Ein Geheimgang unter der Gräfte und ein Skelett im Kamin. Geschichten und Überlieferungen zum Hof Schulze Homoet bei Billerbeck

17.08.2021 Dorothee Jahnke

Die verwahrloste Villa 1984. Foto: Andreas Eiynck.

Andreas Eiynck

 

Ein Schulzenhof so groß wie ein Rittergut, Hofgebäude so prächtig wie ein Adelssitz und das traurige Ende einer alteingesessenen Bauernfamilie – das ist der Stoff, aus dem die münsterländische Sagenwelt ihre Motive schöpft. So gilt es jedenfalls für den früheren Schulzenhof Homoet in der Bauerschaft Aulendorf bei Billerbeck, der wegen seiner landschaftlich schönen Lage seit Generationen viel gerühmt wurde. Fritz Westhoff, alias „Longinus“, schrieb 1896 in seinem „Führer durch die Baumberge“: „Am waldreichen Abhange des Aaberges in der feuchten Thalschlucht der Steinfurt Aa, versteckt unter altem Gebüsch und Hecken liegt weltvergessen und traumverloren wie ein Sagenkind aus früheren Jahrhunderten der Schultenhof Homoet, einer der größten Höfe des Münsterlandes. Im Mittelalter wurde er von den Herren von Homoet bewohnt, die wahrscheinlich ein Ministerialengeschlecht der Edlen von Steinfurt waren, welche zu dem Hofe immer Herrlichkeitsbeziehungen gehabt zu haben scheinen. Nach dem Aussterben des Geschlechtes von Homoet wurde (der Überlieferung nach) der Hof auf längere Zeit Witwensitz der Familie zu Bentheim-Steinfurt. Die Vorfahren der jetzigen Besitzer, der Schultenfamilie Homoet, stammen aus Burgsteinfurt und haben den Hof seit dem vorigen Jahrhundert inne. Augenblicklich soll das 1323 Morgen große Erbe wegen Erbteilung verkauft oder in ein Rentengut umgewandelt werden.

Den alten, herrschaftlichen Charakter bekunden heute noch die (über 20 m breiten) Zugänge des von weit ausgedehnten Gräben und Fischteichen umgebenen Hofes, sowie alte Bäume und Gebüsche. Das im Stile des sächsischen Bauernhauses gehaltene, geräumige Wohnhaus ist 1586 neu erbaut, ein gewölbter Keller und der Saal stammen von 1610. 1792 ist das Haus (laut Jahreszahl) umgebaut und 1858 renoviert. Das Thorhaus ist ein Steinbau im Renaissance-Stil; mitten im Wasser steht aus derselben Zeit ein steinerner Turm mit Schießscharten, einst durch verdeckten Gang mit dem Herrenhause verbunden.“

Der Schulzenhof Homoet geht wohl tatsächlich auf ein Rittergut gleichen Namens zurück, das nach dem Aussterben der Besitzerfamilie als Lehnsgut an die Grafen von Steinfurt zurückfiel. Später wurde es an einen bäuerlichen Schulzen übergeben, der den Namen des Gutes als Familiennamen annahm, was ja seinerzeit nicht unüblich war.

Glaubt man der mündlichen Überlieferung, dann wurde früher im Hause des Schulzen Homoet flott drauflos gelebt. So schildert Gottfried Hensen in seinem Sagenbuch „Volk erzählt“ den folgenden Bericht: „‘n Stünnken von Billbiäck lich Homoets Hoff, dat es met de gröttste Hoff in ganz Mönsterland west; ´n ganzen dicken, viereckigen, massiven Taon stonn dao in’t Water. Un de Homoets dat sind so ganz undüchtige Käls west; sließlick häbbt se iähr den Adelsstand afnuomen. De leste von de Homoets, wenn de saoch, dat’n Hahn ´n Hohn tratt, dann har de faots de Flint nuomen un den Hahn dautschuotten.“ (Eine Stunde von Billerbeck entfernt liegt Homoets Hof, es war einer der größten Höfe des Münsterlandes. Ein ganz dicker, viereckiger, massiver Turm stand dort im Wassergraben. Und die Homoets sind ziemlich verrückte Leute gewesen; schließlich hat man ihnen den Adelsstand aberkannt. Der letzte Homoet, wenn der einen Hahn sah, der ein Huhn begattete, hat dann gleich eine Flinte genommen und den Hahn totgeschossen).

