pferd“ an den Sarg herangeführt. Mitglieder der SS-Leibstandarte und Springoffiziere der Kavallerieschule stellten das Ehrengeleit, SA-Obergruppenführer Wilhelm Brückner, Adjutant Adolf Hitlers, legte im Namen des Führers einen Kranz nieder. Nicht wenige Größen des NS-Regimes nahmen an der Trauerfeier teil, darunter Reichslandwirtschaftsminister Walther Darré (1895–1953) sowie der Befehlshaber der deutschen Polizei, Kurt Daluege (1897–1946). Der Führer der Berliner Reiter-SS, Sturmbannführer Paul Brantenaar, hielt die Trauerrede, in der er – so die Reitsportzeitschrift St. Georg im Februar 1935 – „alles das, was Axel Holst für die deutsche Reiterei, für die Schutzstaffel und für die Bewegung bedeutete, noch einmal hervorhob und an deren Schluß er diesen Reiter, Kämpfer und Sieger als leuchtendes Vorbild für alle jungen Kameraden der Bewegung hinstellte.“ Nach der Trauerfeier wurde Holsts Leichnam zum Flughafen Tempelhof gebracht und von dort nach Schweden überführt, wo er seine letzte Ruhestätte fand.

Die Trauerfeier in der Turnierhalle. 26. Januar 1935. Archiv für Alltagskultur in Westfalen, Sammlung BF Nr. 12a S30.

Auch der Besucher aus dem Münsterland nahm an der Trauerfeier teil und fertigte ein Foto an, welches sich als Beweis seiner Zeitzeugenschaft im vorliegenden Album befindet. Nach der obigen Aufnahme endet das Fotoalbum der Familie B. abrupt, die letzten 20 Seiten blieben leer. Man kann dies als persönliche Betroffenheit der Familie lesen, beinahe so, als hätte der Tod von Axel Holst ein besonderes Kapitel in der Geschichte des Reitsports beendet. Die pferdebegeisterten Söhne blieben ihrer Passion jedoch treu und nahmen weiterhin an zahlreichen regionalen Turnieren teil. Einer von ihnen sollte Jahre später als Verwaltungsbeamter im besetzten Polen tätig werden und während dieser Zeit Springturniere der Reiter-SS im Generalgouvernement besuchen. Doch dazu mehr in einem anderen Beitrag.

Literatur

Berno Bahro, Der SS-Sport. Organisation – Funktion – Bedeutung, Paderborn 2013.

Nele Maya Fahnenbruck, „…reitet für Deutschland“: Pferdesport und Politik im Nationalsozialismus, Hamburg 2013.

Hermann Freiherr von Nagel, Große deutsche Turnierreiter der Vergangenheit, Warendorf 1986.

Karl Schönerstedt, Sie ritten für Deutschland. Springwunder und ihre Reiter einer großen Zeit, Preußisch Oldendorf 1986.

Clemens Laar, Kavalkade: Eine Chronik von Reitern und Pferden, Köln-Deutz 1950.