„Eine wahre Gesundheits-Quelle“. Die Entdeckung schwefelhaltigen Wassers in Fiestel

09.01.2024 Marcel Brüntrup

Sebastian Schröder

Die Kriegs- und Domänenkammer war unter anderem zuständig in Bergwerksangelegenheiten und sie kontrollierte den Abbau von Bodenschätzen. Neben Torf und Ton gehörten dazu Erz, Kohle und Steine. Ebenso weckten Salzvorkommen und mineralische Quellen das Interesse der Mindener Räte. In diesem Zusammenhang wandte sich im Oktober 1786 der Hofrat Rudolph Carl Friedrich Opitz an die preußische Landesbehörde. Unweit der mindischen Ortschaft Fiestel (heute Teil der Stadt Espelkamp) habe er die dortige Schwefelquelle untersucht. Bereits vor einigen Jahren hätte die Bevölkerung in einer in der Nähe der Aue gelegenen Wiese zwischen Vehlage und Fiestel weiße Schlammablagerungen beobachtet und fauligen Schwefelgeruch wahrgenommen. Das Grundstück gehöre dem Landwirt Heinrich Ludwig Reckert, der dem Rittergut Ellerburg eigenbehörig sei. Der Bauer habe seinerzeit ein etwa vier Fuß oder etwas mehr als einen Meter tiefes und ebenso breites Loch gegraben, um das schwefelhaltige Wasser zum Trinken und Baden zu gewinnen – ganz bescheidene Anfänge zum Bau eines Brunnens. Die ersten Versuche zu Kuren sollen durchaus „mit Nutzen geschehen seyn“, sodass die Kunde von der Entdeckung einer angeblichen Heilquelle bis nach Minden gedrungen sei. Der Kammerpräsident habe daraufhin Hofrat Opitz beauftragt, nähere Untersuchungen anzustellen. In seinem Bericht schrieb der Experte: „Das Waßer selbst ist hell und klar, oft steigen Blasen in demselben vom Grund. Der Rand des Brunnens ist mit vielen weißen Flocken besezt, in der Abfluß-Rinne liegt ein weißer Schlamm und Geruch und Geschmack ist schwefelicht wie faule Eyer.“ Das Urteil von Optiz über den Schwefelgehalt fiel allerdings eher ernüchternd aus: Lediglich von „geringen Bestandtheilen“ erzählte er seinen Vorgesetzten, sodass „wol nicht große Würkungen dieses Waßers zu erwarten, unterdeßen kan deßen anhaltender Gebrauch doch einigen Nutzen geben“. Beispielsweise fördere das Wasser das Lösen von Schleim, es reinige das Blut, lindere Hautausschläge und Schmerzen.

Nicht nur in Fiestel gab es Heilquellen: Im mindischen Hüllhorst zeichnete der Kriegs- und Domänenrat Bacmeister beispielsweise im Jahr 1801 einen Situationsplan, der neben den Quellen die Lage der Kirche oder einiger Mühlen zeigt (LAV NRW W, W 051, Nr. 20235).

Die Kriegs- und Domänenräte in Minden meinten nach Durchsicht des Protokolls: Da „bey den angezeigten geringen Bestand nicht große Wirkungen zu erwarten sind, und es sich also der Mühe nicht erlohnen wird, dieserhalb viele Unkosten anzuwenden; so wird man von Cultivirung dieser Quelle Abstand nehmen müßen.“ Damit kam es zunächst nicht zur landesherrlichen Förderung und zum Ausbau der schwefelhaltigen Quelle bei Fiestel zu einem Gesundbrunnen.

Erst einige Jahre später, nämlich im Juli 1795, gab es erneut Ansätze, dort einen Kurbetrieb zu etablieren. Die Initiative dazu ging vom Mindener Arzt Dr. Möller Senior aus. Er warb dafür, in der Nähe der Quelle „ein Hauß für die Kranken […] erbauen“ und den „Brunnen zum Besten der Menschheit umbauen“ zu lassen. Ferner möge die landesherrliche Verwaltung ihn als Mediziner besolden, damit er seine Mindener Praxis aufgeben und stattdessen nach Fiestel ziehen könne. Von der Wirkung der Quelle war Möller Senior vollends überzeugt: „Das Fistelsche Wasser ist ein merkwürdiges Wasser […]; und diese Quelle ist unter gehöriger Anwendung von ungemeinen Nutzen, zumal bekannter maßen die ganze Fistelsche Gegend sehr schlechtes Trinkwasser hat und daher die Einwohner mit der Krätze ungemein geplagt werden, zu deren Vertreibung quaest[ioniertes] Wasser ein kräftiges Mittel ist.“

