Der Untote von Ladbergen

18.09.2020 Kathrin Schulte

Die alte Kirche in Ladbergen vor ihrem Abbruch im Winter 1854/55. Bild: Die Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Tecklenburg, bearb. v. Albert Ludorff, Münster 1907, S. 57.

Archäologischer Fund könnte auf magische Vorstellungen hindeuten

Christof Spannhoff

Gab es in Ladbergen im Kreis Steinfurt einst Untote? Oder wissenschaftlich-präziser gefragt: Haben die Ladberger einst geglaubt, dass es in ihrem Ort Untote gäbe? Darauf hindeuten könnte ein spannender Fund, den die Archäologen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) 2008/09 bei ihrer Ausgrabung auf dem Gelände der alten Ladberger Kirche machen konnten.

Ein Wiedergänger erhebt sich aus dem Grab. Abbildung aus dem im Jahr 1500 in Genf gedruckten „Kalendrier des bergiers“ („Hirten- oder Schäferkalender“).

Erstmals belegt ist ein Gotteshaus im späteren „Heidedorf“ im Jahr 1149. Vermutlich wenige Jahrzehnte zuvor, also noch in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, wurde diese Kirche auf den Ländereien eines Fronhofs des münsterischen Domkapitels errichtet, der wahrscheinlich mit dem nahe gelegenen Schultenhof zu identifizieren ist. Dieses erste Kirchengebäude war den archäologischen Indizien zufolge aus Holz, wurde allerdings ebenfalls noch im 12. Jahrhundert durch einen Steinbau ersetzt. Das geschah möglicherweise im Zuge der Erhebung der Kapelle zur Pfarrkirche im Jahr 1170. Das Gebäude scheint lange Zeit unverändert geblieben zu sein. Erst 1756 wurde die Kirche erweitert. Ihre Bausubstanz war damals allerdings bereits sehr marode. Der 1818 durch einen Blitzschlag beschädigte Turm wurde 1830 abgerissen. Im Winter 1854/55 folgte dann der Abbruch des Kirchenschiffs, das – unter Verwendung der noch brauchbaren Baustoffe – durch einen Neubau 150 Meter weiter nördlich ersetzt wurde. 1909 überbaute man dann den westlichen Teil des ehemaligen Kirchenstandorts mit der teilweise unterkellerten Dorfschule. Durch den Abriss dieses Schulgebäudes 2008 im Zuge eines geplanten Neubaus ergab sich die Gelegenheit, die noch im Erdboden vorhandenen Spuren des alten Gotteshauses und seines Umfeldes zu dokumentieren:

Neben den Hinweisen zur Baugeschichte wurden auch 76 Bestattungen entdeckt. Einige von ihnen erbrachten Hinweise auf mittelalterliche und frühneuzeitliche Bestattungspraktiken: Wurden die Leichen im Hochmittelalter anscheinend mit seitlich gestreckt anliegenden Armen in den Sarg gelegt, ordnete man später die Hände über dem Unterleib an. In der Neuzeit schließlich wurden dann die Arme über dem Bauch des Toten verschränkt. Neben der Bestattung in geschlossenen Särgen begrub man einige Verstorbene aber anscheinend auch auf Leichenbrettern, die nur 10 bis 15 Zentimeter hohe Seitenwände und keine Abdeckung aufwiesen. Bei einem Skelett fanden sich auch die Reste einer einfachen Totenkrone aus Bronzeperlen und Bronzedraht. Solche Kopfbedeckungen wurden unverheirateten Frauen vor allem zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert beigegeben.

Der vermutliche Wiedergänger. Kolorierte Nachzeichnung des Grabungsbefundes. Bild: Chr. Spannhoff.

Besondere Beachtung schenkten die Ausgräber allerdings einem Toten, dessen Brust mit einem schweren Kalkstein belegt worden war. Dieser maß 22 x 19 x 8 Zentimeter. Da dieser Stein nicht zufällig an seine Fundstelle gelangt sein kann, muss er ursprünglich mit Absicht platziert worden sein und wird von den Archäologen als Maßnahme gegen das „Wiedergehen“ des Toten interpretiert. Die Ladberger scheinen also zum Zeitpunkt des Todes dieses Verstorbenen geglaubt zu haben, dass er sich wieder aus seinem Grab erheben könnte. Vor allem unnatürliche Todesumstände verbanden die vormodernen Menschen mit einer solchen Vorstellung. Die Beschwerung von Toten mit Steinen ist allerdings ein Phänomen, das in Deutschland bisher eher aus weiter östlichen Gebieten bekannt geworden ist, weshalb der Ladberger Fund eine Besonderheit darstellt.

Dennoch dürfte es den Glauben an Untote einst auch in Westfalen gegeben haben. So befindet sich im Archiv der Kommission Alltagskulturforschung für Westfalen in Münster unter anderem ein Bericht über gespenstische Erscheinungen in Ladbergen, den Friedrich Saatkamp 1965 verfasste (Inventarnummer: MS02558). In diesem führt er aus: „Von wiederkehrenden Toten war früher in Ladbergen ebenfalls oft die Rede und spielte auch dieses Gebiet des ‚Wiergaohens‘ (Wiedergehens) im Dasein der alten Ladberger eine nicht unerhebliche Rolle. So wußte der Volksmund von manchen Fällen zu berichten, wo Verstorbene wegen eines im Leben verübten Unrechts keine Ruhe fanden und bald nach ihrem Tode den Angehörigen oder anderen Personen erschienen.“ Möglicherweise ist der Ladberger Fund somit ein früher Beleg für westfälische Wiedergänger-Vorstellungen, die dann später Motiv von mündlichen Erzählungen wurden. Schon Heinrich Heine (1797–1856) war sich ja 1837 mehr als sicher: „Nicht alles ist tot in Westfalen, was begraben ist.“

 

Quellen

Stefan Eismann: Ausbruchgruben, Totenkrone und Wiedergänger – die Alte Kirche in Ladbergen: Kreis Steinfurt, Regierungsbezirk Münster, in: Archäologie in Westfalen-Lippe (2009), S. 111–114. https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/aiw/article/view/25059/18765

Stefan Eismann, Die Ausgrabung der Alten Kirche in Ladbergen, Kr. Steinfurt 2008/09. Abschlussbericht. https://www.ladbergen.de/pics/medien/1_1377243545/Abschlussbericht_Publikationsfassung.pdf

Friedrich Saatkamp, Bericht über Sagen von Erscheinungen und örtliche Spukgeschichten, Archiv für Alltagskultur der Kommission Alltagskulturforschung für Westfalen, Inventarnummer: MS02558.  https://www.lwl.org/330-download/daten/manuskripte/2001-3000/2501-2600/02558.pdf