Ein Herforder bei Kaiser Wilhelm II. im Exil

01.06.2021 Niklas Regenbrecht

Unter zwei Fahnen wurde das 60-jährige Bestehen des Garde-Vereins am 27. Januar 1964 gefeiert. Foto Georg Heese (Kommunalarchiv Herford).

Christoph Laue

Vier Jahre vor seinem Tod 1941 bekam der frühere deutsche Kaiser Wilhelm II. an seinem Exilwohnsitz in Haus Doorn in der Provinz Utrecht Besuch aus Herford. Am 5. September 1937 kam der frühere Gepäckträger und jetzige Invalidenrentner Heinrich Wehmeyer, geb. 14.07.1873 in Schweicheln, gest. 16.06.1958 in Herford, zum 1918 abgesetzten Kaiser.

Bei dieser Gelegenheit schenkte der greise Kaiser ihm „eigenhändig“ einige Bücher, darunter „Kaiser und Heer“ von Alfred Niemann, erschienen in 1929 in Berlin. Dieses Buch befindet sich heute im Herforder Kommunalarchiv und stammt aus dem Besitz von Reinhold Dürkopp, des langjährigen Vorsitzenden des nicht mehr bestehenden Herforder Gardevereins.

Im Buch steht handschriftlich eingetragen: „Am 16.6.1958 wurde Heinrich Wehmeyer zur großen Armee abberufen und am 20.6.1958 zu Grabe getragen. Also 4 Wochen vor seinem 85.ten Geburtstag. Die von S[einer] M[ajestät]. ihm geschenkten Bücher vermachte er dem Garde Verein Herford. Der I. Vorsitzende Dürkopp.“

Seine Majestät Kaiser Wilhelm II. hat dem Herforder Heinrich Wehmeyer das Buch „Kaiser und Heer“ handsigniert.(Kommunalarchiv Herford).

Leider ist nicht überliefert, wie und warum dieser Besuch 1937 stattfand. Haus Doorn ist in Deutschland heute weitgehend unbekannt, das dortige Museum hat sich nicht zum Wallfahrtsort kaiserteuer Deutscher entwickelt. Drei Viertel der dortigen Besucher sind Niederländer, die eher die Lage und die Ausstattung des Hauses und Parks interessiert.

Der abgesetzte deutsche Kaiser floh am 11. November 1918 in die Niederlande, bekam dort Asyl und sollte sich fortan als Privatmann verhalten. Das ihm eigentlich zu kleine Haus Doorn mit ca. 60 Hektar Park kaufte er schließlich aus Mangel an Alternativen im August 1919. Ab November 1919 wurde es für seine Zwecke modernisiert. Sein zunächst eingefrorenes Vermögen wurde bald vom republikanischen Deutschland freigegeben, so dass schon im September 51 Eisenbahnwaggons mit Möbeln, Kunstwerken und Haushaltsgegenständen eintrafen, die bis heute zur prunkvollen Einrichtung des Hauses gehören. Am 15. Mai 1920 zog das Kaiserpaar in das Haus ein, das vor allem zur eigenen Inszenierung früheren herrschaftlichen Lebens und der Beziehungen des deutschen hohenzollerschen Kaiserhauses zur niederländischen Herrschaftsfamilie der Oranier dienen sollte. Wilhelm II. Gattin Auguste Victoria wurde nach ihrem Tod 1921 nach Potsdam überführt, während er selbst erst nach der Wiedereinführung der Monarchie in Deutschland dorthin zurückkehren wollte. Seine letzte Ruhestätte, das Mausoleum im Doorner Park, entwarf der frühere Kaiser selbst. 1937 war er bereits 78 Jahre alt, er starb am 4. Juni 1941.

Wehmeyer war Mitglied im 1904 gegründeten Garde-Verein, der „den ehemaligen Gardisten der verschiedenen ‚Kulörs‘ Gelegenheit“ geben sollte, „den Geist der Kameradschaft weiter zu pflegen“, wie es in der Festschrift zum 25jährigen Bestehen 1929 hieß. Soldaten der Garde, militärischer Verbände, die u.a. als Leibwache oder zur repräsentativen Zwecken eingesetzt waren, sahen sich als militärische Elite.

