Ein Liebesthermometer aus dem Jahr 1909

14.05.2019

Liebesthermometer; Sammlung der Volkskundlichen Kommission (LWL).

Ein Liebesthermometer aus dem Jahr 1909

Christiane Cantauw

Zum sogenannten Liebesmonat Mai passt ein Fund aus einem Poesiealbum, dessen Einträge aus der Zeit zwischen 1908 und 1919 stammen. Es handelt sich um eine Tuschezeichnung, die mit „Verliebtes Thermometer“ überschrieben ist. Sie dokumentiert anschaulich verschiedene Phasen der Partnerfindung im bürgerlichen Milieu von einer ersten Bezauberung über den ersten Kuss, die Liebeserklärung, den ersten Streit bis hin zum häuslichen Glück.

Der Eintrag ist am 1. April 1909 von einer Mary verfasst worden, die sich damit bei ihrer Pensionatsfreundin Elfriede in Erinnerung halten möchte. Er ist mir nicht zuletzt deshalb ins Auge gesprungen, weil es sich um einen der wenigen bebilderten Einträge in diesem Album handelt. Das Liebesthermometer veranschaulicht eine idealisierte Form der Ehe-Paarwerdung, die gleichwohl auch die negativen Seiten einer Paarbeziehung wie Streit und Eifersucht nicht ausspart. Spannend ist die zeitliche Positionierung des ersten Kusses, der noch vor dem ersten „Rendez-vous“ stattfindet. Auch die zahlreichen Stationen, die durchlaufen werden, bevor die Beziehung durch einen Antrag und das Fragen des Vaters öffentlich gemacht wird, sind bemerkenswert.    

Der Eintrag von Mary ist Teil eines Erinnerungsalbums, das sich in einem Sammlungskonvolut im Archiv der Volkskundlichen Kommission befindet. Auf der Titelseite des etwa 50 Seiten starken Albums mit (Kunst-)Ledereinband, metallverstärkten Ecken, Metallschließe und Goldschnitt findet sich der Eintrag „Weihnachten 1908, Villa Flora, Godesberg“. Bei der Internetrecherche stellte sich die Villa Flora als ein Pensionat für höhere Töchter heraus, das von einer Frau Dr. Brown betrieben wurde. Das Pensionat wurde – folgt man den Einträgen in dem vorliegenden Poesiealbum – von Mädchen aus England, Belgien, Frankreich und Deutschland frequentiert. Das Beherrschen von Fremdsprachen wie Englisch und Französisch und eine gewisse klassische Bildung waren hier offenbar selbstverständlich – auch das belegen die Einträge.

Zitiert werden Goethe, Schiller, Rosegger oder Weber. In den wenigen Einträgen aus der Nachkriegszeit dann auch Fromm und Ganghofer. Viele der Pensionatsfreundinnen von Elfriede verzichten aber auch auf Zitate aus klassischen Werken und verweisen lediglich auf das Ziel ihres Eintrags als „Souvenir affectueuse“, „Zur steten Erinnerung“ oder „in Rememberance of the happy times together in Villa Flora“.