Krumme Schnäbel und spitze Klauen: Die Bekämpfung von „Raubtieren“ in der Grafschaft Ravensberg

15.10.2024 Marcel Brüntrup

Sebastian Schröder

Aus obrigkeitlicher Sicht wurden neben Ziegen auch andere Tiere als „Schädlinge“ kategorisiert. Wiederkehrend taucht in den Unterlagen der Kriegs- und Domänenkammer zum Beispiel der Umgang mit umherlaufenden Hunden auf. Zum Schutz des Wildes sollten Hunde im Wald auf Wagen mitgeführt oder an einer Leine gehalten werden. Sofern landesherrliche Beamte freilaufende Hunde entdeckten, war es ihnen gestattet, die Tiere zu erschießen. Außerdem wollte man verstärkt darauf achten, dass die Hunde „geknüttelt“ wurden, wie es in einem kurbrandenburgischen Edikt aus dem Jahr 1713 heißt, das auch in der Grafschaft Ravensberg galt. Darunter verstanden die Zeitgenossen, den Tieren einen Knüppel oder Stock umzuhängen, um sie in ihrer Bewegungsfreiheit einzuschränken. In landesherrlichen oder königlichen Wildgehegen galten nochmals strengere Regeln beim Umgang mit fremden Hunden. Diese sollten umgehend getötet werden. Denn durch diese Tiere würde „nicht nur das Wildpreth verscheuchert, sonder auch Dero Wild-Bahnen mercklicher Schade zugefüget“. Insgesamt zielte die landesherrliche Gesetzgebung also darauf ab, gute Jagdbedingungen zu schaffen; es ging weniger um den Schutz des Wildes an sich. Und auch ein gänzliches Verbot des Einsatzes von Hunden bei der Jagd wurde nie erwogen. Schließlich handelte es sich bei der Jagd mit Hunden um eine sehr alltägliche und häufig geübte Praxis, bei der sich dieses Tier als durchaus „nützlich“ für den Menschen darstellte. Der Hund erwies sich demnach lediglich in spezifischen Situationen als „schädlich“ und sollte auch nur eingeschränkt bekämpft werden.

Ganz anders sah die Lage bei anderen Tieren aus. Wörtlich heißt es in einer landesherrlichen Verordnung aus dem Jahr 1718, dass sich „Raub-Thiere und Raub-Vögel“ stark vermehrt hätten, worunter der Bestand an „Haasen und Feld-Hünern“ merklich leide. Deshalb verfügte der Landesherr, „daß dergleichen Raub-Thiere und Raub-Vögel vertilget und ausgerottet werden“. Diese Maßnahme sei „dem gantzen Lande zuträglich“, argumentierte die Spitze des Preußenreichs. An die in landesherrlichen Diensten stehenden Forstbediensteten und Jäger erging der Befehl, die als schädlich bewerteten Tiere zu erschießen beziehungsweise die Nester von Greif- oder anderen Vögeln zu zerstören. Zusätzlich schuf der König weitere Anreize, indem er Prämien auslobte. Wer mehr als „zehen Paar Raub-Vögel Klauen“ abliefere, dürfe sich über eine Sonderzahlung freuen. Ähnliches galt für die Bälge von Säugetieren. Die Aufforderung zum Erschießen der „Raubvögel“ sollte ferner ausdrücklich in die Pachtverträge der Ämter aufgenommen werden.

Das „PATENT, Daß alle Frembde Hunde, So im Königl. Geheege überjagen, Todt geschossen werden sollen“ stammt aus dem Jahr 1790, Foto: LAV NRW W, D 607/Kriegs- und Domänenkammer Minden, Nr. 2650, fol. 11r.

