Ein Aufenthalt in Hamburg 1912: Tiere in Anzügen (Teil 2)

12.09.2023 Marcel Brüntrup

Kathrin Schulte

Über die Broschüre aus „Carl Hagenbeck’s Tierpark Stellingen Hbg.“, die Rudolf Kronsbein als Erinnerung an seinen Aufenthalt in Hamburg am 31. August 1912 mitgebracht hatte, haben wir bereits vor kurzem berichtet. Die dort beschriebenen Darstellungen der Völkerschauen sind allerdings nicht die einzigen bemerkenswerten Inhalte dieser Broschüre.

So ist aus der Broschüre auch einiges über die Geschichte des Tierparks von Hagenbeck zu erfahren. Anhand zahlreicher Fotografien sollen die Leser:innen seine Entstehung und Entwicklung nachvollziehen, die sinnbildlich ist für die Geschichte der Zoos in Deutschland. Das Ausstellen und Halten exotischer Tiere hatte zwar in adeligen Kreisen bereits seit Jahrhunderten Tradition, der erste für ein zahlendes Publikum geöffnete Zoo auf deutschem Gebiet wurde aber erst 1844 in Berlin eröffnet. Frühe Zoogründungen sind in der Folgezeit vor allem für Groß- und Hansestädte belegt, spätestens ab circa 1900 gab es dann einen regelrechten „Boom“ an neuen Tierparks. Zweck der Zoos war anfangs einzig die Unterhaltung der Besucher:innen, die sich in der ausgestellten ‚Natur‘ erholen und von ihrem Arbeitsalltag ablenken sollten.

Hatte sich das Publikum der Zoos im 19. Jahrhundert überwiegend aus dem Bildungsbürgertum rekrutiert, weil den Arbeiter:innen Zeit und Geld für die Besuche fehlten, so entwickelten sie sich schon um die Wende zum 20. Jahrhundert zu einem populären Vergnügen: Ein umfangreiches gastronomisches Angebot, verschiedene Vorführungen und Belustigungen aller Art sollten breite Bevölkerungskreise ansprechen. Dafür wurde in Zeitungen, auf Plakaten und anderen Werbeträgern geworben. Auch Vergünstigungen wie „billige Sonntage“ erwiesen sich als publikumswirksam. Werbemedien wie die vorliegende Broschüre waren in erster Linie so konzipiert, dass sie das Angebot des Zoos in seiner ganzen Breite kommunizierten. Dafür wurde viel Geld investiert: Die Broschüre aus dem Besitz von Rudolf Kronsbein zeichnet sich durch eine sehr aufwändige Herstellung und Gestaltung aus. Bei genauerer Betrachtung der Fotografien wird ersichtlich, dass viele der Bilder nachbearbeitet wurden, teilweise um Unschärfe und Ähnliches auszugleichen. Mit Fotomontagen, die Tiere in eine andere Umgebung versetzten, konnte ein spektakulärerer Effekt erzielt werden. Solche Bearbeitungen waren im frühen 20. Jahrhundert sehr aufwändig und kostenintensiv. Einige der Fotografien waren auch nachträglich koloriert worden. Das war eine sehr zeitintensive Arbeit, die sich die Fotograf:innen gut bezahlen ließen. Angesichts der Dominanz schwarzweißer Fotografien im Alltag erhöhten farbige Bilder das Interesse des Lesepublikums und konnten mit Bedacht eingesetzt die Attraktivität von Werbemedien weiter erhöhen.

Nicht nur Herstellung und Gestaltung, sondern auch das auf den Fotografien Abgebildete sollte beim Lesepublikum den Eindruck erwecken, Zeuge/Zeugin von etwas zu sein, das der/die ‚normale‘ Zoobesucher:in nicht zu sehen bekam. Dementsprechend gewährten die Fotografien in der Broschüre auch Einblicke hinter die ‚Kulissen‘:  In verschiedene Stallungen, auf den Arbeitsalltag der Tierpfleger und Dompteure oder auf das Verladen eines Elefanten und anderer Tiere. Der Tierhandel, für den es in dem neu gebauten Zoo von Hagenbeck sogar ein eigenes Gebäude gab, war ebenso wie die Völkerschauen ein Geschäftsbereich des Unternehmens Hagenbeck, mit dem sich viel Geld verdienen ließ. Durch die geografisch günstige Lage des Tierparks in der Nähe eines großen Handelshafens, ließ sich der Import von exotischen Tieren aus den Kolonien einfach organisieren. Josef Menges (1850–1910) und andere deutsche Tierhändler und -fänger verkauften jahrzehntelang lebende und tote Tiere, die sie in den Kolonien eingefangen hatten, an Hagenbeck. Mit der Ausstellung der Tiere im eigenen Tierpark oder mit ihrem Weiterverkauf machte dieser gute Gewinne.

Tierpfleger bei der „Löwenwäsche“.

