Interessanterweise sind die Planeten auch in der nummerisch richtigen Reihenfolge aufgeführt, denn neben einem Metall werden ihnen auch eine Farbe (Saturn schwarz / Jupiter blau / Mars rot / Sonne gelb / Venus grün / Merkur violett und Mond weiß) und eine Ordnungszahl zugeordnet: Saturn 3 / Jupiter 4 / Mars 5 / Sonne 6 / Venus / Merkur 8 und Mond 9. Diese Zahlen dienten in astrologischen Zahlenquadraten verteilt bei bestimmten Konstellationen wiederum zur Zahlensymbolik. Nicht vorhanden ist das Zeichen für die Erde, die damals nicht als Planet verstanden wurde, oder die zwölf Tierkreiszeichen, die man bei einem rein astrologischen Zusammenhang erwarten würde, der somit für die Kupfertafel nicht vorliegen dürfte.
Leseversuch – Sigillenmagie?
Allerdings verweisen die beiden Symbole auf der Vorderseite unter dem IHS Zeichen (für Jesus Christus) möglicherweise auf bestimmte Planetenkonstellationen. Die vier bzw. fünf Kringel (Kreise) könnten für bestimmte Planeten- oder Sternenkonstellationen stehen, der zentrale „Stern“ wäre dann der darüber angegebene Sohn Gottes (Jesus) im Himmel.
So sind z. B. auf den Planetentafeln mit den Zahlenquadraten des Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim jedem Planeten auch zwei Zeichen oder Charaktere zugeordnet, nämlich das „ihrer Intelligenz“ und das „ihres Dämons“, die wiederum in der Gestaltung sehr ähnlich den beiden Zeichen unter dem IHS-Symbol sind.
Sie erinnern aber ebenfalls stark an die sogenannte Sigillenmagie. Mit Sigillen (von sigillum, lat. Bildchen /Siegel) sind graphische Symbole aus ligierten Buchstaben gemeint, aus denen sich ebenfalls eine Art Geheimschrift entwickelt hat, die allerdings nicht zur Übermittlung geheimer Botschaften dienten sollten, sondern deren Verfertigung bestimmten Personen entweder schaden oder diese schützen sollte.
Leseversuch – Die sieben Planeten und ihre Charaktere
Hinter den sieben Planetensymbolen stehen jeweils ein bis fünf (sechs?) weitere wiederum wohl alchimistische Zeichen, die teils legiert und überlappend dargestellt wurden. Das Zeichen für Jupiter erscheint als erstes Zeichen hinter der Sonne noch einmal, was für eine Planetenkonstellation stehen könnte. Das erste Zeichen hinter jenem für den Saturn könnte, wie das zusammenhängende lange Zeichen hinter dem Mars, für den Vorgang des Röstens (calcinare) stehen. Das wie eine Art stilisierter Phallus aussehende längliche Zeichen hinter dem Zeichen der Venus dürfte tatsächlich für retorta (Retorte), cornuta (Retorte) oder receptaculum (Destillationsglas), also eine gläserne Retorte aus dem Alchimistenlabor stehen.
Demnach wären die Symbole hinter den Planetenzeichen möglicherweise nicht auf bestimmte Elemente (Substanzen) zu beziehen sondern auf Geräte und Tätigkeiten während einer alchimistischen Transmutation. So könnten die 13 Zeichen der zweiten Zeile die „Zutaten“ (Ingredienzien), die sieben Metalle in der richtigen Reihenfolge der Planeten bestimmten Tätigkeiten zugeordnet, eine Art alchemistisches Rezept aufschlüsseln.
Auffällig ist aber, dass die eigentlich wichtigsten drei Substanzen (Schwefel, Merkur und Salz) fehlen (außer dem Zeichen für Merkur), ebenso die extrem wichtigen Zeichen für die vier Elemente (Feuer, Wasser, Luft und Erde), symbolisiert durch verschiedene Dreiecke.
Das „Ding“ und seine Interpretation
Soweit die Beschreibung und der erste Versuch einer Art „Lesung“ der Zeichen, Buchstaben und Symbole auf der kupfernen Tafel aus Vreden. Die Lektüre der vorstehenden Zeilen dürfte mehr Fragen aufgeworfen als Antworten gegeben haben.
Werner Ueffing sprach die Tafel als Pestamulett an. Bei derartigen rein christlichen Amuletten war die "Anrufung" der Heiligen üblich. Pestamulette tragen daher den stark abgekürzten Benedictus- und oder auch den Zacharias-Segen, die Abbildung der Maria, des Benedictus oder eben auch der besonderen Pestheiligen Sebastian und Rochus. Alle diese Elemente fehlen bei der Kupfertafel. Eine „Mischung“ mit Elementen der Alchemie oder der Astronomie oder einer anderen okkulten Geheimwissenschaft (beispielsweise fehlt die jüdisch-hebräische Kabbala auf dem vorliegenden Objekt!) ist aber eher ungewöhnlich. Allerdings sollten Buchstabenkombinationen mit religiöser und magischer Bedeutung die schützende Kraft von Amuletten steigern. Aber dies waren dann christliche „Zutaten“ auf magischen Objekten und nicht alchemistische Elemente auf christlichen Schutzmitteln.
