Christiane Cantauw
„Deutsche Heimat in Afrika“. Kolonialrevisionismus im Stil der späten 1930er Jahre
Wie der Kolonialismus mit fotografischen Mitteln fortgeschrieben wurde, darüber ist in diesem Blog schon verschiedentlich berichtet worden. Um einer zunehmenden Dekolonisation in Deutschland etwas entgegenzusetzen, bedurfte es zwei Jahrzehnte nach dem Ende der deutschen Kolonien zeitgemäßer Visualisierungen, die das durchaus vorhandene Interesse des deutschen Publikums an fernen Ländern in Richtung eines Kolonialrevisionismus rücken konnten. Ein solches Medium sollte das von Reichskolonialbund herausgegebene „Bildbuch aus unseren Kolonien“ – so der Untertitel – mit Fotografien und Texten von Ilse Steinhoff (1909–1974) sein.
Von Ilse Steinhoff waren in West- und Ostafrika aufgenommenen Fotografien bereits seit Endes 1937 als Fotoreportagen im Illustrierten Beobachter, einer Münchener NS-Wochenzeitung, abgedruckt worden. 1939 erschien dann im Wilhelm Limpert Verlag in Berlin ein etwa 75 Seiten umfassender Bildband (nicht paginiert). Darin werden rund 160 ganz- oder halbseitige Schwarzweißfotografien von Steinhoff präsentiert – einige von ihnen decken sich mit den Bildern aus den Bildreportagen des Illustrierten Beobachters. Bildunterschriften und kürzere erläuternde Texte ergänzen den Bildband.
Die Fotografin
Ilse Steinhoff, 1909 als Tochter eines Fabrikanten in Barmen geboren, war Ende der 1930er Jahre bereits eine anerkannte Fotografin. Sie arbeitete in Berlin, fotografierte beispielsweise bei den dort 1936 ausgetragenen Olympischen Spielen. Ihre Fotografien erschienen in vielen Zeitschriften und Publikationen, etwa im Illustrierten Beobachter, in der NS-Frauenwarte und in der SS-Hetzschrift Der Untermensch. Wie bekannt Steinhoff in den 1930er Jahren bereits war, belegt unter anderem die Tatsache, dass ihr Konterfei 1935 als Sammelbild vom Bilderdienst Berlin-Pankow für Garbaty Kurmark Cigaretten produziert wurde und gemeinsam mit den Abbildungen einiger bekannter Schauspielerinnen zu einer „Moderne(n) Schönheitsgalerie“ zusammengestellt werden konnte. Während des Zweiten Weltkrieges arbeitete Steinhoff als Kriegsberichterstatterin in Nordafrika und auf dem Balkan. Nach dem Krieg war sie in Saarbrücken als Bildjournalistin tätig, ab 1950 in Stuttgart als Reiseschriftstellerin und -fotografin. Sie starb 1974 in Eberbach am Neckar.
Der touristische Blick
In dem Bildband (Auflage 31.000 Exemplare) sind Fotografien versammelt, die Steinhoff – so die Einleitung – „im ‚Vorhof‘ des dunklen Erdteils“ gemacht hat. Grob unterteilt ist die Publikation in einen west- und einen ostafrikanischen Teil, weitere Unterteilungen (Kapitel) gibt es nicht.
Gleich die erste Fotografie zeigt Menschen im Gegenlicht an der Reling eines Überseedampfers, der vermutlich auf dem Weg nach „Windhuk“ ist. Sie blicken auf einen Dampfer, der sich in Gegenrichtung bewegt. Dazu die Bildunterschrift: „Begegnung zwischen Europa und Afrika. Sie kehren heim – wir fahren aus!“ Die aus erhöhter Perspektive aufgenommene Fotografie bedient ebenso wie die zweite Fotografie des Bildbandes, die den Leuchtturm von Swakopmund zeigt, ein touristisch bedeutsames Thema: Abreise und Ankunft. Steinhoff nutzt diese wenigen Fotografien, die touristische Wahrnehmungsgewohnheiten reproduzieren, aber lediglich als Ausgangspunkt für eine ganz andere Sichtweise auf die bereisten Länder und Regionen, die sie bereits in der Einleitung andeutet.
