Schwerpunkt Fotografie: Postkartengrüße aus der Fotogeschichte: Die Kombinatorische Fotografie

10.12.2024 Niklas Regenbrecht

Kunstpostkarte „Alfons Eggert, Kombinatorische Fotografie Nr. 280“. Foto: Stephan Sagurna, LWL-Medienzentrum für Westfalen.

Stephan Sagurna

Eine Kunstpostkarte als Teil eines fotografierten Schreibtischszenarios - die Karte zeigt kreisrund angeordnete Punkte, rot-orange, teils grau, auf schwarzem Grund. Warmtonig, orbikular und in der Ästhetik der 1970er Jahre vermittelt das zentrale Postkartenmotiv eine in sich geschlossene, harmonische Farbkomposition auf Grundlage einfachster Gestaltungsmittel – Punkt und Kreis.

Die bunte (gelaufene) Karte stammt aus dem Museumsshop der Städtischen Galerie Iserlohn. Ihr Bildmotiv zeigt eine sogenannte Kombinatorische Fotografie, genauer gesagt, eine Reproduktion der Kombinatorischen Fotografie Nr. 280 von Alfons Eggert (1928 – 2021). Begleitend zur Ausstellung „Alfons Eggert. Kombinatorische Fotografie – 1972. Apparative Kunst, Algorithmen und Abstraktion“, die im Herbst 2019 (13. September bis 03. November 2019) in der Städtischen Galerie Iserlohn präsentiert wurde, gelangte dieses und zwei weitere Postkartenmotive in den Verkauf.

Empfängerin der ‚Kombinatorischen Postkarte‘ ist die Kommission Alltagskulturforschung für Westfalen. Anlass der Korrespondenz: eben dieser Blog-Beitrag über die Kombinatorische Fotografie, den ich mit dieser Karte bereits im vergangenen Sommer angekündigt habe. Die Postkarte sollte dabei nicht nur der Blog-Redaktion gegenüber das heutige Thema kommunizieren, sondern auch als ‚Aufmachermotiv‘ einen visuellen Einstieg in ein fotohistorisches Thema bieten.

Der Erfinder

Alfons Eggert, der als Landwirt nie eine Kunstakademie besucht hat, übernahm seine Leidenschaft für die Fotografie von seinem Vater, der bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts aktiv fotografiert hat. Ab den 1950er Jahren begann der technikaffine Eggert junior mit unterschiedlichen Kameramodellen selbst zu fotografieren. Es folgten fototechnische und ästhetische Experimente, mit denen er während der 1960er Jahre die Möglichkeiten des Mediums auslotete und die ihn schließlich zum Konzept der Kombinatorischen Fotografie führten. Im Jahr 1972 erfolgte die Patentanmeldung „einer Vorrichtung zur Herstellung von kombinatorischen fotografischen Bildern“. Erfüllt von der Suche nach einer Kombination von technischer und gestalterischer Kreativität gelang Alfons Eggert damit außerdem der Spagat zwischen Verantwortung und Pflichten auf dem landwirtschaftlichen Hof im Münsterland und der Begeisterung für die Fotografie.

Seine Schwester Hedwig kommentierte diesen Umstand damals wie folgt: „Du hiärs biätter maol de Spinnekobben in’n Stall wegmaakt [Du hättest besser mal die Spinnenweben im Stall weggemacht]“.

Für seine fotografisch-ästhetischen Experimente wurde Eggert 1978 schließlich in die Deutsche Gesellschaft für Photographie (DGPh) berufen.

Alfons Eggert und die Wiederentdeckung der Kombinatorischen Fotografie – hier flankiert von seinem patentierten Apparat (li.) und der Kombinatorischen Komposition Nr. 261 (re.). Das Porträt entstand anlässlich des 91. Geburtstags von Alfons Eggert in der Werkschau „Kombinatorische Fotografie – 1972. Apparative Kunst, Algorithmen und Abstraktion“ in der Städtischen Galerie Iserlohn, 2019. Foto: Stephan Sagurna.

Erfindung und Werk

Eine Kombinatorische Fotografie besteht aus 360 Bildpunkten, die in zehn Spuren zu jeweils 36 Punkten in kreisrunder Anordnung und in konzentrisch kleiner werdender Größe angeordnet sind. Die jeweilige Farbkomposition jeder einzelnen Kombinatorischen Fotografie erstreckt sich über die Gesamtheit der 360 Bildpunkte.

Das fotografische Original einer Kombinatorischen Fotografie ist jeweils ein Kleinbild-Dia, 24 x 36 mm. Über den Kombinatorischen Apparat wird das Dia, strikt den Berechnungen eines jeweiligen Programmblatts folgend, in mehreren hundert Arbeitsschritten belichtet. So waren für die Kombinatorische Fotografie Nr. 190 beispielsweise 432 Teilbelichtungen zu radialer und zyklischer Lage eines jeden Kreissegments, Filter- und Helligkeitsangaben, entsprechende Belichtungsintensität, Symmetrie, Dynamik, Rhythmus und Veränderung von Farben und Helligkeiten erforderlich. Die Produktionszeit für alle Arbeitsschritte am Kombinatorischen Apparat konnte dabei bis zu zwei Stunden pro Dia betragen.