Schon seit 1787 verabreiche er seinen Patientinnen und Patienten dieses Elixier, wie der Mediziner ausführte. Pastor Kuckenberg aus Holtrup habe dadurch beispielsweise sein Gichtleiden kuriert und „im Amte Rahden, wo eine naße und trockene Krätze regieret“, hätten „im vorigen und in diesem Jahre fast 100 Menschen geheilet“ werden können. Vom guten Resultat schwärmte auch das Küsterehepaar aus Holzhausen, das neben der Gicht „seit vielen Jahren faule Wunden an einem Bein gehabt“ habe.  Sogar Lähmungserscheinungen seien durch die Kur behoben worden, erläuterte Möller Senior. Darüber hinaus genössen ebenso Tiere die gesundheitsfördernde Wirkung. So heißt es, wenn „steife u[nd] rozige Pferde in quaest[ioniertes] Wasser getrieben werden“, sei schnell eine merkliche „Veränderung“ zu sehen. Kurzum: „Sowohl die angestellten Versuche, wie auch die glücklich vollendeten Curen bestätigen es, daß das Fistelsche Waßer eine wahre Gesundheits-Quelle sey, wofür wir dem Schöpfer der Welt nicht genug dancken können, daß er uns allenthalben in der Natur Genesungs-Mittel anbiethet, wodurch viele Elende von ihren Schmertzen geheilet, und uns oft sehr nahe liegen, wenn wir nur darauf merken wollen.“

Im ravensbergischen Holzhausen (heute Preußisch Oldendorf) gab es im 18. Jahrhundert ebenfalls Bemühungen, das Brunnenwesen zu fördern. Große Badehäuser und Alleen sollten angelegt werden. Die Pläne von Baurat Bielitz aus dem Jahr 1745 wurden nie verwirklicht (GHSTA PK, II. HA, GD, Tit. 17, Sekt. 1, Nr. 11, fol. 19r).

Die Mindener Kriegs- und Domänenkammer informierte den preußischen König beziehungsweise dessen Generaldirektorium in Berlin über die Stellungnahme des Arztes. Doch ehe der Monarch finanzielle Zuschüsse versprach, ordnete er weitere Proben an. Eine Flasche mit dem Fiesteler Wasser solle deshalb an das Berliner „Ober Collegio Sanitatis“, also die königliche Sanitätsbehörde, geschickt werden.

Unterdessen meldete sich auch der Freiherr von Ripperda als Besitzer des Rittergutes Ellerburg zu Wort. Er war der Grund- und Leibherr des Bauern Reckert, dem die Wiese gehörte, in der die Quelle lag. Der Adlige bescheinigte die erfreuliche Wirkung des schwefelhaltigen Wassers. Um aber einen richtigen Kurbetrieb zu fördern, müssten Bade- und Brunnenhäuser errichtet und Wege zum Spazierengehen angelegt werden. Landwirt Reckert könne jedoch unmöglich auf seine Ländereien verzichten. Folglich verlangte von Ripperda, seinen Eigenbehörigen zu entschädigen.  Des Weiteren gab der Adlige zu bedenken, dass es notwendig sei, eine „fahrende Post von Minden nach Boomte [gemeint ist Bohmte]“ ins Leben zu rufen. Schließlich würden die Kurenden Reisemöglichkeiten bedürfen und ebenso Briefwechsel führen wollen. Der Eigentümer des Rittersitzes hatte dabei natürlich einen Hintergedanken. Denn der Bau einer Poststation nebst Gastwirtschaft erschien ihm als ein lukratives Geschäft. Fiestel oder die Ellerburg seien geradezu prädestiniert zur Gründung solcher Institutionen. So liege der Ort in etwa auf halber Strecke zwischen Minden und dem osnabrückischen Bohmte und außerdem an der Route über Osnabrück nach Holland. Neben dem Postamt müsse ihm darüber hinaus das Recht versichert werden, Bier zu brauen und Branntwein zu brennen, um die Bedürfnisse der Reisenden und Kurgäste befriedigen zu können.

Große Pläne also! Doch die zuständige Kriegs- und Domänenkammer blieb skeptisch und teilte im November 1795 mit, „daß es sich der Mühe nicht verlohnt, dieserhalb viele Unkosten anzuwenden“. Damit war der Traum vom Heilbad in Fiestel ausgeträumt – zumindest im 18. Jahrhundert förderte der preußische Staat das dortige Brunnenwesen nicht. Erst im 19. Jahrhundert änderte sich die Lage. Trotzdem erweisen sich die Schriftstücke als äußerst aufschlussreiche Dokumente, um sich der wirtschaftlichen Bedeutung der vielerorts entstehenden Heilbäder für die ortsansässige Bevölkerung seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu nähern.

Quelle:

Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, D 607/Kriegs- und Domänenkammer Minden, Nr. 1833: Entdeckung der Mineralquellen bei Hüllhorst und bei Fiestel (Amt Reineberg), 1772–1802.

Die bisherigen Teile der Serie zur Kriegs- und Domänenkammer Minden:

Ein Dickicht voller Alltagskultur: Die preußischen Kriegs- und Domänenkammern in Westfalen im 18. Jahrhundert

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Erfindergeist in Minden und Ravensberg

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