Hier dokumentiert sich ein ganz eigenes Verhältnis zu (exotischen) Tieren, dass sich auch in der Broschüre widerspiegelt: Tieren wurden keine Rechte und auch keine eigene Agency zugesprochen. Sie waren entsprechend der göttlichen Weisung sich die Erde untertan zu machen (Genesis 1,28), einzig in Bezug auf den Menschen relevant. Die in der Broschüre gezeigten überwiegend exotischen Tiere wurden ausgestellt, verladen, verkauft, vermenschlicht und sie dienten dem Gewinnstreben und der Unterhaltung des Menschen. Besucher:innen sind deshalb nur selten einmal auf den Fotografien in der Broschüre zu sehen: Auf dem Foto des „Heufressergeheges“ steht eine Frau mit einem Kind auf dem Arm vor dem Zaun und betrachtet das Gehege, ansonsten ist der Blick auf die Tiere „ungestört“ – vermutlich, um es dem Panoramakonzept des Zoos gleichzutun und die Sicht auf die Tiere nicht zu brechen.

„Kinder reiten auf Riesenschildkröten“. Im Hintergrund steht eine Frau, deren Gesicht nachbearbeitet wurde. Auch das Haus im Hintergrund wirkt retuschiert.

Erst wenn ein über die Anschauung hinausgehender Unterhaltungswert der Tiere demonstriert werden soll, werden Menschen abgebildet:

Männer, teilweise in weißen Gewändern mit Turban, reiten auf Elefanten und sind auch an Tiertransporten beteiligt. Ein Pfleger und ein Mann in Anzug und Hut füttern Wahlrosse und mehrere Männer werden bei der „Löwenwäsche“ gezeigt, einer aus heutiger Sicht recht waghalsigen Tätigkeit. Eine mit „Kinder reiten auf Riesenschildkröten“ betitelte Fotografie zeigt sieben Kinder in Sonntagskleidung, die auf Riesenschildkröten sitzen und versuchen, diese mit an Stöcken befestigten Salatköpfen dazu zu bringen, sich fortzubewegen. Auch werden zahlreiche Tiere als Kutschtiere abgebildet – ein Strauß, Zwergesel, Kamele, Ponys und ein „Lamagespann für Kinder“ mit einer auffällig kleinen Kutsche.

Verschiedene Tiere werden als Reit- oder Kutschtiere genutzt.

Gerade wenn es um Menschenaffen geht, wird auch die Menschenähnlichkeit zum Thema:  Die Affen werden sämtlich in menschlicher Kleidung fotografiert, Ein Schimpanse trägt einen Anzug, ein anderer ein Nachthemd und eine Kerze. Auf einem weiteren Foto ist der „Schimpanse als Kunstfahrer“ dargestellt – in Kleidung auf einem Fahrrad. Außerdem werden ein Schimpanse und zwei Orang-Utans für die Fotos an einem Tisch platziert und bei und nach einem vermeintlichen „Mittagsmahl“ fotografiert. Bei genauerer Betrachtung dieser Fotos fällt auf, dass Tischdecke wie Gedeck nachträglich in das Bild retuschiert wurden. Diese Form der Präsentation der Menschenaffen war nach Berichten von Besucher:innen des Tierparks in der Tagespresse keineswegs auf Fotografien beschränkt, die Gehege der Tiere waren Wohnungen nachvollzogen und die Tiere trugen Kleider und Anzüge.

Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans werden in menschlicher Kleidung bzw. bei menschlichen Handlungen dargestellt.

Ein solcher Anthropomorphismus war um die Wende zum 20. Jahrhundert kein singuläres Phänomen: In Hagenbecks Tierpark wurde beispielsweise ein Löwe mit Brille und Pfeife im Maul inszeniert, außerdem ein Elefant als Gast der Gastronomie und 1927 veranstaltete man sogar eine Hochzeit zweier Elefanten. Auch in anderen Zoos und Tierparks lässt sich eine anthropomorphe Inszenierung der Tiere nachweisen, in Münster wurde zum Beispiel ein Affe mit Alkohol und Zigarren fotografiert.

Aufsehenerregende Veranstaltungen und außergewöhnliche Attraktionen lockten Besuchende in die Zoos. Um die Menschen zu mehrfachen Zoobesuchen zu bewegen, brauchte es Aktionen mit großem Unterhaltungswert, zum Beispiel Wasserfälle zum Hindurchgehen oder eben menschlich gekleidete Tiere. Mit populärem Vergnügen und einer gut geölten Werbemaschinerie schaffte es Hagenbecks Tierpark letztlich, sich gegen den von öffentlicher Hand geführten und stärker wissenschaftlich ausgerichteten Hamburger Zoo durchzusetzen, der 1931 aufgegeben werden musste.

Literatur:

Fleige, Christin. „Die Völkerschauen im Westfälischen Zoologischen Garten Münster”. Münster 2023.

Klothmann, Nastasja: Gefühlswelten Im Zoo: Eine Emotionsgeschichte 1900–1945. Bielefeld 2015.

Rothfels, Nigel: Savages and Beasts: The Birth of the Modern Zoo. Baltimore 2002.

Thode-Arora: Hagenbeck: Tierpark und Völkerschau, in: Jürgen Zimmerer et. al, Kein Platz an der Sonne: Erinnerungsorte der deutschen Kolonialgeschichte. Frankfurt/New York 2013, S. 244–256.

Teil 1: Ein 111 Jahre altes Souvenir aus Hamburg: Hagenbecks Tierpark in Wort und Bild