Die Einreise ins Land war fahrendem Volk unter Strafandrohung verboten. Auf einer alten Karte ist zu sehen, wo so ein Heiden- bzw. Taternpfahl in Südlengern gestanden hat
Sarah Brünger
Viele regionale Schauergeschichten spielen an geheimnisvollen Orten, an denen es unsere heidnischen Ahnen aus grauer Vorzeit einmal bunt getrieben haben sollen. Inspirationsquellen sind dabei nicht selten alte Flur- und Straßennamen mit vergessener Bedeutung. Etwas wie „Am Heidenpfahl“ – da wittert doch jeder Fan von Gruselliteratur eine Geschichte, die wohlige Schauer verspricht.
Doch in Bünde sucht man heutzutage nach Heiden vergebens. Es gibt zwar eine Heidestraße, aber der fehlt einfach das gewisse Etwas – nämlich ein „n“ – damit guter Stoff für einen Mythos daraus wird. Bei der Heidestraße taucht allenfalls ein verklärtes Idyll von niedlichen Schäfchen und zart rosafarbenem Heidekraut vor dem inneren Auge auf. Langweilig.
Dabei hätten die Bünder die Chance gehabt, den Grundstein für ein echtes Schauermärchen zu legen. Eine alte Karte von 1826 beweist nämlich, dass es etwa im Bereich der Grundschule Südlengerheide (Max-Planck-Straße) tatsächlich einmal einen Heidenpfahl gegeben hat. Der Zweck von Heidenpfählen ist heute kaum noch bekannt. Wo in Deutschland entsprechende Straßennamen existieren oder einzelne sogar noch stehen, zum Beispiel am Rothaarsteig bei Schmallenberg-Schanze, wurden zum Teil kreative Erklärungen für ihre Bedeutung etabliert. Mit heidnischem Treiben hatten die Pfähle allerdings nichts zu tun sondern mit Grenzpolitik. Am Standort des Bünder Heidenpfahls verlief bis 1807 die Grenze zwischen den Grafschaften Minden und Ravensberg. Ein Heidenpfahl bezeichnete ein an einem Pfosten befestigtes Warnschild, das einzelnen Personengruppen in Wort und Bild unmissverständlich klar machte, dass ihnen die Einreise ins Land unter Strafandrohung verboten war. Adressaten der Warnungen waren über Land Ziehende ohne anerkannte Staatsangehörigkeit und Aufenthaltserlaubnis. Der Gesetzgeber sprach unter anderem von Bettlern, Vagabunden oder Zigeunern. Letztere wurden regional unterschiedlich auch als Heiden, Tatern, usw. bezeichnet. Manchmal richteten sich die Warnungen auch explizit an Juden. Nicht nur in Ravensberg, sondern an den Staatsgrenzen im gesamten Heiligen Römischen Reich waren diese Warnzeichen insbesondere im 18. Jahrhundert zu finden und auch unter dem Namen Heidenstöcke, Taternpfähle, Warnstöcke, usw. bekannt.
Bereits 1719 waren die Grafschaften Minden und Ravensberg administrativ zusammengefasst worden. Unter französischer Herrschaft verlor die Grenze zwischen ihnen ab 1807 endgültig ihre Bedeutung, sodass auch der besagte Pfahl ausgedient hatte.
Auf der Karte von 1826 ist er noch zur Orientierung eingezeichnet, da an seinem Standort offenbar auch ein trigonometrischer Punkt angelegt worden war, welcher der Landesvermessung diente. Wann er abgebaut wurde, ist unklar. Nicht einmal ein alter Straßenname, der uns heutzutage Rätsel aufgeben und zu Geschichten inspirieren könnte, ist zurückgeblieben.
Zuerst erschienen in: HF-Magazin. Heimatkundliche Beiträge aus dem Kreis Herford, Nr. 115, 17.12.2020, herausgegeben von der Neuen Westfälischen.