„Diebische Post“: Die Hochzeitszeitung für Else Rosenheim und Gustav Maybaum aus dem Jahre 1910 (Teil 2)

24.05.2024 Marcel Brüntrup

Teil 1 hier

Jürgen Scheffler

Die „Diebische Post zur Vermählungsfeier von Fräulein Else Rosenheim u. Herrn Gustav Maybaum“ mit dem Erscheinungsdatum vom 18. September 1910 lehnt sich optisch und inhaltlich an das Vorbild der „Lippischen Post“ an. Als „Organ der liberalen Volks- und Fortschrittspartei in Lippe“ erschien die „Lippische Post“ von 1877 bis 1939, seit den 1890er Jahren als Lemgoer Tageszeitung mit vier bis sechs Seiten. Sie wurde gedruckt und verlegt von der traditionsreichen Druckerei F. L. Wagener. Jede Ausgabe umfasste Berichte zur lippischen und überregionalen Politik, Artikel aus und über Lemgo, ein Feuilleton sowie Vermischtes und zahlreiche Anzeigen.

Der "Inseratenteil" der Hochzeitszeitung folgt dem Vorbild der "Lippischen Post".

Die „Diebische Post“ wurde ebenfalls im Verlag F. L. Wagener in Lemgo gedruckt. Die Redaktion der Hochzeitszeitung - verantwortlich: „Erika“, wie es in einem kurzen Impressum auf der letzten Seite heißt - orientierte sich am Aufbau ihres Vorbildes. Es gibt Gedichte, Berichte und einen 1 ½-Seiten umfassenden Inseratteil. Im Zentrum aller Beiträge stehen das Brautpaar, die 1891 geborene Else Rosenheim und der 20 Jahre ältere Gustav Maybaum. Mit ironischem Unterton geht es um die Alltagskultur ebenso wie um die Hochzeit. So heißt es in einem Inserat über Emma Rosenheim, die Mutter der Braut: „Wegen Verheiratung meiner Tochter ein schief gesessenes Sofa preiswert zu verkaufen. Mutter Rosenheim.“ Ein anderes Inserat nimmt auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der Rosenheims Bezug, deren Zigarrenfabrik in Lemgo durch die Witwe Emma Rosenheim weitergeführt wurde: „Die Aussteuer und Mitgift meiner Töchter erfordern viel Geld, sagte Frau Rosenheim, da schlug sie auf ihre Zigarren 33 1/3 % auf.“

Wie in Hochzeitszeitungen üblich wird das Geschlechterverhältnis in den Inseraten durchaus spöttisch betrachtet, wobei die tradierten Rollen von Mann und Frau grundsätzlich nicht in Frage gestellt werden. „Ein altes Auto, das vom Fahrer selbst dirigiert werden muss, habe zu verkaufen, weil ich in allem die Führung abgebe. G. M.“ „Frage: Warum wünscht sich Frau Maybaum ihren Mann nicht größer? Damit er stets zu ihr aufsehen muß.“ Und schließlich findet sich in einem Inserat das ironisch verpackte Eingeständnis des Bräutigams, dass er seine „Würden und Ehrenämter“ in Barntrup niederlegen muss, weil seine Frau „in der nächsten Zeit über meine Zeit, meinen Willen und mich unumschränkt verfügen wird.“ Um was es dabei geht, wird im Schlußsatz deutlich: „Reflektanten auf die Ämter der Literatur- und Bildungsvereinsdiskussionsredner sowie auf das Stadtverordnetenmandat in Barntrup wollen sich melden bei Gustav Ehekrüppel, beinahiges Magistratsmitglied.“

Drei Rubriken auf der zweiten Seite sind der Berichterstattung der „Lippischen Post“ nachempfunden. Bei den „Polizeiberichten“ geht es um die bevorstehende Hochzeit. „Lemgo, 18. Sept. 1910. Nach soeben eingelaufenen Telegrammen stürzten sich heute zwei Personen, denen man bisher nichts übles nachsagen konnte, in scheinbar sehr aufgeregtem Zustande Hals über Kopf in die Ehe. Man vermutet, daß dieser Sturz nicht ohne Folgen bleiben werde.“ Unter der Überschrift „Gerichtsverhandlung“ wird über eine Anklage gegen Gustav Maybaum vor dem „Standesamtsgericht“ wegen „Diebstahls“ berichtet. Er habe Else Rosenheim „unter erschwerenden Umständen das Herz“ gestohlen. Da während der Verhandlung der Angeklagte mit Hilfe von Zeugen nachweisen konnte „daß er diesen Diebstahl im vollen Einverständnis mit der Klägerin begangen“, wurde er freigesprochen. „Da Fluchtverdacht vorlag, wurde dieselbe sofort festgenommen und muß nun ihre Strafe in Hannover absitzen.“ Wie sich nun unschwer denken lässt, war die Stadt Hannover der künftige Wohnort von Gustav und Else Maybaum.

In der dritten Rubrik erfahren die Leser und Leserinnen etwas über die Biografien von Braut und Bräutigam. Für Gustav Maybaum fällt dies sehr knapp aus: „Ein Lebenslauf ist der Überblick auf die Vergangenheit. Einen solchen für den Bräutigam zu schaffen, war nicht möglich, denn Herr Maybaum hat keine Vergangenheit. Er lebt in dem, was die Zukunft ihm bringt.“ Demgegenüber erfährt man aus dem „Lebenslauf der Braut“ trotz seiner Kürze einige Details. Berichtet wird über die Kindheit und Jugend in der nordlippischen Gemeinde Lüdenhausen und in der Stadt Lemgo, wo sie die jüdische Schule besuchte, die dort von 1869 bis 1907 bestand. Erwähnt wird der jüdische Lehrer Siegmund Goldmann. An ihn habe sie „besonders heikle Fragen, die sie zuhause nicht beantwortet erhielt“, gerichtet. Im Anschluss besuchte Else die höhere Töchterschule in Lemgo. „Im Mogeln besaß sie seltenes Raffinement; dabei hatte sie ein weiches Herz für die Leiden anderer. Sie ließ nämlich die Kameradinnen gern abschreiben, was ihr den ersten und einzigen Tadel eintrug.“

Die Hochzeitszeitung ermöglicht einen Blick auf die Lebenswelt von zwei jüdischen Familien in den lippischen Städten Lemgo und Barntrup. In den Texten kommt die Orientierung an der Alltagswelt, den Themen, der Sprache und den Kommunikationsformen der nicht-jüdischen Stadtgesellschaft deutlich zum Ausdruck. Auch wenn es dem Genre der Hochzeitszeitung folgend in den Texten primär um die heiteren Aspekte des Alltags geht, so wird doch deutlich, wie optimistisch das Brautpaar und die Redaktion der „Diebischen Post“ in die Zukunft blicken. Das Brautpaar sah sich als Teil des städtischen Bürgertums. Mit der Anlehnung an die „Lippische Post“ brachten sie ihre Nähe zum liberalen politischen Milieu zum Ausdruck, für den die Zeitung und ihr Verlag standen. Bezüge zu Traditionen des Landjudentums aus der Voremanzipationszeit finden sich in der Hochzeitszeitung nicht.

Dass sich der Optimismus des Brautpaares als trügerisch erweisen würde, zeigt das Schicksal von Else Maybaum in den Jahren der NS-Herrschaft.

Fortsetzung folgt.