Else und Gustav Maybaum: Zwei jüdische Lebensläufe im 20. Jahrhundert („Diebische Post“, Teil 3)

04.06.2024 Niklas Regenbrecht

Union of South Africa: Ablehnung des Antrags auf Einwanderung, 07.12.1939 (Familienarchiv Hochfeld, Privatbesitz), Repro: Martin Emrich, Büro für Design, Lemgo.

Teil 1 hier: „Diebische Post“: Die Hochzeitszeitung für Else Rosenheim und Gustav Maybaum aus dem Jahre 1910

Teil 2 hier: „Diebische Post“: Die Hochzeitszeitung für Else Rosenheim und Gustav Maybaum aus dem Jahre 1910 (Teil 2)

Jürgen Scheffler

Eine Quelle wie die im Blog vorgestellte Hochzeitszeitung ist auch und vor allem ein Dokument eines sozialen Netzwerks. Freunde/Freundinnen, Bekannte und Familiengehörige von Else und Gustav Maybaum haben zur „Diebischen Post“ beigetragen und damit ein Zeugnis dieses Netzwerks hinterlassen. Im Zentrum standen die beiden jüdischen Herkunftsfamilien des Brautpaares. Die regional oft weit verzweigten familiären Verflechtungen der jüdischen Familien dienten der Weitergabe von Traditionen, Mentalitäten und Werthaltungen. Was wissen wir über die Biografien von Else und Gustav Maybaum und ihren Familien? Da die Quellenüberlieferung fragmentarisch ist, bleiben viele Fragen unbeantwortet.

Else Rosenheim wurde 1891 in der kleinen lippischen Gemeinde Lüdenhausen geboren, als Tochter von Willy und Emma Rosenheim. Willy Rosenheim, geboren 1865, stammte ebenfalls aus Lüdenhausen, seine Frau Emma, geb. Gift, dagegen aus New York. Ihre Eltern waren Anfang der 1860er Jahren aus Deutschland ausgewandert. Mit ihren beiden in New York geborenen Töchtern kamen sie in den 1870er Jahren nach München zurück. Willy Rosenheim und Emma Gift heirateten 1890. Nach der Heirat zog Emma Rosenheim von München nach Lüdenhausen, wo Willy Rosenheim ein Manufakturwarengeschäft eröffnet hatte. Um 1900 zog die Familie mit ihren beiden Töchtern Else und Hannah nach Lemgo. Nach ihrem Wegzug gab es keine Juden mehr in der kleinen nordlippischen Gemeinde.

In Lemgo übernahm Willy Rosenheim eine Zigarrenfabrik mit 80-100 Arbeitern. Nach seinem Tod im Jahre 1904 wurde sie von seiner Frau Emma weitergeführt. Das Grab von Willy Rosenheim befindet sich auf dem jüdischen Friedhof in Lemgo.

Else Rosenheim besuchte in Lemgo die Höhere Töchterschule. Wie viele andere Mädchen aus bürgerlichen Familien seinerzeit, ging sie im Anschluss auf ein Pensionat in Bad Kreuznach, um ihre Bildung zu vervollkommnen. Auf einem Ball in Detmold lernte sie Gustav Maybaum aus Barntrup kennen. Im Jahre 1910 fand in Lemgo die Hochzeit der 19jährigen Else mit dem 20 Jahre älteren Gustav statt.

Gustav Maybaum stammte aus einer Kaufmannsfamilie, die seit mehreren Generationen in Barntrup ansässig war. Die Familie war im Laufe des 19. Jahrhunderts zu Wohlstand gekommen. Das Grab seines Vaters mit einem aufwendig gestalteten Grabstein befindet sich auf dem jüdischen Friedhof in Barntrup.

Gustav und Else Maybaum zogen kurz nach ihrer Hochzeit nach Hannover. Dort kamen die beiden Töchter Sigrid und Edith zur Welt. Gustav Maybaum starb im Jahre 1928. Er ist auf dem Friedhof Hannover-Bothfeld begraben.

