Kathrin Schulte
Über die Broschüre aus „Carl Hagenbeck’s Tierpark Stellingen Hbg.“, die Rudolf Kronsbein als Erinnerung an seinen Aufenthalt in Hamburg am 31. August 1912 mitgebracht hatte, haben wir bereits vor kurzem berichtet. Die dort beschriebenen Darstellungen der Völkerschauen sind allerdings nicht die einzigen bemerkenswerten Inhalte dieser Broschüre.
So ist aus der Broschüre auch einiges über die Geschichte des Tierparks von Hagenbeck zu erfahren. Anhand zahlreicher Fotografien sollen die Leser:innen seine Entstehung und Entwicklung nachvollziehen, die sinnbildlich ist für die Geschichte der Zoos in Deutschland. Das Ausstellen und Halten exotischer Tiere hatte zwar in adeligen Kreisen bereits seit Jahrhunderten Tradition, der erste für ein zahlendes Publikum geöffnete Zoo auf deutschem Gebiet wurde aber erst 1844 in Berlin eröffnet. Frühe Zoogründungen sind in der Folgezeit vor allem für Groß- und Hansestädte belegt, spätestens ab circa 1900 gab es dann einen regelrechten „Boom“ an neuen Tierparks. Zweck der Zoos war anfangs einzig die Unterhaltung der Besucher:innen, die sich in der ausgestellten ‚Natur‘ erholen und von ihrem Arbeitsalltag ablenken sollten.
Hatte sich das Publikum der Zoos im 19. Jahrhundert überwiegend aus dem Bildungsbürgertum rekrutiert, weil den Arbeiter:innen Zeit und Geld für die Besuche fehlten, so entwickelten sie sich schon um die Wende zum 20. Jahrhundert zu einem populären Vergnügen: Ein umfangreiches gastronomisches Angebot, verschiedene Vorführungen und Belustigungen aller Art sollten breite Bevölkerungskreise ansprechen. Dafür wurde in Zeitungen, auf Plakaten und anderen Werbeträgern geworben. Auch Vergünstigungen wie „billige Sonntage“ erwiesen sich als publikumswirksam. Werbemedien wie die vorliegende Broschüre waren in erster Linie so konzipiert, dass sie das Angebot des Zoos in seiner ganzen Breite kommunizierten. Dafür wurde viel Geld investiert: Die Broschüre aus dem Besitz von Rudolf Kronsbein zeichnet sich durch eine sehr aufwändige Herstellung und Gestaltung aus. Bei genauerer Betrachtung der Fotografien wird ersichtlich, dass viele der Bilder nachbearbeitet wurden, teilweise um Unschärfe und Ähnliches auszugleichen. Mit Fotomontagen, die Tiere in eine andere Umgebung versetzten, konnte ein spektakulärerer Effekt erzielt werden. Solche Bearbeitungen waren im frühen 20. Jahrhundert sehr aufwändig und kostenintensiv. Einige der Fotografien waren auch nachträglich koloriert worden. Das war eine sehr zeitintensive Arbeit, die sich die Fotograf:innen gut bezahlen ließen. Angesichts der Dominanz schwarzweißer Fotografien im Alltag erhöhten farbige Bilder das Interesse des Lesepublikums und konnten mit Bedacht eingesetzt die Attraktivität von Werbemedien weiter erhöhen.
Nicht nur Herstellung und Gestaltung, sondern auch das auf den Fotografien Abgebildete sollte beim Lesepublikum den Eindruck erwecken, Zeuge/Zeugin von etwas zu sein, das der/die ‚normale‘ Zoobesucher:in nicht zu sehen bekam. Dementsprechend gewährten die Fotografien in der Broschüre auch Einblicke hinter die ‚Kulissen‘: In verschiedene Stallungen, auf den Arbeitsalltag der Tierpfleger und Dompteure oder auf das Verladen eines Elefanten und anderer Tiere. Der Tierhandel, für den es in dem neu gebauten Zoo von Hagenbeck sogar ein eigenes Gebäude gab, war ebenso wie die Völkerschauen ein Geschäftsbereich des Unternehmens Hagenbeck, mit dem sich viel Geld verdienen ließ. Durch die geografisch günstige Lage des Tierparks in der Nähe eines großen Handelshafens, ließ sich der Import von exotischen Tieren aus den Kolonien einfach organisieren. Josef Menges (1850–1910) und andere deutsche Tierhändler und -fänger verkauften jahrzehntelang lebende und tote Tiere, die sie in den Kolonien eingefangen hatten, an Hagenbeck. Mit der Ausstellung der Tiere im eigenen Tierpark oder mit ihrem Weiterverkauf machte dieser gute Gewinne.