Belichtet wurde mit einer handelsüblichen Kleinbildkamera an einem Reprostativ. Dem Fotoapparat waren ein zusätzlicher externer Verschluss sowie eine motorisch getriebene Farbfilterscheibe vorgelagert. An der Basis des Stativs befand sich eine Beleuchtungseinheit für diverse Schablonen, Segment- und Profilscheiben (z.B. mit den kreisrunden Ausschnitten unterschiedlicher Größe).

Die charakteristischen Merkmale der Kombinatorischen Fotografie sind „gegenstandslos, apparativ und auf mathematischen Berechnungen fußend“ (Eggert/Sagurna 2018, Klappentext). Fotogeschichtlich wird sie als der Generativen Fotografie (begründet durch Gottfried Jäger) zugehörig verortet.

In Eggerts kombinatorischen Kompositionen spiegelt sich sehr deutlich auch die gesellschaftliche Dynamik der frühen 1970er Jahre: Ein spielerisch, kreativer Zugang zur Fotografie gepaart mit der Faszination für Mathematik und Naturwissenschaften, die in den 1970er Jahren forciert beispielsweise durch die US-amerikanischen Raumfahrtprogramme viele Menschen in ihren Bann zog. In der ihm eigenen Mixtur erschuf Eggert mit der Kombinatorischen Fotografie ein formales und trotzdem sehr individuelles fotografisches Werk.

Gerade dem spielerischen Aspekt fällt dabei eine besondere Bedeutung zu. Das von Eggert entwickelte und millionenfach verkaufte Malspielzeug für Kinder, im Handel unter dem Produktnamen Graficus verkauft, bildete nicht nur die Vorstufe zur Kombinatorischen Fotografie, sondern sicherte ihm auch die finanzielle Souveränität, sich als Landwirt parallel auch fotoästhetischen Konzepten widmen zu können.

Das Original einer Kombinatorischen Fotografie ist jeweils ein Kleinbild-Dia, Ektachrome, 24 x 36 mm. Situation am Leuchttisch: Dia-Journale mit Kombinatorischen Fotografien aus dem Fundus Alfons Eggert, 2015. Foto: Stephan Sagurna.
Reproduktion der Kombinatorischen Fotografie Nr. 190, Vintage C-Print auf Agfachrome Papier (1976), 30 x 45 cm, im Passepartout, mit Referenzkarten, 2016. Foto: Stephan Sagurna.

Nach der Präsentation auf der Photokina 1972 entwickelte Eggert bald ein weiteres fotografisches Verfahren, die Rastografie, wandte sich während der 1980er Jahre aber wieder der angewandten und gegenständlichen Fotografie zu. Die Kombinatorische Fotografie geriet dabei langsam in Vergessenheit. Abgesehen von einigen wenigen regionalen Ausstellungen schwand die Aufmerksamkeit für Eggerts Kombinatorische Arbeiten, und sein Werk wurde zu einem Teil des „blinden Flecks der Fotogeschichte“.

Ab 2016, in einer Phase der Rückbesinnung auf die jüngere Fotogeschichte der 1970er Jahre, und durch Initiative des Autors, ergaben sich für Alfons Eggert und seine Kombinatorische Fotografie nationale und internationale Ausstellungserfolge, begleitet durch Publikationen und ein neu aufgelegtes Mappenwerk.

Der Nachlass

Im Jahr 2022 wurden die originalen Ektachrome-Dias zu Eggerts Werk als fotografisches Nachlass-Depositum dem Bildarchiv des LWL-Medienzentrums übergeben. Dort werden sie unter klimatisch und konservatorisch optimalen Bedingungen als Teil des regionalen fotografischen Erbes aufbewahrt. Eine Auswahl von gut 300 Motiven ist über das Online Archiv-Portal des Medienzentrums unter www.bildarchiv-westfalen.lwl.org unter dem Stichwort „Sammlung Eggert sen.“ einseh- und recherchierbar.

 

Literatur:

Stephan Sagurna: „Die Kombinatorische Fotografie des Alfons Eggert. Ein Werkkomplex der Generativen Fotografie der 1970er Jahre“, in: Rundbrief Fotografie. Analoge und digitale Bildmedien in Archiven und Sammlungen, Vol. 22 (2015), Nr. 4 [N.F. 88] (Stuttgart, Verlag Dr. Wolfgang Seidel), S. 41 - 47.

Alfons Eggert/Stephan Sagurna (Hg.): Kleine westfälische Fotografiegeschichte, Münster 2017.

Alfons Eggert/Stephan Sagurna (Hg.): Kombinatorische Fotografie – 1972. Apparative Kunst, Algorithmen und Abstraktion, Münster 2018.