Noch eine weitere Episode findet sich in der gleichen Quelle dokumentiert: „Fastaobend häbbt se dao ümmer ganz unnüesel fiert; dao gong’t ganz großartig hiär; wat de Leibeigenen wäören, die wäören dann alle dao west. De aollen Lü de sächen, eenen Fastaobend häbbt se dao äs ´n grauten Stamm met ´n Piär an’t Füer sliept, un dao wäör Askedag erst ne Uhl utkuemen.“ (Fastnacht wurde dort immer wie verrückt gefeiert. Es ging dort ganz großartig zu. Die Kötter des Hofes waren dann alle da. Die alten Leute erzählten, einmal Fastabend hätten sie einen ganz großen Baumstamm mit Pferden an das Herdfeuer geschleppt. Da ist Aschermittwoch noch eine Eule rausgeflogen).

Nun sind die Geschichten von einem unterirdischen Gang unter der Gräfte und dem gewaltigen Baumstamm mit der Eule auf dem Herdfeuer auch von anderen Schulzenhöfen überliefert. Der moralisierende Unterton bei der Schilderung des ausschweifenden Lebens bei Schulze Homoet hängt aber sicherlich auch zusammen mit dem Aussterben der steinreichen Schulzenfamilie, deren letzter Spross 1891 kinderlos verstarb.

Der Schulzenhof Homoet mit Wohnhaus, Villa und Speicher. Foto: Hans-Jürgen Warnecke.

Hinzu kommt dann auch noch ein Kriminalfall: „In der Nacht zum 1. Oktober 1882 wurde dem Besitzer mittelst Einbruchs und unter Anwendung von Gewalt von vier vermummten Männern ein Doppelgewehr, eine Uhr und eine große Summe baaren Geldes gestohlen.“

Doch dies war nicht der einzige mysteriöse Kriminalfall, der sich auf dem alten Schulzenhof ereignet haben soll. Der Billerbecker Volksmund berichtet:

Nach dem Tod des letzten Hofbesitzers Homoet brannte das Wohnhaus ab. Nur der Kamin und der Schornstein blieben bei dem Unglück stehen. Weil die Brandversicherung aber einen Totalschaden nur anerkannte, wenn das ganze Gebäude zerstört war, halfen die damaligen Eigentümer nach, rissen den Schornstein nieder und brachen den Kamin ab.

Beim Abbruch des Herdfeuers kam hinter der großen, eisernen Kaminplatte ein Skelett zum Vorschein. Die Polizei wurde eingeschaltet und der damalige Arzt in Billerbeck, Dr. Weirich, untersuchte die Knochen. Dabei stellte sich heraus, dass es sich um die Überreste eines jungen Mannes handelte.

Da erinnerte man sich an einen heftigen Streit zwischen einem früheren Hoferben und seinem Bruder. Dieser war damals Hals über Kopf verschwunden und es hieß, er sei nach Amerika ausgewandert und man habe nie wieder etwas von ihm gehört oder gesehen. Nun war sein Schicksal geklärt und man wusste, dass er bei seiner „Reise nach Amerika“ nicht weit gekommen war.

Der mutmaßliche Mörder war mittlerweile verstorben und so konnte niemand mehr zur Rechenschaft gezogen werden. Über den Fall wurde allgemeines Stillschweigen bewahrt. In Billerbeck geht man davon aus, dass das Aussterben der Schulzenfamilie mit der ungesühnten Mordtat zusammenhing.

An den früheren Schulzenhof erinnert heute noch der steinerne Wehrspeicher im breiten Quellteich der Steinfurter Aa.

Der restaurierte Speicher 2007. Foto: Andreas Eiynck.

Heutige Bilder von dem Anwesen gibt es hier: eins | zwei | drei.

 

Literatur:

Heinrich Brockmann: Die Bauernhöfe der Gemeinden Stadt und Kirchspiel Billerbeck, Beerlage, Darfeld und Holthausen. Billerbeck 1891.

Longinus: Führer durch die Baumberge. Münster 1896.

Andreas Eiynck: Gräftenhöfe und Steinspeicher im Münsterland. Zur Bau- und Wohnkultur der großbäuerlichen Führungsschicht im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit. In: G. Wiegelmann/F. Kaspar (Hrsg.): Beiträge zum städtischen Bauen und Wohnen in Nordwestdeutschland (= Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland 58). Münster 1988, S. 307-375.

Mündlicher Bericht von Ludwig P., Billerbeck 2020.

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