Zuständig für alle „Affairen“: Die Mindener Kriegs- und Domänenkammer und die Grafschaft Tecklenburg

07.02.2025 Niklas Regenbrecht

Auf dieser Territorialkarte aus dem Jahr 1797 ist der gesamte frühere Geltungsbereich der Mindener Kriegs- und Domänenkammer zu sehen: nämlich die preußischen Territorien Lingen und Tecklenburg sowie Ravensberg und Minden, Foto: LAV NRW W, W 051/Karten A (Allgemein), Nr. 11726.

Sebastian Schröder

In unserer Serie zur Mindener Kriegs- und Domänenkammer standen bislang Aspekte aus den beiden preußischen Territorien Minden und Ravensberg im Fokus des Interesses. Dabei geriet ein wenig aus dem Blick, dass die Kammerverwaltung daneben auch für die beiden preußischen Grafschaften Lingen und Tecklenburg zuständig gewesen ist. Mit einigen Beiträgen, die das preußische Tecklenburg thematisieren, soll diese Leerstelle nun wenigstens ein wenig gefüllt werden. Dabei gilt es zunächst, grob zu skizzieren, wie Tecklenburg überhaupt zu Preußen kam.

Das Jahr 1707 gilt als Wendepunkt der tecklenburgischen Geschichte. Denn damals erwarben die preußischen Könige Ansprüche an der Grafschaft Tecklenburg. Obwohl sie erst gut zwei Jahrzehnte später rechtskräftig das Territorium an sich nahmen, entsandten sie umgehend ihre Beamten nach Tecklenburg, um ihren neuerlangten Besitz zu verwalten. Zunächst änderte sich an den hergebrachten administrativen Strukturen allerdings nur wenig. Erst 1723 kam es zu einem bahnbrechenden Wandel: Der preußische Monarch Friedrich Wilhelm I. (1688–1740) ließ die Verwaltung seines gesamten Herrschaftsgebiets reformieren – somit geriet auch die Grafschaft Tecklenburg in den Sog geradezu revolutionärer Neuerungen. Man könnte sogar von einer „Palastrevolution der etwas anderen Art“ sprechen. Denn der Preußenkönig weihte seine Lokalverwaltungen in seine Vorhaben nicht ein. Nur durch ein Dekret erfuhren die örtlichen Beamten vom königlichen Befehl. An die Stelle einer Vielzahl bis dato bestehender Landesbehörden traten sogenannte Kriegs- und Domänenkammern. Sie sollten zuständig sein für alle „Affairen“, wie Friedrich Wilhelm I. selbst angeordnet hatte.

Die Tecklenburger waren nur mäßig begeistert von diesen Reformplänen. Schon wenige Jahre zuvor hatten sie die verwaltungsmäßige Zusammenlegung mit der Grafschaft Lingen unter einer Regierung verkraften müssen, die in der Stadt Lingen ansässig war. Und nun also verlagerten die preußischen Machthaber mit der Schaffung einer Kriegs- und Domänenkammer das Verwaltungszentrum ins noch weiter entfernte Minden an der Weser. Vor Ort in Tecklenburg residierte lediglich ein einziger Beamter, der als Schnittstelle zwischen den landesherrlichen Beamten und der tecklenburgischen Bevölkerung fungierte. Zudem reisten regelmäßig einige Räte in die Grafschaft, um sich selbst ein Bild von der dortigen Lage zu verschaffen.

Zieht man in der Rückschau Bilanz zur Bedeutung der Kriegs- und Domänenkammer für die Grafschaft Tecklenburg, so lässt sich sagen: Zweifelsohne führte die Gründung der Kriegs- und Domänenkammer in Minden im Jahr 1723 mit ihrer Zuständigkeit für die preußischen Territorien Minden, Ravensberg, Tecklenburg und Lingen zu einer gewissen Straffung der Verwaltungshierarchie. Trotzdem behielten daneben noch weitere Instanzen Mitsprache und Einfluss. Neben der tecklenburg-lingenschen Regierung sind etwa der Adel, die Generalpächter, Rentmeister, Amtmänner und Vögte sowie Landräte zu nennen. Minden scheint als Hauptsitz der Verwaltung zu weit weg gewesen zu sein, um ständig in alle Belange hätte eingreifen zu können. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass ein Mitglied der Kammer ständig in Tecklenburg residierte und Räte die Grafschaft regelmäßig bereisten.