Mitnichten waren es aber bloß Vögel mit krummen Schnäbeln und spitzen Klauen, die der preußische Staat bejagen ließ und am liebsten ausrotten wollte. Auch weniger imposant oder gefährlich anmutende gefiederte Tiere gerieten ins Visier. So bestand für Untertanen die Pflicht, Krähen- und Sperlingsköpfe an die Ämter abzuliefern. Jeder Amtseingesessene musste dabei eine bestimmte, zuvor festgelegte Quote erfüllen. Zur Kontrolle führte der Amtmann genau Buch. Den Aufzeichnungen ist zum Beispiel zu entnehmen, dass im Jahrgang 1787/88 im Kirchspiel Werther 4175 und im ebenfalls zum sparrenbergischen Amtsbezirk Werther gehörigen Kirchspiel Dornberg 2084 Sperlinge gefangen und getötet wurden. Während der Amtmann im Wertheraner Bezirk keine Beanstandungen meldete, beschwerte sich sein Kollege im sparrenbergischen Distrikt Schildesche, dass ihm lediglich 4502 Krähen- und Sperlingsköpfe geliefert worden seien. Eigentlich hätten die dort lebenden preußischen Untertanen 4584 Stück liquidieren müssen. Im Säumnisfall verhängte die Kriegs- und Domänenkammer als Aufsichtsbehörde gegenüber denjenigen Ämtern eine Strafe, die ihr Kontingent nicht erfüllten. Die genaue Anzahl der zu tötenden Vögel orientierte sich dabei an der Steuerklasse einer bäuerlichen Besitzung. Demzufolge mussten Voll-, Halb- und Viertelmeier sowie Brinksitzer im Amt Ravensberg pro Jahr jeweils 12 Köpfe liefern, Müller, Heuerlinge und Schäfer dagegen lediglich die Hälfte. Im Jahr 1794 berechnete der ravensbergische Amtmann Meinders, dass in der Vogtei Borgholzhausen 16 Voll-, 61 Halb- und 68 Viertelmeier, 126 Brinksitzer, fünf Müller, 310 Heuerlinge sowie zwei Schäfer leben würden. Daraus errechnete er ein Soll in Höhe von 588 Krähen- und 16.326 Sperlingsköpfen. Mit 592 präsentierten Krähen- und 17.344 Sperlingsschädeln genügten die Eingesessenen der Vogtei Borgholzhausen ihrer Pflicht. Gleiches gilt für die ebenfalls dem Amt Ravensberg angehörigen Vogteien Halle und Versmold; Amtmann Meinders konnte den Mindener Kriegs- und Domänenräten Vollzug melden.

Doch nicht allerorten scheinen die Eingesessenen und Amtleute den landesherrlichen Befehlen gehörig nachgekommen zu sein. So berichtete im Jahr 1805 der Rentmeister des Rittergutes Böckel bei Rödinghausen, dass in der Vergangenheit durch die systematische Bejagung die „nachtheilige Vermehrung dieser schädlichen Vögel verhindert“ worden sei. Ungefähr in den letzten beiden Jahrzehnten hätte man diese Verpflichtung gleichwohl etwas schleifen lassen, wodurch sich die Population habe erholen können. Allein im ravensbergischen Amt Limberg müsse man deswegen einen Schaden in Höhe von 12.000 Reichstalern beklagen. Die Vögel würden frisch gepflanzte Kartoffeln sowie kurz vor der Ernte stehendes Getreide (namentlich werden Weizen und Gerste genannt) zerstören. Seine Aufforderung zum Eingreifen schloss der Rentmeister mit folgenden Worten: „Ich kann eydlich darthun, daß mir ein paar alte Krehen mit 3 Jungen allein für 15 R[eichs]t[haler] diesen Frühjahr an den Kartoffeln verdorben, die sie aus der Erde gehackt und so klagt ein jeder.“

Mit allen Mitteln versuchten die preußischen Landesbehörden in der Grafschaft Ravensberg, „schädliche“ Tiere zu bekämpfen. Im Vordergrund stand dabei das Bestreben, wirtschaftlichen Schaden abzuwenden – sei es zum Schutz der Feldfrüchte oder zur Bewahrung des Wildbestandes. Es zeigt sich, wie wenig ökologische Zusammenhänge bekannt waren, sorgte doch gerade die Dezimierung der Greifvögel für ein Ungleichgewicht und ein Überhandnehmen von kleineren Vögeln, die die Ernte schädigten. Hier wie auch beim Thema „Hunde“ erweist sich, dass die Kategorisierung in „schädliche“ und „nützliche“ Tiere nur teilweise evidenzbasiert war. In diese Einschätzung fanden jedenfalls Umweltaspekte oder Überlegungen zur Artenvielfalt der Zeit entsprechend keinen Eingang.

Quelle:

Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, D 607/Kriegs- und Domänenkammer Minden, Nr. 2950: Verhütung des Ruins der Wildbahn in der Grafschaft Ravensberg, 1686–1719; Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, D 607/Kriegs- und Domänenkammer Minden, Nr. 2957: Tilgung der schädlichen Vögel, 1788–1805; Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, D 607/Kriegs- und Domänenkammer Minden, Nr. 2958: Tilgung und Ablieferung der Raubtiere und Raubvögel, 1718–1808.

Die bisherigen Teile der Serie zur Kriegs- und Domänenkammer Minden:

Ein Dickicht voller Alltagskultur: Die preußischen Kriegs- und Domänenkammern in Westfalen im 18. Jahrhundert

Die Preußen wollen umsatteln: Zugochsen statt Pferde lautete die Devise

Erfindergeist in Minden und Ravensberg

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Die Glocken schweigen. Oder: „Gewitterableiter“ in preußischen Kammerakten

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