Vorsitzender des Vereins wurde Julius Oscar Hammacher (geb. 21.2.1868 in Büren, gest. 27.11.1934 in Herford, er kam 1903 als Direktor der städtischen Gas-, Wasser-, Elektrizitätswerke nach Herford), 2. Vorsitzender war ein Herr Schäfer (nicht näher ermittelbar), Schriftführer Gustav Strenger (Buchhalter) und Kassierer Wilhelm Bracksiek (Gastwirt).

Der Vorstand des Garde-Vereins 1960. Foto Georg Heese (Kommunalarchiv Herford).

Bei den Festen des Vereins bot „Kamerad Kramer“ mit seiner Künstlertruppe mit „theatralischen Darbietungen“ den Rahmen. 1906 nahm man an der Einweihung des Bismarckturms teil, 1909 gab sich der Verein eine Fahne „mit fliegendem Adler und Gardestern“, 1913 feierte er in Laar das Roonfest mit. Im Ersten Weltkrieg war etwa die Hälfte der 102 Mitglieder „im Felde.“ Acht Mitglieder ließen dort ihr Leben. 1922 löste „Kamerad Reinhold Dürkopp“ (geb. 8.6.1894, gest. 29.6.1977 in Herford, er war Besitzer des Autohauses an der Johannisstr. 40/48) den Vorsitzenden ab.

Heinrich Wehmeyer gehörte 1929 zu den noch lebenden Gründungsmitgliedern des nunmehr 135 Männer starken Vereins. Politisch war der Garde-Verein natürlich kaisertreu, revisionistisch und republikfeindlich, in der Festschrift von 1929 finden sich das Gedicht „Die Lüge der Kriegsschuld“, aber auch die Liedertexte „Gardemarsch“ und „Mein Regiment, mein Vaterland“ zeigen diesen Geist. Auf einer weiteren Fahne bezeichnete sich der Verein als „letzte Stütze des Königs“

Daher passt auch der Besuch beim Kaiser in dieses Bild. Im Zweiten Weltkrieg war der Verein weiter aktiv, eine Veranstaltung wird in der Kriegschronik 1943 erwähnt. Nach 1945 versammelte sich der Verein unter der geretteten Fahne, 1960 der Vorstand hinter einem Wimpel. Inzwischen hatte der Verein sich dem 1945 verbotenen und 1952 wieder gegründeten Kyffhäuserbund angeschlossen, der heute seine Rolle als Reservisten- und Schießsportverband betont, sich aber eher am rechten Rand des politischen Spektrums bewegt.

Am 27. Januar 1964 feierte der Verein das 60jährige Jubiläum mit den beiden alten Fahnen und beklagte, dass die Stadt ihn nicht bei der Versetzung des Kriegerdenkmals vom Alten Markt auf den alten Friedhof am Eisgraben gefragt hatte. Für 50 Jahre Treue zum Verein wurden Reinhold Dürkopp, Paul Bunte, Wilhelm Schaper, Hermann Meier, für 40 Jahre Richard Brinkschmidt, Johann Heitmann, Wilhelm Stahlberg und Anton Wiechers mit der goldenen Nadel des Kyffhäuserbundes nebst Urkunde ausgezeichnet. Die Spuren des Garde-Vereins verlieren sich in den 1970er Jahren – das Kommunalarchiv hätte großes Interesse an weiteren Daten und Unterlagen!

 

Zuerst erschienen in: HF-Magazin. Heimatkundliche Beiträge aus dem Kreis Herford, Nr. 116, 18.03.2021, herausgegeben von der Neuen Westfälischen.

Link: https://www.kreisheimatverein.de/wissen/hf-magazin/

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Schlagworte: Christoph Laue · Kaiserzeit