Sebastian Schröder
Eigentlich hatte der Müller Hermann Heinrich Kraack, Pächter der Niediecks Mühle im sparrenbergischen Amtsdistrikt Schildesche bei Bielefeld, im Herbst 1802 allen Grund zur Freude. Wenn da nicht die gegen ihn verhängte Strafzahlung wäre, die er der Amtsverwaltung in Schildesche zahlen sollte. Was war geschehen? Darüber berichtete der Müller persönlich in einem Schreiben an die ravensbergische Landesbehörde, die Kriegs- und Domänenkammer in Minden. Ungefähr Ende Juli 1802 sei ihm eine Tochter geboren worden. Auch seine Ehefrau habe „das Wochenbette überstanden“, frohlockte Kraack. Deshalb habe er am 21. August des Jahres „Verwandte und gute Freunde“ eingeladen, „um bey mir zu genießen Speiß und Tranck, und sich zu manchen Plaisir, wie das überall so aufm Lande bey solchen Gelegenheiten gebräuchlich ist“. Doch nicht alle Menschen teilten das Glücksgefühl des frischgebackenen Vaters. So habe Landwirt Niediek, der Verpächter von Kraacks Mühle, circa zwei Tage vor der großen Festlichkeit die Amtsverwaltung darüber in Kenntnis gesetzt. Amtmann Johann Franz August Lampe verbot daraufhin die seines Erachtens „gesetzwidrige“ Feier. Dem Müller sei es jedoch unmöglich gewesen, die Sause in der Kürze der Zeit abzublasen, wie er selbst betonte: „Alle Gäste, worunter einige nahe Verwandte im Amte Ravensberg und sonst entfernt wohnten, in der Geschwindigkeit wieder aufbestellen zu lassen, gehörte zu den Unmöglichkeiten, und dazu wäre mir in der heißen Zeit verdorben das angeschafte Fleisch, und sauer geworden das Bier, wenn es nicht währe verzehrt. Das wäre doch sündlich gewesen!“ Folglich leistete Kraack der amtlichen Verordnung kein Gehorsam und führte das sogenannte „Kindelbier“ durch.
Der Schildescher Amtmann verhängte daher eine Strafe in Höhe von 20 Reichstalern. Ebenso drohte er den Gästen mit Konsequenzen. Der Müller sah keinen anderen Ausweg mehr, als die landesherrlichen Behörden zu kontaktieren. Die Mindener Beamten sollten die Strafe aufheben und das Amt entsprechend anweisen, forderte Kraack. Er erklärte dazu: „Wenn nicht mehr seyn sollen solche Gästereyen, wo soll denn herkriegen der Musikpächter seine jährlich zu bezahlende Pacht? Und weshalb ist denn von den Unterthanen übernommen die jährliche Kochpacht?“ Dazu muss man wissen, dass der preußische Landesherr das Recht, bei Festivitäten Musik spielen oder den Kochlöffel schwingen zu dürfen, an bestimmte Personen verpachtet hatte. Müller Kraack argumentierte also damit, dass diese Pächter ihren Lebensunterhalt verlieren würden und dementsprechend keine Pacht mehr leisten könnten – den königlichen Kassen drohe letztendlich ein Ausfall.
Amtmann Lampe sah die Lage in seinem Bericht an die Mindener Kriegs- und Domänenkammer anders. Einerseits seien seit der Geburt des Kindes bereits einige Wochen verstrichen; ein unmittelbarer Zusammenhang bestehe deswegen wohl kaum. Andererseits habe der Müller nicht nur nahe Verwandte und enge Freunde, sondern auch entfernte Bekannte eingeladen. Dementsprechend mutmaßte der Amtmann, dass „der Hauptzweck dieser Zusammenkunft auf die Beyträge der Gäste an Geld und Naturalien gerichtet war.“ Er fügte hinzu: „Nicht jene unschuldige Vergnügungen beabsichtigende Zusammenkünfte sind verbothen, sondern diese, weil dadurch der Landmann auf Kosten seines eigenen Vermögens zur Unthätigkeit und Völlerey verleitet wird.“ Es handele sich dabei um einen allerorten bekannten Rechtsgrundsatz. Wenn Kraack behaupte, er wisse davon nichts, lüge er.
Aufgrund dieser Stellungnahme urteilten die Kriegs- und Domänenräte, dass dem Müller „diese Strafe nicht erlaßen werden kann“. Die landesherrlichen Beamten folgten somit eins zu eins der Empfehlung des Schildescher Amtmanns. Ohnehin entsprach es dem aufgeklärten Zeitgeist jener Epoche, gegen allzu „rauschende“ Festivitäten vorzugehen – neben Kindtaufen standen außerdem Hochzeiten und Hausrichtungen im Verdacht, Müßiggang und Lotterleben zu befördern. Müller Kraacks Versuch, das gegen ihn gerichtete Urteil abzuwenden, indem er die Landesbehörde einschaltete, misslang also. Ganz im Gegenteil bestätigten die preußischen Beamten die Entscheidung des Schildescher Amtmanns.
Der Fall des Müllers ist in vielfacher Hinsicht sehr aufschlussreich, um sich dem Leben auf dem Land in der preußischen Grafschaft Ravensberg zu nähern. Feste zählten dabei zu einem wichtigen Bestandteil des Alltags. Sie trugen zum Gemeinschafts- und Zusammengehörigkeitsgefühl der lokalen Bevölkerung bei und schufen ein Gegengewicht zur harten Arbeit. Die Festivitäten und die hierbei überreichten (Geld-)Geschenke knüpften Beziehungsnetze, die eine nicht zu unterschätzende Bedeutung im sozialen und gesellschaftlichen Miteinander besaßen. Zugleich waren ausschweifende Festlichkeiten den Behörden jedoch ein Dorn im Auge. Entsprechend grundsätzlicher Erwägungen zu Sparsamkeit oder Arbeitsamkeit gingen sie daher gegen ein allzu wildes Treiben vor.
Quelle:
Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, D 607/Kriegs- und Domänenkammer Minden, Nr. 355: Abschaffung übermäßiger Hochzeits- und Kindtaufen und Schmausereien auf dem platten Lande sowie sonstiger übertriebener Festlichkeiten, 1774–1805.
Literatur:
Christiane Cantauw: Gebehochzeiten. In: Graugold. Magazin für Alltagskultur, Ausg. 1, 2021, S. 158 – 159.