„Der Franz wirft stets mit Eleganz …“ Eine Schriftrolle für Kegelbrüder

12.07.2024 Niklas Regenbrecht

Eine Schriftrolle aus dem Nachlass von Familie Stephanblome im Archiv für Alltagskultur in Westfalen, K02884.0020.

Niklas Regenbrecht

Schriftrollen waren in der Antike das vorherrschende Medium zum Festhalten von Texten. Sie wurden meist aus Papyrus gefertigt, mit Tinte handbeschrieben, aufgerollt und in Tonkrügen oder Regalen aufbewahrt. Im Mittelalter setzten sich zunehmend Pergament – und ab dem Spätmittelalter auch Papier – als Beschreibstoffe durch. Ebenso wurde die Schriftrolle von der Buchform abgelöst, wenngleich die Rollenform nicht ganz verschwand, beispielsweise für bestimmte Urkunden. In der Gegenwart hat sich der Gebrauch auf wenige Zwecke konzentriert, wie die jüdischen Torarollen.

Auch ohne Kenntnisse der Buchgeschichte vorauszusetzen, kann man annehmen, dass in der Allgemeinbildung oder Populärkultur die Schriftrolle mit einem „altertümlichen“ oder auf irgendeine Art und Weise „historischen“ Image assoziiert wird. Möglicherweise haben dazu die Antikenbegeisterung und die romantische Mittelalterverklärung seit Beginn des 19. Jahrhunderts beigetragen. Es existiert so etwas wie die Figur eines mittelalterlichen Ausrufers, der eine Schriftrolle entrollt und von dieser dann eine bedeutende Verkündung verliest.

Der Kopfteil der Schriftrolle mit dem Titel "Kegelausflug Juni 1932".

Versatzstücke dieses Bildes kann man auch beim Verwendungszweck im vorliegenden Fall vermuten. Es handelt sich um eine Schriftrolle in den Maßen 25 x 101 cm, unsauber beschnitten, auf einer Textilgrundlage mit Tinte handbeschrieben. Kopf und Fuß des Textes zieren eher einfache und nicht sehr sorgfältig gezeichnete Ornamente. Der Kopf wird außerdem von drei Kegeln und zwei Kugeln geschmückt, man erkennt, dass diese mit Bleistift vorgezeichnet wurden. Die Überschrift verrät Anlass und Datierung des Schriftstücks: „Kegelausflug Juni 1932“. Es folgt ein Gedicht in 13 Strophen, die – von drei Ausnahmen abgesehen – aus je vier Versen bestehen. Die Strophen widmen sich einzelnen Mitgliedern des Kegelvereins und ihren Eigenheiten.

Der Karl, der den Verein regiert
Wirft stets die Bälle ungeniert
Und mit dem rheinischen Temperament
Er stets die lustigen Seiten kennt.

Sehr oft mit großem Keglerglück
Macht unser Theo Enke mit
Und auch beim Rennen der 6 Tage
Steckt gern er ein die Siegergage
Doch ist sein Partner nicht in Form
Schaut er ihn bös an, ganz enorm.

Und jeden Abend siegesbewußt
Zeigt August seine Keglerbrust
Er liefert Koks, Briketts und Kohlen
Und läßt auch gerne Schnäpse holen.

Bei dieser Form so genannter Gelegenheitsdichtung kommt es nicht immer auf die Einhaltung des Versmaßes oder die Korrektheit des Reimes an. Es ist für einen launigen Vortrag im Rahmen des titelgebenden Ausflugs verfasst. Der mit Verwendung einer Schriftrolle einhergehende „altertümliche“ oder feierliche Charakter der äußeren Form, wird im ironischen Gegensatzes zum profanen und bierseligen Inhalt des Gedichts gestanden haben.

Detailansicht, Strophe "Der Emil ist ein guter Löter...".

Der Emil ist ein guter Löter
Und manchmal auch ein Neunentöter
Er nimmt die Keglerstellung ein
Und glückt der Wurf, wirft er das Bein.

Der Franz wirft stets mit Eleganz
Auch ab und zu den Keglerkranz
Weil er die Kegelkasse führt
Wird von Runden nichts gespürt.

Die Schriftrolle ist im Nachlass der Familie Stephanblome aus Dortmund im Archiv für Alltagskultur in Westfalen überliefert. Der Bestand enthält Zeugnisse, Militärpapiere, Korrespondenz, Prüfungsarbeiten oder ein Wäschezeichnungsheft, aber keine weiteren Unterlagen mit Bezug zum Kegeln. Da die meisten Kegelbrüder im Gedicht nur mit Vornamen genannt werden, kann man nicht mit Sicherheit sagen, ob der dort genannte Josef mit dem (späteren) Volksschulrektor Josef Stephanblome (geb. 1903) identisch ist.

Den rechten Buben voller Fleiß
Der Josef stets zu holen weiß
Er wirft stets mit der linken Hand
Beim Mostertgerd ist er bekannt.

Der Heinz wirft stets im Tangoschritt
Holt auch schon mal den Buben mit
Der Flachmann bringt ihm großen Mut
Und kleidsam sein Cylinderhut.

Die Zielgruppe des Gedichts war der eng umgrenzte Kreis der Vereinsmitglieder. Nur sie konnten alle Anspielungen verstehen, die gedichteten Beschreibungen mit den realen Personen in Bezug setzen und bestimmte Namen auflösen (z. B. „Mostertgerd“). Wie an anderer Stelle schon einmal anhand einer Bierzeitung aus einem anderen Kegelverein geschildert, lässt sich anhand solcher Schriftstücke aus heutiger Sicht einiges über den Humor der Zeit, eine spezifische Form der Vereinsgeselligkeit und das Freizeitverhalten, auch in Bezug auf bestimmte Berufsgruppen, ablesen. Neben dem Kegelsport stand in diesen Vereinen die Bierseligkeit im Vordergrund. Und auch das Gedicht stellt einen in die Länge gezogenen Trinkspruch dar und endet entsprechend:

Ich habe keine Worte mehr –
Drum Brüder nehmt die Gläser her
Und rufet freudig, stolz und keck
Hoch leb‘ der Kegelklub:
Hoaln‘ wegg!

Ende der Schriftrolle mit abschließendem Trinkspruch.

 

Quellenangabe: Kegelausflug Juni 1932, Archiv für Alltagskultur in Westfalen, K02884.0020.