Zur Großmutter in Lemgo gab es enge Verbindungen. Dort lernte Sigrid in den frühen 1930er Jahren Ernst Hochfeld kennen. Er stammte aus einer Lemgoer Kaufmannsfamilie, die seit mehreren Generationen in der Stadt ansässig war. Sein Vater Siegmund hatte den Pferdehandel der Familie weitergeführt. Er starb im Jahre 1924. Paula Hochfeld und ihre Kinder Heinz, Ernst und Lotte lebten in einem großen Haus im Zentrum der Stadt Lemgo.

Liste für die Deportation von Düsseldorf ins Ghetto Minsk (Auszug), 10. November 1941 (Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland), Repro: Martin Emrich, Büro für Design, Lemgo.

Mit der NS-Machtergreifung im Januar 1933 begannen die antijüdischen Maßnahmen und Verfolgungen. Ernst Hochfeld entschied sich für die Emigration nach Südafrika. Im Jahre 1936 kam er in Kapstadt an, Sigrid Maybaum folgte ein Jahr später. Kurz nach ihrer Ankunft in Südafrika im September 1937 heirateten die beiden.

Heinz Hochfeld, der Bruder von Ernst, emigrierte in das damalige Palästina, Edith, die Schwester von Sigrid Maybaum, in die USA. Die beiden Mütter Paula Hochfeld und Else Maybaum blieben in Deutschland zurück. Else Maybaum zog in den späten 1930er Jahren von Hannover nach Düsseldorf, in die Nähe ihrer Schwester Hannah. Paula Hochfeld zog von Lemgo nach Rinteln, zur Familie ihrer Tochter Lotte Arensberg. Vergeblich bemühte sich Ernst Hochfeld um die Auswanderung seiner Mutter und der Familie seiner Schwester ins südliche Afrika. Am 28. März 1942 wurden Lotte und Arnold Arensberg, ihre kleine Tochter Liesel-Ruth und Paula Hochfeld von Rinteln über Hannover ins Warschauer Ghetto deportiert und ermordet.

Auch die zeitgleichen Bemühungen von Sigrid Hochfeld um die Auswanderung ihrer Mutter blieben vergeblich. Die Einwanderung nach Südafrika wurde abgelehnt. Vom Güterbahnhof Düsseldorf aus wurde Else Maybaum am 10. November 1941 ins Ghetto Minsk im heutigen Belarus deportiert. Zusammen mit mehr als 990 jüdischen Männern, Frauen und Kindern aus den Städten Düsseldorf, Essen und Wuppertal. Vermutlich wurden alle Deportierten kurz nach der Ankunft ermordet. Als Else Maybaum abtransportiert wurde, war sie 50 Jahre alt.

Am Ende der Ausstellungseröffnung in Lemgo Ostern 2017 wurden einige der Nachfahren der Hochfeld-Familie interviewt. Daraus ist ein kleiner Film entstanden. Susan Lechem aus Sydney und Ann Jenks aus Johannesburg, die beiden Töchter von Sigrid und Ernst Hochfeld, berichten, wie wenig sie von ihrer Mutter über ihre Großmutter Else erfahren haben. Die Trauer darüber, dass ihre Mutter in Deutschland zurückblieb und ermordet wurde, hat Sigrid Hochfeld bis an ihr Lebensende nicht überwinden können. Mit ihren Kindern hat sie darüber erst kurz vor ihrem Tod im Jahre 1989 gesprochen.

Trotz der umfangreichen familiengeschichtlichen Sammlung von Briefen, Dokumenten, Fotos und der Hochzeitungszeitung aus dem Jahre 1910 bleibt eine große Lücke. Aus den letzten Lebensjahren von Else Maybaum sind nur wenige Quellen überliefert– darunter der Eintrag ihres Namens auf der Deportationsliste vom 10. November 1941.