Die Rittergüter des Fürstentums Minden. Neue Edition zur Geschichte der Adelssitze im ehemaligen Fürstentum Minden

02.02.2021 Dorothee Jahnke

Ernst Albrecht Friedrich Culemann, Die Rittergüter des Fürstentums Minden, herausgegeben von Sebastian Schröder.

Christof Spannhoff

 

Selbst in unserer vermeintlich digitalen Welt, in der man alles Wissen mittels Knopfdruck im Internet zu erreichen glaubt, gibt es sie noch: historische Quellen, die bisher kaum beachtet worden sind! Eine davon ist nun durch eine Edition, die vom Historiker Sebastian Schröder vorgenommen worden ist, diesem wissenschaftlichen Dornröschenschlaf entrissen worden.

Es handelt sich um „Die Rittersitze des Fürstentums Minden“ – ein Manuskript, das der Mindener Kriegs- und Domänenrat Ernst Albrecht Friedrich Culemann (1711–1756) ab 1748 im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit zusammenstellte.

Der preußische Verwaltungsbeamte war mit der Reform des Steuerwesens der Region betraut. Deswegen interessierte er sich für die steuerfreien Rittergüter, Adelssitze und weiteren adeligen Höfe. Die von ihm ermittelten Informationen trug er sukzessive und in ein strukturiertes Buch ein. Entstanden ist dabei im Lauf der Zeit ein Werk, dessen Inhalt heute für die Geschichte der adeligen Besitzungen und das Leben des landsässigen Adels im Mindener Land von unschätzbarem Wert ist.

So erfährt man beispielsweise vom mindischen Spenthof nicht nur etwas über dessen Besitzverhältnisse, sondern auch, dass das Gebäude im Zuge des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) abgebrochen und in die Stadt verlegt wurde. Der Grund war seine Lage vor den Mauern. Das Anwesen hätte also im Belagerungsfall den Angreifern als Stützpunkt dienen und ihnen so einen strategischen Vorteil verschaffen können. Die Stadt Minden kaufte daher ein Grundstück im Inneren, das zuvor Ernst Garsse als Lehen der Äbtissin des örtlichen Marienstifts besaß, und räumte dieses der alten Besitzerfamilie des Spenthofs – von Spiegel – wieder ein. Interessant ist, dass trotz der topographischen Verlagerung der Name Spenthof unverändert beibehalten wurde. Bis auf die Verlagerung in die Stadt erfährt man von diesem Vorgang aber z.B. nichts bei Karl Adolf Freiherr von der Horst „Die Rittersitze der Grafschaft Ravensberg und des Fürstentums Minden“ (Berlin 1894) – der immer noch maßgeblichen Grundlage zur Erforschung der adeligen Lebenswelten in Minden-Ravensberg.

Da die Aufzeichnungen Culemanns nie veröffentlicht wurden, kann man hier noch zahlreiche wichtige Angaben entdecken, die bisher unbekannt geblieben sind. Die Handschrift befindet sich heute in der Manuskripten-Sammlung der Abteilung Westfalen des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen in Münster. Zwar ist dieser Bestand bereits weitestgehend digitalisiert und frei im Internet zugänglich, doch stellt zum einen das Schriftbild, zum anderen die mangelnde Erschließung der Quelle ein Hindernis der Benutzung dar.

Durch die von Sebastian Schröder vorgelegte Edition wird diesem Mangel abgeholfen: Ein zuverlässiges Orts- und Personenregister machen einen schnellen Zugriff möglich. Doch der Herausgeber belässt es nicht nur bei einer inhaltlichen Beschreibung und Analyse sowie beim kritischen Abdruck des Textes, bei dem er auch Nachträge und Streichungen deutlich kennzeichnet, sodass Genese des Werks und Arbeitsweise Culemanns erkennbar werden. Er ordnet zudem die geschichtlichen Nachrichten des Kriegs- und Domänenrates auch in ihren historischen Kontext ein. So bietet Schröder nach einer straffen Einleitung aktuelle „Perspektiven einer Geschichtsschreibung des Adels im Minden-Ravensberger Land“, in denen er die zukünftigen Aufgaben einer Geschichtsschreibung des Adels der Region umreißt. Diese bestehen vor allem in der Überprüfung der bisherigen Grundlagen, der diachron-epochenübergreifenden Analyse zum Erkennen von Wandlungsprozessen und einer Ausweitung der thematischen Betrachtung adeliger Wirkungsfelder, dem Vergleich mit anderen Landschaften, die Verbindung von Stadt und Land im adeligen Kontext und der genauen Untersuchung adeliger Herrschaftsformen. An dieses Programm für weitergehende Forschungen schließt sich eine detaillierte Lebensbeschreibung des Autors Culemann an. Darüber hinaus gibt Schröder einen kenntnisreichen Einblick in die Verwaltung des seit 1650 kurbrandenburgischen und später preußischen Fürstentums Minden, vor dessen Hintergrund er auch die Tätigkeit des Kriegs- und Domänenrates beleuchtet. Man erfährt also bereits – bevor man überhaupt in den historischen Text einsteigt – vieles über die aktuelle Adelsgeschichtsforschung und über das alltägliche Verwaltungshandeln der Mitte des 18. Jahrhunderts.

Neben wichtigen Informationen zu den einzelnen Adelssitzen der Region, den Besitzverhältnissen, Erbangelegenheiten oder Konflikten, geben Culemanns Nachrichten – das zeigt Schröders Auswertung sehr deutlich – Auskunft über die Praktiken des Sammelns und Aufschreibens von Informationen durch einen „schreibenden preußischen Beamten“ und damit auch eine Antwort auf die Frage, wie sich Landesherrschaft in einem kleinen, peripher von der Zentralverwaltung gelegenen Territorium gestaltete.

 

Bibliographische Angaben

Ernst Albrecht Friedrich Culemann, Die Rittergüter des Fürstentums Minden. Nachrichten von denen saembtlichen Ritter- und Adelichen Gütern, auch freyen Hoefen und Häußern in Städten und auf dem platten Lande des Fürstenthums Minden […] 1748, hrsg. v. Sebastian Schröder (Quellen zur Regionalgeschichte, Bd. 18), Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte, 2020, ISBN 978-3-7395-1248-8