Niklas Regenbrecht
Eigentlich sollte es ja mit der „NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude“ (KdF) Richtung Norwegen gehen. Wegen der „Unsicherheit im Zeitgeschehen“ wagte man sich dann allerdings nur bis zum nordhessischen Edersee. Worin diese Unsicherheiten bestanden und worin sie mündeten, war bereits klar, als die dreißigjährige Resi Fischer das Album über ihren elftägigen Sommerurlaub 1939 als Weihnachtsgeschenk für ihren Mann Kurt zusammenstellte: vom „Anschluss“ Österreichs im März 1938, der Besetzung des Sudetenlandes, dem Einmarsch ins Memelland und schließlich dem Beginn des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939.
Bei dem überlieferten, in rotes Kunstleder eingebundenen Album mit dem Titel „Ferien 1939“ handelt es sich um eine selbstgefertigte Ringbindung im Format 18x25cm. Insgesamt 53 Seiten sind in einer druckschriftgleichen Handschrift beschrieben und mit Postkarten und Fotografien beklebt. Zusammen mit einem Reisealbum vom Steinhuder Meer aus dem Jahr 1940 und wenigen Korrespondenzen der ansonsten unbekannt bleibenden Resi Fischer befindet es sich als Nachlasssplitter im Archiv für Alltagskultur in Westfalen.
Statt wie erhofft eine der durchgeplanten Seereisen mit der NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude zu unternehmen, ging es für das Ehepaar Fischer nun auf eigene Faust nach Hessen zum Edersee. Vom Wohnort Hamm reiste man per Bahn an. Mit dem „Pengel Anton“ ging es über Werl, Arnsberg, Bestwig und Brilon („durch eine der herrlichsten Kanten des Hochsauerlandes“). Die erste Ernüchterung stellte sich jedoch kurz darauf ein:
„… und dann kommt eine große Enttäuschung: Begeistert von den Höhen der Briloner Gegend stellen wir erschreckend fest, daß das Land von Station zu Station, deren es auf dieser Strecke bis Corbach langweilig viel gibt, mächtig abflacht. Die Höhenzüge bleiben immer weiter zurück, verschwinden schließlich in blauer Ferne, und vor unseren Augen breitet sich eine flache, kaum hügelige Gegend aus. Das ist nicht das, was wir suchen, und wenn es zur Eder hin nicht wieder schöner wird, wollen wir lieber nach Brilon umkehren.“
Zu allem Überfluss waren die Züge, in die das Paar umsteigen musste, auch noch völlig überfüllt. Doch als man schließlich in die Nähe des Edersees kam, stellten die Eheleute fest: „unsere Sorge um die geliebten Berge war umsonst. Gar bald sind wir im reizenden Ittertal. Hohe Berge mit prächtigen Wäldern säumen die Bahnlinie, neben uns schlängelt ein klarer Bach durch Wiesen und Buschwerk.“
Das Ziel der Reise war Herzhausen am westlichen Ufer des Sees. Dort angekommen mussten sich Resi und Kurt Fischer erst einmal um eine geeignete Unterkunft kümmern. In diesem Falle hieß das, zu Fuß mehrere Pensionen abzuklappern, um schließlich ein freies Zimmer zu finden. Bei der Reise zum Steinhuder Meer im folgenden Jahr war Resi Fischer im Übrigen besser vorbereitet, wie ihre überlieferte Korrespondenz mit Gasthöfen und Pensionen zeigt. Sie erfragte vorab postalisch freie Zimmer und Preise und konnte so – aus heutiger Sicht immer noch umständlich – bereits vor Ankunft ein Zimmer buchen.