Der koloniale Blick
Ilse Steinhoff knüpft mit dem Bildband an ein sprachliches und visuelles Argumentationsmuster an, welches Ende der 1930er Jahre bereits eingeführt war: den Mythos von einem unberührten, wilden Land, das durch die zivilisatorischen Leistungen der Deutschen von seiner Rückständigkeit befreit wurde. Verbunden wird dieser Mythos mit dem Klischee einer von Deutschen und Afrikaner:innen gleichermaßen geteilten Sehnsucht nach Rückkehr in kolonialdeutsche Zeiten. Letzteres will Steinhoff in Text und Bild belegen: Ordnung und Sauberkeit, Sicherheit und Arbeitsamkeit, Fleiß und Tapferkeit werden als deutsche Tugenden inszeniert, so dass „heute noch, wie vor Jahrzehnten, der deutsche Mensch dem Lande seinen Stempel“ aufdrücke (Einleitung). Das sollen Fotografien von Städten, einzelnen Gebäuden, Denkmälern, Geschäften, Siedler:innen, Farmen und Minen belegen. Der begleitende Text unterstützt die Stoßrichtung der Fotografien: „Das bringen nur Deutsche fertig!“ heißt es beispielsweise zu einer Gartenanlage im damaligen Swakopmund im heutigen Namibia. Mit dem Waterberg („dort, wo die letzten großen und blutigen Entscheidungskämpfe im Hereroaufstande ausgetragen wurden“), dem Franketurm in Omaruru („Denkmal deutschen Heldenmuts“) und dem Windhoeker Reiter („Zum ewigen Gedächtnis an die Reiter von Südwest, die ihr Leben gaben im Hereroaufstande 1904-06“) werden ganz gezielt koloniale Erinnerungsorte ins Bild gesetzt und im Gedächtnis der deutschen Leserschaft verankert, die den Herrschaftsanspruch des Deutschen Reiches in Südwestafrika belegen sollten.
Die Einheimischen (Herero, Massai, „Buschmänner“ [San], Waaruscha und viele andere)
Die Einheimischen werden auf zahlreichen Fotografien präsentiert. Wenn es sich um Männer handelt, so bedient Steinhoff sich oft eines ironisch-herabwürdigenden Tons, um die deutsche Überlegenheit herauszustellen. Über „‘Hauptmann‘ Anton“ heißt es beispielsweise, dass er „tadellos deutsch“ spreche und „mit Vorliebe eine Phantasieuniform mit vielen bunten Orden“ trage. Bei ihm handelt es sich wohl um einen Herero, der in der Kolonialzeit bei den deutschen Truppen tätig war; Steinhoff bezeichnet ihn als „ehemaligen Truppenjungen“. Über einen einheimischen Minenarbeiter, der sich von einem deutschen Arzt behandeln lässt, schreibt sie, mangelnde deutsche Sprachkenntnisse verhöhnend: „Billy hat ‚Weh-Weh‘ von ‚große Ofen‘, aber der Onkel Doktor weiß immer Rat!“
Frauen und Mädchen werden demgegenüber oft als schön oder kokett beschrieben, je nachdem, wie sehr sie dem deutschen Schönheitsideal oder einer Vorstellung von exotischer Körperlichkeit entsprechen. Zu dem Foto eines barbusigen Massai-Mädchens schreibt Steinhoff beispielsweise: „Afrika nackt … Wie ein lachender asiatischer Buddha sieht dieses Massaimädchen aus, das – fliegen- und schmuckbedeckt – ohne Konflikte und Sorgen in das Leben hineinlacht!“
Der koloniale Blick impliziert aber auch das Bemühen, die Einheimischen in ein positives Licht zu rücken. Sie werden als traditionsbewusst, fröhlich, kindlich-naiv und vor allem als williges und unerschöpfliches Arbeitskräftereservoir dargestellt. Wo immer es geht, wird auch auf regionale Traditionen und Besonderheiten, beispielsweise bedeutungsvolle Namen, besonderer Schmuck oder Rituale, eingegangen. Durch Hinweise auf Parallelen zum Alltag der Leser:innen („Das Thema Kleidung ist wichtig, wo immer Frauen leben, sei es nun in Europa oder Afrika!“) sollen Vorbehalte gegen eine Kolonisierung abgebaut werden.