Gib mir einen Namen!
Wie nennt man nun das „Ding aus Vreden“? Es handelt sich um eine „Kupferplatte mit Zeichen und Symbolen aus christlichen, alchemistischen und astrologischen Zusammenhängen“. Die Tafel nun als Amulett, das vor Unheil, meist vor bestimmten Widrigkeiten des Lebens wie Krankheiten (Pest, Cholera), Vergiftungen, oder Verletzung im Krieg schützen sollte, oder als Talisman zu bezeichnen, der Glück im allgemeinen oder in Bezug auf einen besonderen Fall bringen sollte, fällt schwer. Handelt es sich um eine Beschwörungstafel für das Glück oder Unglück einer bestimmten Person oder um das „Notiz- oder Rezeptbuch“ eines Alchemisten? Da Papier bekanntlich sehr vergänglich ist, war der Weg über eine haltbare Metallplatte eine logische Konsequenz für eine dauerhafte „Sicherungskopie“ der wichtigen Daten. Parallelen gibt es möglicherweise, mir – als vollkommenem Laien auf dem Gebiet der historischen Alchemie – bekannt geworden sind sie aber nicht. Ist das „Ding“ daher ein Unikat?
Sollte die Kupfertafel in einem Transmutationsprozess selbst z.B. in Silber oder Gold umgewandelt werden? Sind die Buchstaben- und Zeichenfolgen der Schlüssel zu kryptografisch extrem verschlüsselten geheimen und vermutlich nicht mehr erhaltenen Nachrichten?
All dies wird wohl kaum ohne das damalige Wissen desjenigen, der die Tafel gravierte oder gravieren lies, zu lösen sein. Leider können wir ihn nicht mehr fragen. Daher wird man sich bei dem Namen des „Dings“ aus Vreden erst einmal mit den Beschreibungen des Vorgefundenen behelfen müssen.
Alle zuvor geäußerten Überlegungen sollen als erste Diskussionsgrundlage dienen, denn vermutlich ist jeder einzelne Punkt, mit anderen Augen und mit anderem wissenschaftlichen Hintergrundwissen betrachtet, auch vollständig anders zu interpretieren und zu deuten. Vielleicht kennt jemand nun doch eine Parallele zu der Kupfertafel und kann ihr daher einen plausiblen und eindeutigen Namen geben?
Weiterführende Literatur in die Wunderwelt der Alchemie und benachbarter „Wissenschaften“:
Heinrich Cornelis Agrippe´s von Nettesheim Magische Werke samt den geheimnisvollen Schriften des Petrus von Abano, Pictorius von Villingen, Gerhard von Cremona, Abt Tritheim von Spanheim, dem Buche Arbakel, der sogenannten Heil. Geist-Kunst und verschiedener anderer, 5 Bände, 4. Auflage, Wien o.J. (1921)
G. W. Geßmann, Die Geheimsymbole der Alchemie, Arzneikunde und Astrologie des Mittelalters, 2. Auf. Ulm 1959.
W. Schneider, Lexikon alchemistisch-pharmazeutischer Symbole, Weinheim 1962.
S. Seligmann, Die magischen Heil- und Schutzmittel aus der unbelebten Natur mit besonderer Berücksichtigung der Mittel gegen den Bösen Blick, Stuttgart 1927.
A. von Loehr, Astrologie in der Numismatik, in: Berliner Münzblätter 52. Jg, Nr. 349/350, 1932, 405–411.
A. Bauer, Ueber einige alchemistische Medaillen, in: Wiener Numismatische Zeitschrift XXIX, 1897, 323–328.
L. Hansmann / L. Kriss-Rettenbeck, Amulett und Talisman. Erscheinungsformen und Geschichte, München 1966.
M. Ohm, „Allerhand Sigillen“ und „Eine Müntz von Alchemistischem Gold.“ Medaillen-Amulette aus der Kunstkammer der Württembergischen Herzöge, in: Geldgeschichtliche Nachrichten 48, 2013, Heft 270, 313–324.
P. Schramm, Die Alchemisten. Gelehrte – Goldmacher – Gaukler, Wiesbaden 1984.
G. F. Hartlaub, Der Stein der Weisen. Wesen und Bildwelt der Alchemie, München, 1959.
S. Klossowski de Rola, Alchemie. Die geheime Kunst, Zürich 1973.