Die angedeuteten Schwierigkeiten mögen Anlass dazu gewesen zu sein, dass der preußische König 1769 eine der Mindener Provinzialadministration unterstellte Kriegs- und Kammerdeputation in Lingen für die Grafschaften Lingen und Tecklenburg ins Leben rief. Diese bestand bis 1793/94, ehe es in der Folge mehrfach zu neuerlichen Änderungen des Verwaltungsapparats kam. Zu diesem Themengebiet fehlen allerdings bislang weiterreichende Forschungen.

Heutzutage erweisen sich die Unterlagen der Kriegs- und Domänenkammer als unschätzbare historische Quellen für die Erforschung des 18. Jahrhunderts. Man könnte fast annehmen, dass den preußischen Beamten quasi nichts entging, einen derart präzisen Eindruck vermitteln die Akten vom Leben und Alltag in der Grafschaft Tecklenburg. Exemplarisch sollen in dieser Blog-Serie einige das Territorium Tecklenburg betreffende Tätigkeitsfelder der Kammerverwaltung näher vorgestellt und die Frage beantwortet werden, welche Rückschlüsse sich daraus ziehen lassen. Vollständigkeit kann dabei angesichts der schier überwältigenden Masse des Materials nicht gewährleistet werden. Deswegen sollen die Ausführungen vor allem das Potenzial des Bestandes andeuten und zu weiteren Recherchen anregen. Dabei liegen die Tecklenburg betreffenden Unterlagen der Kriegs- und Domänenkammer Minden bereits in digitalisierter Form vor und können über das Portal archive.nrw.de abgerufen werden: https://www.archive.nrw.de/archivsuche?link=FINDBUCH-Fb_e933946e-b723-438b-a74f-8ce485883192.

 

Die bisherigen Teile der Serie zur Kriegs- und Domänenkammer Minden:

Ein Dickicht voller Alltagskultur: Die preußischen Kriegs- und Domänenkammern in Westfalen im 18. Jahrhundert

Die Preußen wollen umsatteln: Zugochsen statt Pferde lautete die Devise

Erfindergeist in Minden und Ravensberg

Die Preußische Kriegs- und Domänenkammer und der Kampf gegen Viehseuchen

Bergbau in Bierde? Die Mindener Kriegs- und Domänenkammer und die Steinkohle

Die Glocken schweigen. Oder: „Gewitterableiter“ in preußischen Kammerakten

„Diebereyen“, „Zügellosigkeiten“ und „schwache Nerven“: Kriegs- und Domänenräte auf Reisen

Die Ärmel hochkrempeln: Die Kriegs- und Domänenkammer in Minden und die Impfung gegen die Pocken

Schädlich oder unentbehrlich? Die Mindener Kriegs- und Domänenkammer und die Debatte um das Laubsammeln in westfälischen Wäldern

Die Sorgen der Müller. Zur Geschichte der Hollweder Mühle im 18. Jahrhundert

Vormoderne Verkehrssünder: Reiter, Fuhrleute und Schlittenfahrer auf Mindener Straßen am Ende des 18. Jahrhunderts

„Eine wahre Gesundheits-Quelle“. Die Entdeckung schwefelhaltigen Wassers in Fiestel

Kein Herz und eine Seele: Grenzkonflikte zwischen Preußen und Osnabrück

Neue Heimat Ravensberg: Siedler in den Marken

Von Abbrüchen und Anschwemmungen: Wie die Weser die Landschaft im Mindener Land verändert hat

Den Strom bändigen: Die Kriegs- und Domänenkammer und die Weser

Wenn das Pferd beim Nachbarn weidet – Grenzkonflikte zwischen Dahlinghausen und Harlinghausen

Nach der Feier kommt der Frust: Ein Müller und die Landesbehörde

Das ravensbergische „Ziegenproblem“

Krumme Schnäbel und spitze Klauen: Die Bekämpfung von „Raubtieren“ in der Grafschaft Ravensberg

Wie Paulus gegen die Korinther: Jäger, Jagdexzesse und Wilddiebe in der Grafschaft Ravensberg

Ein Land, wo trockenes Heidekraut wächst und in dem sich kein Vogel ernähren kann: Sandverwehungen in der Grafschaft Ravensberg

Beengte Moore. Zur Verknappung und Umnutzung von Gemeinheitsgrundstücken bei Borgholzhausen