Sowohl visuell als auch in den Bildunterschriften und Texten achtet Steinhoff stets auf die Trennung von weißen und schwarzen Menschen. Selten einmal werden sie zusammen fotografiert – eine der wenigen Ausnahmen bildet das Selbstportrait mit einem San aus der Kalahari. Zu dem Foto eines Wellblechhüttenslums nahe Windhuk schreibt sie: „So wohnen die Eingeborenen auf ihrer ‚Werft‘ bei Windhuk. Jeder Schwarze muß nach 9 Uhr abends die weiße Stadt verlassen und sich in seine ‚Stadt aus Wellblech‘ zurückziehen. Dort gibt es alles für sie – Fußball, Cafés, sogar Läden und Polizei!“ Was für die eine Bevölkerungsgruppe, die deutschen Siedler:innen, selbstverständlich ist, versetzt die Autorin im Hinblick auf die andere Gruppe in Erstaunen. Auch die Beschreibung der Portraitierten folgt diesem Muster der Segregation: Während die deutschen Auswanderer:innen ausschließlich über ihren Beruf beschrieben werden, nähert sich Steinhoff den Einheimischen über äußerliche oder charakterliche Zuschreibungen: „Sie ist, wie die meisten Hereros, sehr ehrlich und fleißig, nur dauert es entsetzlich lange, bis eine Arbeit einmal vollendet ist.“
Viele der in dem Bildband versammelten Portraitaufnahmen wurden aus Untersicht aufgenommen. Das war in den 1930er Jahren eine beliebte Technik, um Fotografien eine überraschende, oft auch heroische Anmutung zu verleihen. Steinhoff verwendete diese Technik häufig bei Portraitaufnahmen von Einheimischen, um die exotische Wirkung auf die Betrachtenden zu steigern. Die Fotografin bedient in vielfacher Weise den kolonialen Blick: durch die Reproduktion einer Machtstruktur des Begehrens (spärlich bekleidete, europäischen Schönheitsidealen entsprechende Frauen und Mädchen), durch die visuelle Trennung von Einheimischen und Siedler:innen, durch die Darstellung von Großwildjagd, von Plantagen oder vom Abbau von Bodenschätzen.
Letzteres sollte durchaus als Werbung für eine Aussiedlung und die Rückgewinnung der Kolonien verstanden werden, galt es doch den natürlichen Reichtum des afrikanischen Kontinents abzuschöpfen: „Mannshoch wachsen die Ähren … auf dem fruchtbaren Boden von Simba am Kilimandscharo – und nur ein Drittel der Aussaat wie in Europa ist nötig für den Anbau eines so sehr ertragreichen Getreidefeldes.“
Bei einem nicht namentlich genannten Rezensenten hat der von Steinhoff in Wort und Bild präsentierte Kolonialrevisionismus gefruchtet. Er schreibt am 1. September 1939 im Westfälischen Volksblatt:
„Afrika! Da gehen unsere Gedanken sogleich zu unseren Kolonien, die uns feindliche Willkür geraubt. Mit umso größerer Aufmerksamkeit werden wir darum das Bildbuch in die Hand nehmen, das die bekannte Presseberichterstatterin Ilse Steinhoff uns aus unseren Kolonien mitgebracht hat. (…) Wohin immer sie kam in Deutsch-Südwest oder Deutsch-Ostafrika, von Swakopmund bis zum Kilimandscharo, überall hat der deutsche Mensch und das deutsche Wesen dem Land das Gepräge gegeben. Und auch heute noch ist dieses Kolonialland deutsch. Das beweisen am eindringlichsten die zahlreichen, großartigen Bilder dieses Buches. Die älteren Eingeborenen leben in Gedanken und Sprache immer noch mit ihren deutschen Herren. Und die deutsche Pfadfinderjugend in deutsch-Südwestafrika wird das Erbe, das in ihre Hand gegeben ist, bewahren. Ein Buch, das lebendige Eindrücke hinterläßt, Wissen vermittelt und den Glauben an die Zukunft der deutschen Kolonien in Afrika stärkt.“
Literatur:
Kößler, Reinhart (2013): Der Windhoeker Reiter. In: Jürgen Zimmerer (Hg.): Kein Platz an der Sonne. Erinnerungsorte der deutschen Kolonialgeschichte. Frankfurt/New York, S. 458 – 482.
Melber, Henning (2013): Südwest. In: Jürgen Zimmerer (Hg.): Kein Platz an der Sonne. Erinnerungsorte der deutschen Kolonialgeschichte. Frankfurt/New York, S. 68 – 80.
Stahr, Henrick (2004): Fotojournalismus zwischen Exotismus und Rassismus. Darstellungen von Schwarzen und Indianern in Foto-Text-Artikeln deutscher Wochenillustrierter 1919 – 1939. Hamburg.