„Kein Bagger schiebt uns fort“. Die Geschichte der Besetzung der Frauenstraße 24 in Münster

13.10.2023 Niklas Regenbrecht

Blick in die aktuelle Sonderausstellung „F24. Geschichte der Frauenstraße 24“ im Stadtmuseum Münster, Foto: Stadtmuseum Münster.

Solveig Högemann

Auf Initiative des AStA der Universität Münster besetzten am 3. Oktober 1973 etwa sechzig Personen das Haus in der Frauenstraße 24. Es war bekannt geworden, dass es einen Tag später, am 4. Oktober, abgerissen werden sollte. Um dem Besitzer des Hauses, dem Immobilienmakler Hans Stürmer und dem von ihm engagierten Abrissunternehmen den Zugang zum Gebäude zu versperren und so den geplanten Abriss zu verhindern, übernachteten die Besetzerinnen und Besetzer auf Matratzenlagern.

Der Immobilienmakler Hans Stürmer hatte bereits in den Jahren zuvor für einiges Aufsehen gesorgt. Stürmer hatte ursprünglich im Bereich des sozialen Wohnungsbaus beim Regierungspräsidium Münster gearbeitet, nur um sich bald darauf als Makler selbstständig zu machen. 1971 begann er damit, zahlreiche Altbauten günstig aufzukaufen, um diese im Anschluss abzureißen und an ihrer Stelle teure Neubauwohnungen zu errichten.

Als die Mieterinnen und Mieter der Frauenstraße 24 im März 1971 erfuhren, was mit ihrem Haus geschehen sollte, begannen sie sich mit den Mieterinnen und Mietern anderer von Hans Stürmer erworbenen Häuser zu organisieren. Im Dezember 1971 gründete sich die MieterInitiative Münster, um die Abrisspläne Hans Stürmers zu stoppen. In diesem Zusammenhang drang Stürmer am 13. Dezember 1971 in die Frauenstraße 24 ein und ließ Wohnungen „unbewohnbar“ machen. So wurden Fenster und Türen zerschlagen, aber auch Toiletten zerstört. Dies war eine gängige Praxis von Immobilienbesitzern dieser Zeit, um den Wohnwert alter Gebäude zu reduzieren und so Abrisse leichter durchzusetzen.

Spontandemonstration am 21. Februar 1981 gegen Wohnraumspekulation und für den Erhalt der Frauenstraße 24, Stadtarchiv Münster, Depositum F24.

Dies war nicht die erste Zerstörung, die das Haus in seiner langen Geschichte erfahren sollte. Das Haus Frauenstraße 24 war 1908 mit seiner mittlerweile berühmten Jugendstilfassade erbaut worden und überstand als einziges Gebäude der Straße die Bombardierungen während des Zweiten Weltkrieges. Kleinere Kriegszerstörungen hatte es dennoch davongetragen, weshalb das Haus 1948 und 1951 mit öffentlichen Geldern saniert werden musste. Daraus ergab sich eine Sozialbindung für das Haus, die noch bis 1974 Gültigkeit besaß. Dies bedeutete, dass die Wohnungen des Hauses zu einem sozial-angemessen Preis vermietet werden mussten und es nicht abgerissen werden durfte.

Protestplakat des KulturVereins F24 e. V., Universitätsarchiv, Bestand 203, Bestellsignatur 1555.

Mit seinen Verbindungen zur Stadtverwaltung Münster war es dem Makler Hans Stürmer jedoch gelungen, bereits im Juli 1971 eine Abbruchgenehmigung für dieses Gebäude zu erhalten. Dagegen wandten sich nun die Studentinnen und Studenten der Universität Münster. Mit der Besetzung der Frauenstraße 24 wollten sie auf die grassierende Wohnungsnot in der Stadt aufmerksam machen, wie auch auf korrupte Praktiken von Immobilienmaklern und Mitgliedern der Stadtverwaltung. Dabei blieb die Frauenstraße 24 nicht das einzige besetzte Gebäude. Gleichzeitig wurden weitere Altbauten in Münster wie etwa in der Gertrudenstraße oder in der Sertürnerstraße besetzt.

Noch während der Besetzung begannen die Studentinnen und Studenten mit der Renovierung des Hauses. Im Frühjahr 1974 wurde die Fassade gereinigt und erhielt ihren ikonisch gewordenen blauen Farbanstrich. Doch auch die Öffentlichkeit wurde mit eingebunden. Mit Info-Ständen und bei Tagen der offenen Tür wollte man die Münsteranerinnen und Münsteraner von dem guten Zustand des Hauses überzeugen und sie so für eine Solidarisierung mit den Besetzerinnen und Besetzern gewinnen. Dies gelang auch. Der Zuspruch war innerhalb der münsterischen Bevölkerung sehr hoch. Bereits in den ersten Tagen der Besetzung erfolgten Sachspenden von Mobiliar über Lebensmittel bis zu Bierkisten.

Die Stadtverwaltung Münster verlängerte die Abrissgenehmigung dennoch, auch nachdem Stürmer im Februar 1974 zahlungsunfähig geworden war. Das Gebäude wechselte daraufhin mehrmals den Eigentümer, bevor es 1978 von dem Dortmunder Immobilienmakler Günter Arno Ernst erworben wurde. Auch dieser Eigentümer hielt an den Abrissplänen fest. Um das Haus dennoch vor dem Abbruch zu retten, veranstalteten die Besetzerinnen und Besetzer immer gewagtere und kunstvollere Aktionen. Im Winter 1979 wurde die Fassade der Frauenstraße 24 mit schwarzer Silofolie verhüllt, um den Passantinnen und Passanten zu verdeutlichen, welch schwarzer Fleck entstünde, sollte das Haus tatsächlich abgerissen werden. Im Jahr darauf nahmen sie unangemeldet am Rosenmontagsumzug der Stadt mit selbstgebastelten, karnevalistischen Inszenierungen teil, um die Politik des von der CDU dominierten Stadtrates zu verballhornen.

Blick in die aktuelle Sonderausstellung „F24. Geschichte der Frauenstraße 24“ im Stadtmuseum Münster, Foto: Stadtmuseum Münster.

Der andauernde Kampf sollte sich schließlich auszahlen. Nach acht Jahren Besetzung wurde das Haus in der Frauenstraße im März 1981 schließlich von der Entwicklungsgesellschaft LEG gekauft, die damals noch landeseigen war.

Die Geschichte der Frauenstraße 24 zeigt, dass Widerstand Bestandteil einer gelebten Demokratie sein kann und dass eine demokratische Kultur von dem unmittelbaren Engagement und der aktiven Beteiligung ihrer Bürgerinnen und Bürger abhängig ist.

Noch bis zum 4. Februar 2024 kann im Stadtmuseum Münster die Ausstellung „F24 – Geschichte der Frauenstraße 24“ erlebt werden. Anschaulich werden hier die Hintergründe ebenso wie die Auseinandersetzungen mit den Maklern und der kommunalen Politik präsentiert. Die Ausstellung gibt aber auch Einblicke in die Lebenswelten der Hausbewohnerinnen und Hausbewohner. Mit Inszenierungen, Interviews von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sowie Fotos und Dokumenten zeichnet sie den langen Weg vom Beginn der Besetzung bis zur Rettung des Gebäudes im Jahr 1981 nach.

Der Eintritt ist kostenlos.

 

Literaturhinweis: Frauenstraße 24. Geschichte einer Besetzung, hrsg. von Rita Weißenberg, Bernd Uppena und Dr. Joachim Hetscher, Münster 2023.